Amateurfußball in Coronazeiten

Anfeuern verboten!

29:45 Minuten
Fußballspieler sitzen mit Abstand auf einer Betontribüne und tragen grüne Gesichtsmasken.
Regionalliga Nordost unter Pandemievorzeichen: Die Ersatzspieler des VSG Altglienicke verfolgen das Testspiel gegen Tennis Borussia am 11. Juli mit Masken und Abstand. © imago / Matthias Koch
Von Thomas Jaedicke  · 16.08.2020
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Halbvolle Stadien und selbst mit Mundschutz kein ausgelassener Torjubel: Corona hat auch den Amateurfußball stark verändert. Nach dem Saisonabbruch kämpfen viele Vereine um Sponsoren und damit um ihre Existenz.
Es ist eine merkwürdig verhaltene Saisoneröffnungsparty im Berliner Mommsenstadion. Eigentlich gäbe es für Tennis Borussia (TeBe) richtig was zu feiern. Nach Jahren in der sportlichen Versenkung ist den Lila-Weißen aus Charlottenburg wieder mal ein Aufstieg gelungen, der anständig begossen werden könnte. Regionalliga Nordost, vierthöchste deutsche Spielklasse.

Geld weg, Seele gerettet

Außerdem konnte der ehemalige Bundesligist durch ein listiges juristisches Manöver in letzter Minute seinen ungeliebten Hauptsponsor Jens Redlich loswerden. Der gerne großspurig auftretende Inhaber einer Fitnessstudiokette hatte zwar versprochen, weiterhin viel Geld für die sportliche Entwicklung lockerzumachen, gleichzeitig wollte er jedoch die basisdemokratischen Strukturen auflösen und sich den Club mit Haut und Haaren einverleiben. Diese Entwicklung wurde vor Gericht gestoppt.
Geschlossene, teils mit Graffiti beschmierte Kassenhäuschen
Die verwaisten Kassen vor dem Mommsenstadion.© Deutschlandradio / Thomas Jaedicke
Jetzt ist das große Geld zwar nicht mehr da, dafür aber die Seele gerettet. Durch die lila-weiße Brille betrachtet, könnte also alles gerade richtig schick aussehen, doch irgendwie liegt ein Schatten auf dem Aufstiegsglanz.

Man feiert hygienisch korrekt und pandemiekompatibel

Im März war die Oberliga-Saison wegen Corona zunächst unter- und dann abgebrochen worden. TeBe, im Frühjahr zwar schon Spitzenreiter, wurde zum großen Ärger der ebenfalls ehrgeizigen Konkurrenz aus Zehlendorf und Greifswald, die keineswegs abgeschlagen war und sehr gerne auch noch gegen den Tabellenführer gespielt hätte, am Grünen Tisch zum alleinigen Aufsteiger erklärt.
Und nun stehen die TeBe-Fans, die gerade ihr basisdemokratisches Fußballmodell gerettet haben, hier im Stadion mit Mundschutz und zwei Metern Sicherheitsabstand zum Vordermann in einer endlos langen Schlange vorm Grill, um hygienisch korrekt und pandemiekompatibel zu feiern. Zudem wird es in der neuen Saison, die an diesem Wochenende startet, nur begrenzte Zuschauerzahlen geben.
Und wahrscheinlich darf im Stadion noch nicht mal mit Mundschutz gesungen oder gejubelt werden.

Fantasievoller Widerstand gegen den Sponsor

Franziska Hoffmann ist Aufsichtsratsvorsitzende bei Tennis Borussia. Auch während der Zeit, in der der Verein von Sponsor Jens Redlich dominiert wurde, dachte sie nicht daran kleinbeizugeben. Sie war immer stolz auf ihr Ehrenamt. Die Aufsichtsrätin sagt, sie habe durchgehalten, weil sie sich ihrer Verantwortung bewusst gewesen sei.
Aufsichtsrätin Franziska Hoffmann steht vor einem Stadio und lacht freundlich.
Ihrer Verantwortung bewusst: Aufsichtsrätin Franziska Hoffmann© Deutschlandradio/Thomas Jaedicke
So nüchtern-sachlich ist die aktive TeBe-Fanszene eher nicht. In der vergangenen Saison schafften sie es mit ihrem fantasievollen Widerstand gegen Großsponsor Redlich sogar auf die Titelseite des Fußballmagazins "11 Freunde". In ihrer bundesweit beachteten "Caravan of Love "-Kampagne boten sich die sangesfreudigen Fans, die unter Redlich das eigene Stadion boykottierten, anderen Vereinen als Supporter an.
Jetzt, nachdem Redlich weg ist, sei dieser Spirit wieder voll da, sagt Franziska Hoffmann. Doch obwohl sie TeBe für einen Verein mit reflektierten Mitgliedern hält, kann sie nicht ausschließen, dass möglicherweise doch wieder zugegriffen werden würde, wenn wieder mal jemand mit einer dicken Brieftasche wedelt.

Sportlicher Erfolg trotz Basisdemokratie?

Auch vor Jens Redlich war das immer wieder passiert. Und durch Corona ist die wirtschaftliche Not nicht gerade kleiner geworden. Da sind die Berliner Borussen sicher keine Ausnahme.
Würden Sie lieber mit wenig Geld zwei Ligen darunter spielen und ihre Ideale fest verankert im Verein sehen? Oder würden Sie auch gerne so hoch wie möglich spielen? Oder kann man beides haben? Kann man höherklassig spielen und diese Ideale trotzdem leben?
"Ja. Ich glaube, das eine schließt das andere überhaupt nicht aus. Man kann sehr wohl Sponsoren finden und Leute, die sich engagieren, die die gleichen Ideale in sich tragen, in ihren Firmen, mit ihren Mitarbeitern, Mitarbeiterinnen. Und genauso ist es hier im Vereinsleben. Natürlich würde ich mir wünschen, dass wir immer sportlich erfolgreich sind und auch weiterhin mit Tennis Borussia hoch hinauswollen. Aber dann bitte in den Schritten und in dem Rahmen, der uns einfach möglich ist, ohne dann darauf reinzufallen, dass wir jetzt einen Geldgeber haben, der uns ganz viel verspricht, und dann sitzt man doch vorm Scherbenhaufen."

Spielbetrieb nur mit teurem Hygienekonzept

230 Kilometer weiter nördlich von Berlin hatte der FC Greifswald das Ziel Aufstieg noch nicht aufgegeben, als der Nordostdeutsche Fußballverband die Oberligasaison im Frühjahr wegen Corona abbrach. Zwar lag man zu diesem Zeitpunkt in der Tabelle fünf Punkte hinter TeBe auf dem zweiten Platz, doch das Spiel gegen die Berliner stand noch aus und in weiteren elf Partien hätte das Team aus Mecklenburg-Vorpommern das Blatt noch wenden können.
Roland Kroos sitzt in seinem Büro im Volksstadion. Seit drei Jahren ist er Cheftrainer beim Greifswalder FC, wo seine Söhne Toni und Felix, inzwischen bei Real Madrid, beziehungsweise dem FC Union Berlin unter Vertrag, als Kinder das Fußballspielen gelernt haben.
Natürlich wäre der 60-Jährige gerne mit den Greifswaldern in die Vierte Liga aufgestiegen. Je höher die erste Mannschaft spielt, desto attraktiver wird der Verein für Nachwuchsspieler. Roland Kroos war anfangs sehr enttäuscht, dass der Nordostdeutsche Fußballverband darauf bestand, die Saison ganz abzubrechen. Eine Chance, den Spielbetrieb fortzusetzen, hätte es nur gegeben, wenn die Amateure in der Oberliga ein ähnlich aufwendiges Hygienekonzept auf die Beine gestellt hätten wie die Deutsche Fußballliga für Erste und Zweite Bundesliga. Das war den Amateuren jedoch zu teuer.
GFC-Trainer Kroos findet, es hätte trotzdem Alternativen zum Abbruch gegeben: zum Beispiel ein Playoff-Turnier um den Aufstieg.
Statt in der Regionalliga zu spielen, startet der Greifswalder FC an diesem Wochenende mit einem Heimspiel gegen den SC Staaken in eine weitere Oberligasaison. Cheftrainer Kroos, der in seinem Büro die letzten Vorbereitungen für das Heimspiel trifft, sagt, dass auch jetzt wieder der Aufstieg das Saisonziel sei.

Ein Internat für den FC Greifswald

Der Klub hat unter anderem einen neuen Nachwuchsleiter eingestellt. Der nächste Schritt auf dem Weg zu noch professionelleren Strukturen soll ein Fußballinternat sein, wie es Drittligist Hansa Rostock, der größte Konkurrent im Bundesland, schon lange betreibt.
"Anders geht es ja auch nicht. Ansonsten ist es ja auch im Hinblick auf die Fahrzeit schwierig, wenn man ab einem gewissen Alter Spieler an den Verein binden möchte. Zum Beispiel, wenn von Rügen kommen, wenn das die tägliche Fahrt ist. Das ist ja auch eine Belastung. Darum ist es eigentlich auch unumgänglich, ein Internat zu errichten."

Ersparnis durch Saisonabbruch

Wenn es um die Finanzen bei den Greifswaldern geht, ist Daniel Gutmann der richtige Ansprechpartner. Der Sportliche Leiter sagt, er sei ausgesprochen froh, dass man sich bei der Krisenbewältigung bisher voll auf den Staat verlassen konnte. Es habe die Möglichkeit gegeben, für Festangestellte wie Trainer Kroos Kurzarbeitergeld und Corona-Soforthilfen des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern zu beantragen. Auch für die Spieler, die als Halbprofis keinen Anspruch auf diese Leistungen gehabt hätten, habe der Verein eine Lösung gefunden.
Der Fünftligist ist also trotz Corona bisher relativ glimpflich davongekommen. Durch den Saisonabbruch konnte sogar ein bisschen Geld gespart werden. Zwölf Spiele fielen einfach weg. Und trotz Corona wurden sogar neue Sponsoren gefunden.
"Wir konnten die Zeit positiv nutzen. Auf der anderen Seite sind uns bis zum jetzigen Zeitpunkt trotzdem fünf Sponsoren abgesprungen, natürlich auch mit dem verständlichen Argument der finanziellen Sicherung ihrer eigenen Unternehmen. Jeder kleine Sponsor ist uns genauso wichtig wie ein großer Fisch an der Angel."
Wie hoch ist so ein Oberliga-Etat? "Wenn ich heute nur die Oberliga beziffern würde, dann liegen wir im Oberliga-Rahmen insgesamt bei 280.000 Euro. Das wird sich im nächsten Jahr vermutlich ein bisschen erhöhen, um das Ziel Regionalliga nochmal zu untermauern. Der Gesamtverein befindet sich, Stand heute, ungefähr bei 400.000, plus."

"Aber es muss ja weitergehen"

Was die neue Saison bringen wird, weiß auch Sportchef Daniel Gutmann nicht. Trotzdem sind die Oberligakicker Ende Juli in die heiße Phase der Vorbereitung eingestiegen. Trainiert wird seitdem wie in Vor-Corona-Zeiten. Größere Trainingsgruppen und Zweikämpfe? Ist alles wieder erlaubt.
Auf dem Weg zum Training, das heute auf einem etwas abgelegenen Nebenplatz des weitläufigen Volksstadions stattfindet, treffe ich Silvio Siegmeier und seinen achtjährigen Sohn Maddox. Silvio Siegmeier hat im zehn Kilometer entfernten Groß Kiesow eine Firma. Er sponsert den Greifswalder FC, seitdem er seinen Sohn Maddox dort angemeldet hat. Maddox und sein Vater haben unter der generellen coronabedingten Spiel- und Trainingsunterbrechung sehr gelitten. Sie waren sehr froh, als es wieder losging - Corona hin oder her, er will den Verein auf jeden Fall weiter unterstützen:
"Auf alle Fälle. Ist zwar schwierig in dieser Zeit, aber es muss ja weitergehen."

Die Sponsoren bestimmen wo es langgeht

Der Greifswalder FC ist ein "eingetragener Verein". Im Amateur- und Breitensport ist diese Rechtsform üblich. Im Profisport stößt das juristische Konstrukt dagegen schnell an Grenzen. Bis auf Schalke 04 haben fast alle großen Bundesligaklubs ihre Profiabteilungen aus den Vereinen ausgegliedert. Es geht um bessere Bedingungen für Investoren. Die Sponsoren bestimmen, wo es langgeht. Vereinsmitglieder haben nicht mehr viel zu melden.
Genau diese, auf wirtschaftliches Wachstum und sportlichen Maximalerfolg ausgerichtete Entwicklung, die bei bei Tennis Borussia durch die Trennung vom allmächtigen Hauptsponsor Jens Redlich gerade noch rückgängig gemacht wurde, könnte jetzt auch in Greifswald bevorstehen. Aufstieg um jeden Preis, auch wenn dabei möglicherweise die Identität auf der Strecke bleibt.
Auf der letzten Mitgliederversammlung wurden jedenfalls auch beim Fünftligisten Greifswald schon mal vorsorglich die Weichen gestellt. Die erste Männermannschaft soll aus dem Verein ausgegliedert und in eine Gesellschaft umgewandelt werden, um die Weiterentwicklung besser vorantreiben zu können, sagt Daniel Gutmann. Kurz vor Saisonbeginn präsentierten die Greifswalder mit der Jes AG, einem mittelständischen Stromversorger aus Rostock, einen neuen Hauptsponsor.

Zahltag gegen den FC Bayern

Horst Zirzow ist seit 1978 im Verein. Damals hieß der Klub noch KKW – Kernkraftwerk – Greifswald und spielte in der DDR-Liga, der zweithöchsten Spielklasse. 8000 Zuschauer passen in das 1927 eröffnete Volksstadion. So viele Menschen waren allerdings nur selten da. 6000 waren es mal zu einem DFB-Pokalspiel gegen Borussia Mönchengladbach, da spielte man aber ausgerechnet gar nicht hier, sondern im Stadion von Lok Greifswald.
Und dann natürlich das Freundschaftsspiel gegen die Bayern. 12.000! Was für ein Zahltag. Davon träumt Horst Zirzow heute noch. Sowas hätte der ehemalige Geschäftsführer des Greifswalder FC gerne wieder mal. Horst Zirzow ist inzwischen Rentner. Insgesamt gesehen findet er es völlig richtig, dass sich der Verein professioneller aufstellt. Nur so könne es aufwärts gehen.

Der neue Corona-Alltag

Professioneller wird in der neuen Saison auch bei TeBe gearbeitet. Obwohl der Etat kleiner als in der Oberliga sein soll, verpflichtete der Regionalliga-Aufsteiger mit dem 38-jährigen Markus Zschiesche einen Trainer, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger sogar eine Uefa-Pro-Lizenz besitzt.
Aber wie wird dieser im Zeichen von Corona stehende, neue Fußball überhaupt aussehen? Fürs Stadionpublikum gelten nicht nur bei Tennis Borussia strenge Abstands- und Sicherheitsregeln. Aber was passiert, wenn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen im ganzen Land die Infektionszahlen doch wieder stark steigen? Kein Mensch weiß, was dann wird. Vielleicht muss auch diese Spielzeit wieder mittendrin abgebrochen werden. Es ist eine sehr unsichere Situation.

Regionalkicker sind Halbprofis

Wie kommen die Spieler damit klar? Welcher Sponsor steckt jetzt noch Geld in den Amateurfußball, wenn nicht einmal klar ist, ob der eigene Betrieb diese Krise übersteht?
Claudio Offenberg ist TeBes neuer sportlicher Leiter. Der 63-Jährige war vor 20 Jahren schon mal bei den Charlottenburgern, damals als Trainer. In der Berliner Fußballszene ist Claudio Offenberg ein alter Bekannter. In den vergangenen Jahren hatte er sich eine Auszeit gegönnt, war in Spanien abgetaucht.
Jetzt ist er zurück: Wie viel kostet so ein Regionalligaabenteuer? Mannschaft, Funktionäre, Auswärtsfahrten und das ganze Drumherum. Eine Million? Der Manager lächelt freundlich über seine Brille hinweg, aber Zahlen nennt er nicht. Offenberg will sich nicht in die Karten schauen lassen.
Claudio Offenberg steht vor einem Stadion, im Hintergrund tummeln sich einige Fans.
Claudio Offenberg ist sportlicher Leiter bei TeBe.© Deutschlandradio/Thomas Jaedicke
Doch ganz falsch liegt man sicher nicht, wenn man davon ausgeht, dass mindestens ein mittlerer sechsstelliger Betrag nötig ist, um in der vierten Liga eine konkurrenzfähige Mannschaft auf die Beine stellen zu können. Offiziell sind die Spieler zwar Amateure. Doch auch sie werden bezahlt. Natürlich nicht so üppig wie Bundesligaprofis. Regionalligakicker sind Halbprofis. Für einen Fulltimejob neben dem Fußball bleibt keine Zeit, denn aus sportlicher Sicht würde das wenig Sinn machen.
"Genau das war die Herausforderung. Das heißt, wir werden schon unter Profibedingungen trainieren, also vor- und nachmittags. Das bedeutet aber auch, dass wir Spieler gesucht haben, die das auf sich nehmen, im Wissen darum, dass sie von dem, was sie bei uns bekommen, in der Regel eigentlich nicht leben können. Daher sind das viele junge Leute, die das einfach als Bühne benutzen, als große Chance, sich überregional zu zeigen. Das war genau die Herausforderung, die die Trainer jetzt gemeistert haben. Da freuen wir uns drauf."

Der Aufstieg - ein wirtschaftlicher Drahtseilakt

Ein paar Tage nach der Aufstiegsparty steht Nico Matt auf der wunderschönen, denkmalgeschützten und menschenleeren Tribüne des Mommsenstadions. Es ist Ende Juli und viele strenge Corona-Einschränkungen im Sport sind inzwischen gelockert. Auch Amateurfußballer können jetzt im Prinzip wieder so wie vor der Pandemie trainieren. Der 31-jährige Mannschaftskapitän ist einer der wenigen sehr erfahrenen Spieler im Team. Im Gegensatz zu seinen jungen Kollegen muss er sich selbst und den anderen sportlich nicht mehr so viel beweisen. Nico Matt geht als gestandener Innenverteidiger bei Tennis Borussia in seine achte Saison.
"In den letzten Jahren habe ich es so gemacht, dass ich nebenbei mein Studium vorangebracht habe. Das ist jetzt kurz vor dem Abschluss. In der nächsten Saison werde ich daher nicht mehr nebenbei studieren. Man muss das auch immer sehr individuell betrachten. Wenn ich ein junger Spieler wäre und die Regionalliga als Sprungbrett nutzen will, dann wäre das vielleicht noch etwas Anderes. Ich habe ein Kind zu Hause und dementsprechend muss ich rechtfertigen können, dass ich meine berufliche Karriere für den Fußball noch mal ein Jahr nach hinten verschiebe."
Dass die Regionalliga für Aufsteiger Tennis Borussia ein sportlicher und wirtschaftlicher Drahtseilakt werden dürfte, ist Nico Matt bewusst. Er hofft, dass sein Verein trotz der Coronakrise neue Geldgeber an Land ziehen kann. Denn seiner Meinung nach ist der ehemalige Bundesligist, der in den vergangenen Jahrzehnten durch Insolvenzen, Skandale und Abstiege mehrfach vor dem endgültigen Aus stand, inzwischen wieder eine gute Adresse. Für den Etat sind die vertraglich verabredeten Sponsorengelder und die Einnahmen aus Dauerkartenverkäufen fest kalkulierbare Größen.
Was an der Tageskasse passiert, steht dagegen auf keinem Blatt. Auch Nico Matt weiß nicht, wie viele Tickets TeBe bei den Heimspielen verkaufen wird.

668 Zuschauer pro Heimspiel

Zuschauerkrösus in der Bundesliga war in der Saison 2018/19, also der Spielzeit vor Corona, Borussia Dortmund. Laut Fußballmagazin "kicker" kamen im Schnitt 80.820 Zuschauerinnen und Zuschauer zu den 17 BVB-Heimspielen der Spielzeit. Zwölf Mal war das Dortmunder Stadion ausverkauft.
TeBe hatte in der abgebrochenen Oberliga-Saison in zehn Heimspielen 6680 zahlende Zuschauer. Insgesamt. Das ergibt einen Schnitt von 668 pro Spiel. Am besten besucht war das Lokalderby gegen Zehlendorf. An diesem Freitagabend-Flutlicht-Spiel wurden 1092 Tickets verkauft. Natürlich liegen zwischen Profis, Halbprofis und Amateuren sportlich wie finanziell Welten.
Aber ohne Zuschauer macht oben wie unten kein Spiel richtig Spaß. Und gemessen an ihren Gesamtetats sind Zuschauereinnahmen für die Kleinen sogar noch viel wichtiger. Für Aufsteiger TeBe stehen in der neuen Liga allein sechs Berlin-Derbys im Spielplan.

Vom TeBe-Fan zum Stadionsprecher

Nicht nur Teamkapitän Nico Matt ist wegen der coronabedingten Zuschauerbegrenzungen sehr besorgt. Carsten Bangel, alias Mr. Bungle, ist bei Tennis Borussia eine Institution. Er ist der Stadionsprecher. Ganz knapp unterm Tribünendach schließt er jetzt die Tür zu einem hässlichen, weißen Blechcontainer auf. Von hier aus hat man einen perfekten Überblick über das ganze Stadion.
Zwei Männer, der eine im besten Alter, der andere etwas jünger, stehen in einem Fußballstadion und lachen freundlich in die Kamera.
Carsten Bangel, alias Mr. Bungle, ist bei Tennis Borussia eine Institution. Er ist der Stadionsprecher. Rechts steht der Teamkapitän Nico Matt.© Deutschlandradio / Thomas Jaedicke
Mr. Bungle sitzt hier oben fast wie ein Adler in seinem Horst, wenn er an Heimspieltagen seine Durchsagen macht: die Mannschaftsaufstellung, die Torschützen, die Zuschauerzahl. Musik- und Halbzeitmoderation und schließlich nach Abpfiff die Verabschiedung.
Vor 43 Jahren war Carsten Bangel das erste Mal bei Tennis Borussia. Vor 42.000 Zuschauern im Olympiastadion gewann Außenseiter TeBe damals gegen den großen Stadtrivalen Hertha BSC überraschend mit 2:0. Das war im April 1977, als beide Klubs in der Bundesliga spielten. Seitdem ist er den Lila-Weißen in kritischer Treue verbunden. Bangel ist einfach nur froh, dass das Kapitel Redlich beendet ist. Dass die komplette Übernahme des Klubs durch diesen gierigen Investor abgewendet werden konnte.
"Man musste blind einer Person vertrauen, die eigentlich von heute auf morgen in den Verein gekommen ist und den Verein dann als persönliches Spielzeug betrachtet und behandelt hat."

Mit einem blauen Auge davongekommen

Carsten Bangel lässt die Jalousien in der Kabine wieder herunter, schließt ab und ist froh, dass TeBe gerade noch mal mit einem blauen Auge davongekommen ist.
"Das geht natürlich einfach nicht. Das ist ein bisschen erstaunlich, dass das natürlich auch nur funktioniert, wenn es eine Handvoll Leute gibt, die bereit ist, für ein bisschen Geld, ein bisschen Aussicht auf Ruhm und Bedeutung alles herzuschenken - und eigentlich alle Werte auf dem Silbertablett präsentiert und gesagt hat: 'Ja, mach doch mit uns, was Du willst.'"
Wie lange TeBe, der FC Greifswald und all die anderen Amateurvereine der Coronakrise trotzen können, das steht auf einem ganz anderen Blatt.
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