Chinas "Dunkelflotten" in Westafrika

Kameruns Fischer leiden

25:23 Minuten
Mehrere Holzboote liegen am Strand. Eines trägt die Aufschrift "Jesus". Zwei Männer präparieren neben dem Boot ein Netz. Im Hintergrund sind ein paar Häuser und viel Wald.
Fischer aus Limbe in Kamerun kommen wegen der ausländischen Fangflotten vor ihrer Küste teilweise ohne Fisch zurück. © Susanne Lettenbauer
Von Susanne Lettenbauer · 01.06.2022
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Im Schutz der Nacht werden im Golf von Guinea immer häufiger chinesische Trawler gesichtet. Lokale Fischer beschweren sich, dass die ausländischen Schiffe ihre Lebensgrundlage zerstören. Die Regierungen wollen es sich aber nicht mit China verscherzen.
Morgens um sieben Uhr am Hafen von Limbe. Eine kleine Hafenstadt in Kamerun. Über der Bucht hängt noch der Schleier vom Nachtregen. Die ersten Frauen kommen mit großen Plastikschüsseln auf dem Kopf zum Strand, setzen sich, mit dem Rücken an die Holzboote gelehnt. Und warten auf die Boote, um Fisch zu kaufen, erklärt eine: „Aber es ist schwer geworden. Die Fische werden immer kleiner.“
Langsam kommen auch Männer von den kleinen Holzhütten herunter zum Strand. Dieser Fischer ist an Land geblieben. Es würde sich einfach nicht mehr lohnen, meint er. 

Es gibt hier Probleme mit dem Fisch. Die Chinesen haben draußen auf dem Meer riesige Trawler, die unseren Fisch wegfangen. Einige unserer Fischer sind heute Nacht rausgefahren, aber die Trawler kommen immer ein Stückchen näher heran und töten viele Fische. Letztes Jahr ging es noch besser.

Ein kamerunischer Fischer

Die Männer bringen immer weniger Fisch nach Hause. Einige der alteingesessenen Fischer haben den Beruf aufgeben, sind arbeitslos, wie dieser Mann.
„Sie sind heute um zwei Uhr rausgefahren mit den Booten“, erzählt er. „Normalerweise fahren sie erst mal vier, fünf Stunden hinaus aufs Meer, ehe sie die Netze auswerfen. Wenn man einen guten Tag hat, dann ist das Netz voll mit Fisch, aber es wird immer weniger.“

"Wir müssen immer weiter rausfahren"

Gegen 9.30 Uhr die ersten Rückkehrer: ein bunt bemaltes Boot mit 15 jungen Männern. Einer springt ins Wasser, ein anderer wirft ihm die Ankerleine zu. Acht Stunden waren sie auf dem Meer.
Ein altes Boot mit mehreren jungen Männern landet am Strand. Einer der Fischer ist schon ins Wasser gesprungen. Im Hintergrund sind Inseln und Berge zu sehen.
Wütend auf die großen Fischtrawler: Ankunft von Fischern am Strand von Limbe in Kamerun© Susanne Lettenbauer
Jetzt müssten sie immer weiter rausfahren, weil der Fisch verschwunden sei. Bis nach Malabo seien sie mit ihren kleinen Booten gefahren – mitten im Atlantik, sagt einer der Männer, die mit dem ersten Boot kommen und zwei Eimer Fisch an den Strand hieven: der Fang der Nacht.
Das bringe auf dem Markt umgerechnet vielleicht 13 oder 20 Euro, meint einer. Auch andere Boote kommen jetzt mit der Flut an, die ebenfalls wenig gefangen haben. Die durchtrainierten, jungen Fischer – alle zwischen 16 und 25 Jahren alt – sind wütend auf die riesigen Fischtrawler, vor denen sie sich in Acht nehmen müssen, nachts in der Dunkelheit:
„Man sieht diese Trawler nicht, sie schalten die Lichter aus, man kann den Namen nicht erkennen, um sie zu melden. Und es sind viele, die tagsüber wieder in internationale Gewässer verschwinden. Sie schalten das Ortungssystem aus. Sie schalten die Lichter aus, keine Signale, nichts.“

Fischervereinigung: Trawler zerstören Netze

Die Vereinigung der traditionellen Fischer, die Union des pêcheurs artisanals maritimes (UNIPARM), verurteilt seit Jahren das Vorgehen der schwimmenden Fischfabriken aus dem Ausland in den internationalen Gewässern vor Kamerun:
„Die Fischer hier können nicht genug fangen aufgrund dieser Trawler. Wir hatten schon Zeiten, wo sie zwei Wochen lang ohne jeden Fisch zurückkamen. Die Trawler zerstören nämlich manchmal ihre Netze, also müssen sie ohne zurückfahren.“
Viele der Familien in Limbe stammen aus Ghana, Benin und Nigeria. Seit Generationen werden sie geduldet, es herrscht ein reger Austausch zwischen den Fischern am Golf von Guinea, man hilft sich trotz der unterschiedlichen Sprachen und konnte bislang gut vom Meer leben, sagt der Chef des Verbandes, Falowi Tata Jeme, und schüttelt den Kopf: 

Wir schicken gemeinsam mit dem Ministeriumsbüro hier am Hafen jeden Monat einen Bericht nach Yaoundé in die Hauptstadt, wer wie viel gefangen hat, die kennen die Situation, aber es passiert nichts.

Falowi Tata Jeme

Früher seien die Trawlerflotten vor dem Senegal unterwegs gewesen. Dort sind die Behörden mittlerweile sensibilisiert, kontrollieren streng die Einhaltung der Lizenzvorgaben. Deshalb ziehen die Fischfabriken weiter nach Süden – in den Golf von Guinea – dem Fisch hinterher in die weniger kontrollierten Gebiete, beklagt die traditionelle Fischervereinigung.

Hafenpolizei hat keine Boote zur Kontrolle

Auch der Hafenpolizei hier in Limbe sind Chinas große Fangschiffe seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge. Umsonst: "Wir können das nur weitergeben an die nächsthöhere Behörde, die wieder geben es weiter an ihre Vorgesetzten, mehr nicht."
Ein alter Holzverschlag mit Blechdach dient als Gebäude der Hafenpolizei. Im Hintergrund ist der Strand mit Booten.
Das Gebäude der Hafenpolizei ist nur eine Holzhütte. Auch für eigene Boote zur Kontrolle auf dem Meer fehlt es an Mitteln.© Susanne Lettenbauer
Adolf Mokolo ist als Chef der Hafenpolizei zuständig für die Überwachung der Küste. Eigentlich. Viel unternehmen könne er aber nicht. Er zeigt auf die vor sich hindümpelnden Holzboote im Wasser. Weit und breit kein Polizeiboot zu sehen.
Nein, sie hätten noch nicht einmal eigene Boote für die Küstenwache. Es fehle der Wille in der Politik, hier Geld zu investieren: „Ich weiß, woanders kontrolliert man das Hoheitsgebiet, hier ist das eben anders“, sagt er.

Fischereiministerium: Chinesen handeln legal

Hinter den Wellblech- und Holzhütten der Fischerfamilien weht vor dem geduckten, hiesigen Lokal-Büro des Fischereiministeriums die Kameruner Fahne. Nadege Matha ist verantwortlich für die Kontrolle und Überwachung der Fischfangquote.
Jeden Monat schreibt sie einen Bericht an ihre Vorgesetzten im Ministerium. Offiziell sei alles legal, was da draußen auf dem Meer vor Kamerun passiert. Sowohl in den internationalen Gewässern, wo es keine Regelungen gibt, als auch in der Zwölf-Meilen-Zone des Kameruner Hoheitsgebietes.
„Die Chinesen in den Hoheitsgewässern besitzen oft die Verträge, die hier nach Kameruner Recht vorgeschrieben sind. Sie sind zwar Ausländer und eigentlich werden Fischfang-Lizenzen nur an Einheimische vergeben. Aber die ausländischen Firmen bezahlen deshalb einen Kameruner Strohmann, damit sie die Lizenzen bekommen“, erklärt sie.
"Dieser Strohmann muss kein Fischer sein oder sich in der Fischwirtschaft auskennen. Das ist das große Problem. Die Kameruner Firma steht im Vertrag, erhält die Lizenz, aber die ausländische Firma nutzt unsere Fischbestände. Unsere Ressourcen werden von den ausländischen Fischereibetrieben ausgebeutet und wir haben nichts davon."
Ein Teufelskreis, gegen den Kameruns Regierung nichts tut. Denn der Anteil der Fischerei an der Wirtschaft Kameruns beträgt offiziell nur drei Prozent. Zu wenig, um deshalb das Verhältnis zu China, dem wichtigsten Investor im Land und anderen Staaten aufs Spiel zu setzen.
Das Schicksal der Fischerfamilien ist der Regierung offenbar nicht so wichtig. Mit nachhaltigen Folgen.

Fischer weichen auf Schmuggelgeschäfte aus

In einigen der Boote im Hafen von Limbe liegen riesige, blaue Fässer dicht an dicht. Die Boote sind größer, nicht bemalt und mit einem kräftigen Motor ausgestattet.
Es ist ein offenes Geheimnis, das damit Erdöl, Drogen, Benzin, Waffen und andere Dinge von Nigeria nach Kamerun und zurück transportiert werden – besser gesagt – geschmuggelt. Eine andere Möglichkeit für die Fischerfamilien, sich über Wasser zu halten, wenn der Fisch immer weniger wird.
Ministeriumsmitarbeiterin Matha sieht das pragmatisch: „Sie transportieren Erdöl von Nigeria hierher nach Kamerun und bringen Waren von Kamerun nach Nigeria, wie Kleidung oder Gemüse. Alles Mögliche, was man dort verkaufen kann. Diese großen Boote sind deshalb nur für den Warentransport und nicht für den Fischfang.“

Ortungssysteme zum Schutz gegen Piraten ausgeschaltet

Neben dem Schmuggel hat auch die Piraterie im Golf von Guinea zugenommen. Die Hochseefrachter schützen sich dagegen, indem sie Hunde und Waffen an Bord haben, erzählt Matha im Lokalbüro des Fischereiministeriums. Als Schutz gegen die Überfälle schalten die Kapitäne zusätzlich das eigentlich dringend vorgeschriebene Ortungssystem AIS aus, um nicht von den Piraten gefunden zu werden.
Der willkommene Nebeneffekt: Sie können auch nicht mehr von den Kameruner Kontrollbehörden gefunden werden. Umso schwerer ist es für die gesetzlich vorgeschriebenen, staatlichen Inspektoren, illegale Fänge aufzudecken. Diesen oft gefährlichen Job will schon lange keiner mehr machen, erklärt Matha.

Die Kontrollen auf hoher See sind nicht einfach. Man muss dafür ausgebildet sein, die Trawler hochzuklettern, einen Bericht zu schreiben, die Fischer richtig anzusprechen. Viele von ihnen haben keinen Respekt vor den Behörden. Kommt man den Schiffen näher, dann drehen sie ab und fahren einfach davon. Ein Katz-und Maus-Spiel.

Sie kooperieren nicht mit uns. Einige haben Hunde an Bord, die sie auf die Inspektoren hetzen. Wir hatten da schon etliche Unfälle an Bord, das ist wirklich gefährlich für uns.

Nadege Matha

Ältere Fischer beobachten ausländische Trawler

Die Häfen von Kamerun setzen deshalb seit einiger Zeit verstärkt auf ältere Fischer. Sie fahren nicht zum Fischen aufs Meer hinaus, sondern um die illegalen Schiffe zu dokumentieren.
Der 73-jährige David Butame kam vor 48 Jahren aus dem Benin nach Kamerun, besitzt vier Boote. Aufs Meer fährt er nur noch, um die ausländischen Trawler zu beobachten und sofort zu melden. Anders könne man nicht gegen sie kämpfen.
„Für uns ist es so viel schwerer geworden. Die chinesischen Schiffe fangen alles weg. Sie kommen so gegen vier, fünf Uhr, meist zu zweit. Manchmal überfahren sie die Netze und Boote unserer Leute. Viele von uns können aber keine andere Arbeit annehmen, wir waren doch immer Fischer“, erzählt er.
Die Folge: Nicht nur die jungen Männer fahren häufig umsonst aufs Meer – weniger Fisch bedeutet auch höhere Preise für die einheimische Bevölkerung.

Räucherfisch aus Limbe ist nun ein Luxus

Viele Fischerfrauen, die morgens mit den großen Plastikschüsseln auf dem Kopf zum Hafen kommen, kaufen den jungen Männern den Fang direkt vom Boot ab. Die größeren Fische verkaufen sie gegrillt auf dem Frischmarkt.
Die kleineren, wie zum Beispiel Sardinen, werden geräuchert, erzählt diese Frau in ihrer Hütte neben einer riesigen Feuerstelle: „Der Preis ist gestiegen, ja, aber das ist das Einzige, was wir machen können.“
Drei Tage lang räuchern ihre Fische. Die vier Kinder sitzen zwischen den Fischen im Rauch. Noch kann diese Fischersfrau ihre Kinder ernähren, den Preis gibt sie weiter an die Marktfrauen.
Der bis in die Hauptstadt Yaoundé berühmte Räucherfisch aus Limbe ist mittlerweile ein Luxus, so diese Aufkäuferin in einer der Räucherhallen.
„Letztes Jahr kostete der Fisch viel weniger. Es lohnt sich nicht mehr für mich, das auf unserem Markt in Buea zu verkaufen, der Fisch ist zu teuer, ich mache keinen Profit mehr“, sagt sie.

Auch Schiffe aus Europa fischen vor Kamerun

Natürlich seien viele chinesische, aber auch koreanische und japanische Trawler am illegalen Fischfang im Golf von Guinea beteiligt, sagt Maurice Beseng, Meeresforscher an der englischen Universität Sheffield und gebürtig aus Kamerun. Seine neuesten Forschungen zeigen aber, es sind auch Schiffe aus Europa dabei.

Der Golf von Guinea ist eine strategisch äußerst wichtige Region. Für den Abtransport von Bodenschätzen, für die Fischerei, dort gibt es sehr viele Interessen. Es gibt zum Beispiel noch viel Thunfisch und Shrimps. Sie kennen den hohen Preis von Shrimps im europäischen Supermarkt, das lohnt sich richtig, dort zu fischen.

Maurice Beseng

Maurice Beseng beobachtet die Situation im Golf von Guinea seit einigen Jahren. Sein jüngster Bericht vom Dezember 2021 kommt zu dem ernüchternden Ergebnis, dass auch Firmen aus Europa die Korruption in den Anliegerstaaten ausnutzen, um frischen Atlantikfisch auf den deutschen, französischen oder spanischen Tisch zu bringen. Das sei einfach sehr lukrativ.
„Manche Leute meinen, illegale Fischerei bedeutet wenig Risiko und hohen Profit. Ganz so einfach ist es nicht. Das Fischen auf hoher See ist schon recht kompliziert. Aber die Investitionen sind überschaubar, das Risiko auch, und die Gewinne hoch. Das lockt immer mehr Kriminelle an“, sagt er.
Während viele Kameruner denken, dass hauptsächlich chinesische Schiffe beteiligt sind, gibt es laut Beseng viele andere Schiffe aus der EU und anderen Nationen.
„In Kameruner Gewässer sind Schiffe aus China unterwegs, aus Korea, aus Griechenland, ja, aus Europa. Und sie sind dort unterwegs, wo es gar nicht so viel Fisch gibt und auch keine staatlichen Kontrollen“, sagt er. „Man kann sich vorstellen, welchen Einfluss das auf die Meeresökologie hat. Und die einheimischen Fischer haben nicht genug Einkommen – ein großer Konflikt.“

Kamerun importiert Fisch aus China

Gegen die chinesischen „Dunkelflotten“ kann und will Kamerun nicht umfassend vorgehen, denn das Land steckt in einem Dilemma: China investiert Millionen in Infrastrukturprojekte, baut momentan einen strategisch wichtigen Tiefseehafen in dem früher beschaulichen Erholungsort Kribi, der größte in Zentralafrika.
China ist beteiligt an Konzessionen – also Nutzungsrechten – für Tropenholz aus dem Regenwald im Kongobecken, an Kakao- und Kautschukplantagen. Chinas Regierung ist an guten Geschäften mit Westafrika interessiert. Umweltstandards seien zweitrangig, sagt Meeresforscher Beseng.
Ausländische Hochseeschiffe würden auch Chemikalien einsetzen, um ihren illegalen Fang von zu kleinen Fischen zu vertuschen.
„Es gibt Regularien, die die Größe der gefangenen Fische begrenzen. In den illegal engmaschigen Netzen finden sich aber oft ganz kleine Fische“, erklärt er. „Wenn diese ins Meer zurückgekippt werden, bleiben sie oft an der Oberfläche und damit sie schneller absinken, werden sie vorher mit Chemikalien besprüht.“
Das alles führt zu einer bizarren Situation in Kamerun. Laut Regierung hat das Küstenland einen Bedarf an 400.000 Tonnen Fisch pro Jahr für den eigenen Verbrauch. Es kann diesen Bedarf aber nicht mehr selbst decken, sondern muss den Großteil – rund 280.000 Tonnen Fisch – importieren. Unter anderem von chinesischen Firmen.
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