Andreas Malm: "Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen"
Aus dem Englischen von David Frühauf
Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2020
240 Seiten, 18 Euro
Intelligente Sabotage für einen radikalen Klimaschutz
04:54 Minuten
Die Klimabewegung hat sich bislang stets der Gewaltlosigkeit verschrieben. Ist damit aber nicht besonders weit gekommen. Der schwedische Humanökologe Andreas Malm denkt darüber nach, ob es nicht an der Zeit wäre, etwas radikaler zu werden.
Das Fazit, mit dem Andreas Malm sein Buch beginnt, wird niemanden überraschen. Weder Klimakonferenzen noch Demonstrationen haben am "business as usual" etwas geändert: Pipelines für fossile Brennstoffe werden weiterhin gebaut, nicht einmal Luxusemissionen werden gestoppt, dabei wären gerade sie tiefhängende Früchte.
"Es wird Zeit, ein paar Stöcke in die Hand zu nehmen und die Früchte vom Baum zu schlagen", schreibt Malm in seinem Buch, das im Klappentext als "Manifest" beworben wird.
Bei der Radikalisierung des Klimakampfs geht es Andreas Malm keineswegs um einen Ökoterrorismus. Die Gewaltlosigkeit ist das moralische Kapital der Klimabewegung. Doch zugleich sieht Malm darin auch eine Schwachstelle. Die Klimabewegung ist als Phänomen des globalen Nordens sehr weiß und sehr mittelständisch: Kaum jemand will mehr als ein paar Nächte im Gefängnis riskieren.
Ein bisschen Sachschaden wäre in Ordnung
Im Vergleich zu anderen Bürgerbewegungen liege der Komfortlevel damit ziemlich hoch, wie Malm in einem erhellenden historischen Exkurs zeigt. Von den Suffragetten Anfang des 20. Jahrhunderts über den Kampf gegen die Apartheid in Südafrika bis zum Aufstand gegen den Schah von Persien – immer sei der Erfolg zumindest an die Bereitschaft zur Gewalt gekoppelt. Auch Martin Luther King hätte ohne die Drohung durch die radikale Black-Power-Flanke seine Ziele wohl kaum erreicht.
Als die Suffragetten im Jahr 1913 Brandanschläge verübten, um im Kampf für das Frauenstimmrecht den Druck zu erhöhen, waren sie darauf bedacht, dass keine Menschen zu Schaden kamen. Dies müsste auch für die Radikalisierung der Klimabewegung gelten.
Andreas Malm schlägt eine Arbeitsteilung vor: Die Gemäßigten gehen an die Verhandlungstische, während die Radikalen Sabotageakte auf fossile Brennstoff-Infrastruktur verüben und beispielsweise Pipelines sprengen.
Zu Malms Beispielen für "intelligente Sabotage" gehört eine Aktion in Stockholm von 2007: Aktivisten ließen nachts die Luft aus den Reifen sämtlicher SUVs im wohlhabenden Viertel Östermalm.
"Pulsierender, bewusstseinserweiternder Moment"
Aufgeben ist für Andreas Malm keine Option, dem Klimafatalismus etwa von Jonathan Franzen erteilt er eine Absage. Sein Buch endet mit einer Aktion von "Ende Gelände", an der er selbst beteiligt war. Bei der Besetzung der Bahngleise zum Tagebau "Schwarze Pumpe" kam es zu einem spontanen Manöver: Eine Gruppe brach aus, überrannte einen Zaun und drang, am überrumpelten Wachpersonal vorbei, in das Kraftwerk ein.
"Für einen pulsierenden, bewusstseinserweiternden Moment hatten wir ein Stück der unseren Planeten zerstörenden Infrastruktur in den Händen", schreibt Malm. Die Stromerzeugung musste unterbrochen werden – ein Akt des Widerstands, der einen anderen Druck erzeugen kann als bloße Proteste.
Fatalismus ist "bürgerlicher Luxus"
Andreas Malm schreibt einerseits aus der Perspektive des historischen und ökologischen Wissenschaftlers, andererseits auch aus der Sicht des Aktivisten. Das macht sein Buch so lebendig. Zugleich lässt er keinen Zweifel am Ernst der Lage.
Fatalismus sei "ein bürgerlicher Luxus", den sich die Armen, die die Folgen der Erderwärmung viel stärker zu spüren bekommen, nicht leisten können. Und wenn es doch zum Äußersten kommt und das Klima nicht mehr zu retten ist? Dann wäre es immer noch "besser zu sterben, während man die Pipeline in die Luft jagt, als teilnahmslos zu verbrennen".