Alice Oseman: "Heartstopper"

Einfach Liebe

06:44 Minuten
Cover zu Alice Oseman "Heartstopper" Band 1
© Loewe Verlag

Alice Oseman

Aus dem Englischen von Vanessa Walder

HeartstopperLoewe, Bindlach 2022

320 Seiten

15,00 Euro

Von Kim Kindermann · 21.06.2022
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Alice Oseman hat einen Comic über einen schwulen Jungen und seine Suche nach Identität und Zugehörigkeit geschrieben und damit den Nerv der Zeit getroffen: Die Bände von "Heartstopper" sind Bestseller und wurden bereits verfilmt.
Charlie ist schwul und verliebt sich in den Rugby-Star der Schule. Nick Nelson ist sportlich und echt nett, aber verdammt hetero, zumindest glauben das alle. Inklusive Nick selbst. Bis er mehr Zeit mit Charlie verbringt und schließlich seine Bi-Sexualität entdeckt. Dazwischen liegen erste Berührungen und Aufregung, aber auch Unsicherheit und Scham.
Eigentlich erzählt die Britin Alice Oseman hier eine klassische romantische Liebegeschichte, eine über die Entdeckung der eigenen Sexualität, der Freude daran, über die Sorgen und Ängste.

Entdeckung der eigenen Sexualität

Alle diese Gefühle eben, die Teenager begleiten, die sich zurechtfinden müssen im eigenen Körper, mit den explodierenden Gefühlen, der Suche nach Zugehörigkeit. Doch im Gegensatz zu anderen Schulliebensgeschichten ist hier ein schwuler Junge der Hauptdarsteller - und nicht wie mehrheitlich üblich das schüchterne Mädchen.
Dass Oseman ihre Geschichte dann noch an eine reine Jungenschule verlegt - eine die von klaren Hierarchien geprägt ist, wo Jungs Rugby spielen und Machosprüche raushauen - macht besonders klar: Das Outing ist nie leicht.
Da ist etwa Ben. Er trifft sich heimlich mit Charlie und knutsch mit ihm rum. In der Öffentlichkeit aber will er nichts mit ihm zu tun haben. Verleugnet ihn. Mehr noch: Ben legt sich eine Freundin zu. Als Alibi. Für sich und die anderen. Keiner soll denken, er könnte nicht hetero sein.

Erst als Webcomic veröffentlicht

Geschickt verwebt Oseman, die „Heartstopper“ zunächst als Webcomic veröffentlichte, sämtliche Perspektiven der Identitätsfindung miteinander. Denn auch für Charlie ist es nicht leicht, dass alle an der Schule wissen: Er ist schwul.
Aus Kommentaren wird deutlich, wie sehr er gemobbt wurde. Und Nick möchte auch nicht, selbst nachdem er sich Charlie gegenüber als bisexuell geoutet hat, dass seine sexuelle Orientierung öffentlich wird. Erst nachdem auch seine Mutter Bescheid weiß und ihn unterstützt, kann Nick seine Gefühle klarer nach außen zeigen.
Genau aber das macht Osemans Graphic Novel, von der bereits vier Bände auf Englisch erschienen sind, so besonders: Indem die Autorin Gefühle benennt und ihre Ambivalenz zulässt, ermuntert sie ihre Leser*innen, sich so zu akzeptieren, wie sie sind. Mehr noch: Sie zeigt, dass klischeehafte Stereotype falsch sind und einengen.
Denn auch wenn LGBTQ+ für viele junge Menschen längst zum alltäglichen Sprachgebrauch gehört, ist es eben doch noch nicht einfach, das auch für sich selbst gelten zu lassen.
Normalität ist das noch nicht. Leider. Das beweisen immer wieder späte Outings etwa von Fußball- oder Hollywood-Superstars, wie auch das Verbot des Pixar-Films „Lightyear“ in muslimischen Ländern, weil sich zwei Frauen küssen.

Oseman trifft den Nerv der Zeit

Insofern trifft die 1994 geborene Britin einen Nerv der Zeit. Ihre schlichten schwarz-weiß Bilder, die knappen Texte, die in die Bilder eingeflochtenen Screenshots von Telefontextnachrichten machen deutlich: Es braucht so schöne Geschichten wie die von Charlie und Nick, damit Diversität wirklich gelebt werden kann.
Es braucht also Vorbilder - und Alice Oseman hat sie ganz unaufgeregt geschaffen. Oder wie ein Autor von „Gay Time“ schreibt: „Wir wünschten, wir hätten diese queere Graphic Novel schon während unserer Schulzeit gehabt.“
„Heartstopper“ ist ein Riesenerfolg, ein Bestseller schon jetzt. Der dritte Band auf Deutsch erscheint im Juli, der vierte im November. Die Verfilmung bei Netflix ist auf Platz zwei der meistgesehenen Serien des Streamingdienstes.
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