Aladjidi / Tchoukriel: "Riesen, Zwerge, Schwergewichte"

Ein Panorama der Naturrekorde

Eine Riesenheuschrecke sitzt auf einem Ast.
Das längste Insekt der Welt ist eine Riesenheuschrecke. © imago / blickwinkel
Von Eva Hepper · 12.04.2016
Vom längsten Insekt bis zum kleinsten Reptil: Über 100 verblüffende Meisterleistungen der Natur finden sich in "Riesen, Zwerge, Schwergewichte" von Virginie Aladjidi und Emmanuelle Tchoukriel. Die besondere Stärke des Kinderbuchs sind die liebevollen und detailgenauen Illustrationen.
Ein merkwürdiges Gebilde turnt da auf dem Zweig herum. Fast sieht es aus wie zu dem Baum gehörend. Doch wer genau hinschaut, der sieht: Der überlange Stängel ist ein Körper und die dünnen faserigen Abzweigungen – drei rechts, drei links vom Mittelteil – sind Beinchen! Kein Wunder, dass Tierforscher Bernhard Grzimek die Gespenstschrecken auch "wandelnde Äste" nannte.
Mit ihrer feinen Zeichnung, die zart belaubtes Geäst und dünnes Getier als Einheit komponiert, ist Emmanuelle Tchoukriel ein besonders hübsches Porträt der "Phobaeticus chani" gelungen. Doch hat die französische Illustratorin das Insekt nicht wegen seiner Tarn-Körperform in Szene gesetzt, sondern weil es ein Rekordhalter ist: Mit über 35 Zentimetern Länge, mit ausgestreckten Beinen gar an die 60 Zentimetern, ist die Gespenstschrecke das längste Insekt der Welt. Und als solches hat es seinen Platz in dem prächtig gestalteten Kinderbuch "Riesen, Zwerge, Schwergewichte".

Über 100 Superlative versammelt

Gemeinsam mit der Texterin Virginie Aladjidi versammelt Emmanuelle Tchoukriel darin über 100 Naturrekorde aus aller Welt. Ihr Panorama der Superlative zeigt die größten und kleinsten, die stärksten und schwächsten, die gefräßigsten, lautesten oder gefährlichsten Lebewesen. Präsentiert werden nicht nur schon oft angeführte Beispiele – der Gepard als der Schnellste, der Blauwal als der Schwerste –, sondern vor allem auch viele verblüffende und wenig bekannte Meisterleistungen der Natur.
Wer hätte etwa gewusst, dass die Blüte der indonesischen Riesenrafflesie über einen Meter Umfang und bis zu zehn Kilogramm Gewicht erreichen kann? Oder dass Spitzmäuse Tag und Nacht nach Nahrung wühlen und den schnellsten Herzschlag aller Säuger haben? Oder dass das kleinste Reptil eine 1,6 cm kurze Geckoart ist, die allerdings mit dem kleinsten Insekt verglichen, der Zwergwespe mit 0,17 Millimetern, ganz stattlich daher kommt?
Es macht Laune, diese Rekordhalter zu studieren. Zumal Virginie Aladjidi ihnen lehrreiche und anschauliche Texte widmet. Schwer wie eine Tafel Schokolade etwa ist ihr afrikanischer Goliathkäfer (100 Gramm), und das Gewicht des Blauwalherzens vergleicht sie mit dem eines Kleinwagens (600 Kilogramm). Zusätzlich zum Rekord hat sie weitere Eigenschaften parat und porträtiert die Tiere damit umfänglich.

Wie eine alte Lehrfibel bebildert

So überzeugend die Texte sind, die noch größere Stärke dieses Buches liegt im Visuellen. Liebevoll, naturalistisch und detailgenau mit Aquarellfarben und schwarzer Tuscheumrandung gemalt, zeigt Emmanuelle Tchoukriel einen oder mehrere Protagonisten pro Seite. Mal sind sie freigestellt, mal treten sie innerhalb ihres natürlichen Lebensraums auf. Da die Zeichnerin durchweg pastellene Töne wählt, und ihre Hintergründe wie vergilbt wirken, gleichen die Bilder denen alter Lehrfibeln. Das entspricht dem derzeit vorherrschenden Retrolook, den Tchoukriel allerdings nicht kopiert, sondern mitinitiiert hat. Immerhin ist dieses Buch bereits das fünfte, dass das Autoren-Duo bei Gerstenberg vorlegt und Nummer sechs ist bereits auf dem Weg. Wie schön!

Virginie Aladjidi (Text), Emmanuelle Tchoukriel (Illustration): Riesen, Zwerge, Schwergewichte
Übersetzt von Ursula Bachhausen
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2016
72 Seiten, 13,95 Euro

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