Aktivist und Ökologe Andreas Malm

Mit Sabotage gegen Klimawandel

37:25 Minuten
Protestaktion gegen den Abriss des Dorfes Lützerath. Aktivisten wollten einen Abraumbagger besetzten, wurden aber von der Polizei an der Abraumkante gestoppt.
Blockaden von Industrieanlagen, wie hier im von Braunkohleabbau bedrohten Dorf Lützerath am Tagebau Garzweiler, prägen den Protest der Klimabewegung. © imago images / Jochen Tack / Jochen Tack
Stephanie Rohde im Gespräch mit Andreas Malm · 16.10.2022
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Sabotage ist für den Humanökologen Andreas Malm ein legitimes Mittel im Klimaschutz: Wenn Regierungen klimaschädliches Verhalten nicht effektiv bekämpfen, müsse die Zivilgesellschaft handeln – bis hin zu Attacken auf fossile Infrastruktur oder SUVs.
"Die Radikalisierung der Klimabewegung ist unvermeidlich", sagt der schwedische Humanökologe und Publizist Andreas Malm. Seit Jahrzehnten schränke die Politik klimaschädliche Aktivitäten der fossilen Brennstoff-Industrie nicht konsequent genug ein, allen Warnungen der Wissenschaft zum Trotz. "Die Situation ist außer Kontrolle geraten", sagt Malm. Es sei deshalb richtig und wichtig, dass zivilgesellschaftliche Gruppen gegen die Verursacher schädlicher Klimagase vorgehen.

Attacken auf privates Eigentum

Die Blockade von Anlagen und Baustellen der fossilen Industrie hält Malm dabei für ein probates und ethisch legitimes Mittel. Aktionen, die sich gegen privates Eigentum richten, sind aus seiner Sicht ebenfalls gerechtfertigt - etwa wenn Aktivisten, die sich "Reifenlöscher" (englisch: Tyre Extinguisher) nennen, in vielen Ländern der Welt aus den Reifen von SUVs die Luft ablassen, um den Erwerb solcher Fahrzeuge auf Dauer unattraktiv zu machen.

Wenn man Maschinen hat, die töten und zerstören, dann ist das Ausschalten dieser Maschinen eine Art von Selbstverteidigung.

Andreas Malm, Humanökologe und Vordenker der Klimaschutzbewegung

Für Malm ist die Klimakrise eng mit einer Klassenfrage verbunden: "Die reichsten ein Prozent der Menschen haben in den letzten Jahrzehnten mehr als doppelt so viel an Schadstoffen emittiert wie die ärmere Hälfte der Menschheit", betont er. "Diese Emissionen sind Luxus-Emotionen, die Menschen töten."

Verstaatlichung von Energiekonzernen

Als Hauptverursacher der Klimakatastrophe sieht Malm die Unternehmen, die ihre Gewinne mit dem Verkauf fossiler Brennstoffe machen. Ihre tief verwurzelte Macht müsse gebrochen werden, damit die Transformation zu einer klimafreundlichen Lebensweise gelingen kann, sagt er.
Die Lösung sieht Malm in einer Verstaatlichung von Energiekonzernen. Nach seiner Einschätzung befürwortet das auch eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Die Regierungen sorgten immer noch nicht dafür, dass fossile Brennstoffe nicht länger gefördert werden. Deshalb bleibe der Umwelt- und Klimaschutzbewegung gar nichts anderes übrig, als radikalere Maßnahmen zu ergreifen.

Lernen aus sozialen Revolutionen

"Das ist das Produkt der Sachlage, dass das Klima auf diesem Planeten zusammenbricht", sagt Malm, "und nichts, was die Regierungen bisher getan haben, hat die Täter dieses planetarischen Verbrechens in irgendeiner Weise im Zaum gehalten. Die Menschen müssen sich nur umschauen und sehen dann, dass unser Planet in Flammen steht. Und trotzdem sehen wir den Ausbau der Infrastruktur für fossile Brennstoffe."
Auf wie viel Rückhalt in der Bevölkerung kann die Klimabewegung in Zukunft zählen, wenn sie zu immer radikaleren Protestformen greift? Kann die klimagerechte Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft gelingen, ohne dass das kapitalistische System als solches verändert wird? Und was lässt sich aus den sozialen Revolutionen des 20. Jahrhunderts für die gegenwärtige Krise lernen? Auch darüber haben wir mit Andreas Malm diskutiert.

In eigener Sache:
Zum Zeitpunkt des Gesprächs mit Andreas Malm hatte die Redaktion der Philosophiesendung „Sein und Streit“ keine Kenntnis über dessen politische Position gegenüber Israel und die damit verbundene Ausladung vom Klimaaktionstag der Akademie der bildenden Künste Wien.
Gegenstand unseres Gesprächs mit Andreas Malm waren ausschließlich Fragen der Klima-Philosophie und -Politik. Deutschlandfunk Kultur macht sich die Positionen des Gesprächspartners nicht zu eigen.

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