Frauen in Afghanistan

In einem Gefängnis aus Verboten

Afghanische Frauen stehen im Mai 2023 an einer Essensausgabe in der Schlange
Viele Frauen fühlen sich in Afghanistan wie im Gefängnis. © picture alliance / AP / Ebrahim Noroozi
16.08.2023
Vor zwei Jahren marschierten die Taliban wieder in Kabul ein. Erst gaben sich die Islamisten nach der Machtübernahme gemäßigt. Doch das änderte sich schnell. Das bekommen vor allem Frauen zu spüren.
Im August 2021 verließen die von der NATO geführten Truppen Hals über Kopf die afghanische Hauptstadt Kabul. Damit endete ein jahrelanger Krieg, aus dem die Taliban als Gewinner hervorgingen. Zwar hat sich die Sicherheitslage im Land verbessert, doch die ökonomische Situation ist für die meisten Menschen sehr schlecht. Hinzu kommt eine lang anhaltende Dürre. Viele Afghanen leben in Armut und sind auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Besonders leiden Mädchen und Frauen.

Wie haben die Taliban die Rechte der Frauen beschnitten?

Anfangs gaben sich die Taliban harmlos. Mit der Festigung ihrer Macht wurden die Rechte von Frauen aber immer weiter eingeschränkt. Anfang Mai 2022 wurde die Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit eingeführt, anschließend weiterführende Schulen für Mädchen geschlossen.
Seit November dürfen sie keine Parks mehr besuchen. Im Dezember wurde Frauen der Zugang zu Universitäten verwehrt. Außerdem sollen sie aus den im Land aktiven Hilfsorganisationen herausgedrängt werden.
Frauen werden zunehmend aus der Öffentlichkeit verbannt. Sie dürfen sich nur noch mit männlicher Verwandtschaft durchs Land bewegen. Es ist ihnen untersagt, Sport zu treiben. Die afghanische Frauennationalmannschaft im Fußball ist nach Australien geflüchtet. Ganz lassen sich die Frauen aber nicht verdrängen - zumindest im Stadtbild der Metropole Kabul seien sie noch präsent, auch ohne Burka, sagte Elke Gottschalk von der Welthungerhilfe im Deutschlandfunk.
Auch in der Arbeitswelt wollen die Taliban die Frauen verdrängen. Sie dürfen nicht mehr mit Männern zusammenarbeiten. Wo möglich sind sie ins Homeoffice ausgewichen. Sofern sie sich an Regeln wie strikte Geschlechtertrennung und Verhüllung halten, werden sie aber zum Beispiel im IT-Bereich weiterbeschäftigt. Kleidervorschriften gelten zudem auch für Männer: Kopfbedeckung, Bart, afghanische Kleidung samt Weste. Sittenwächter sorgen für die Einhaltung der Regeln - sie sind gefürchtet.
Ironischerweise werden Frauen aber auch von den Taliban beschäftigt - als Sicherheitskräfte, um die "Gender-Apartheit" aufrechtzuerhalten. Dafür ist weibliches Personal nötig. Friseur- und Schönheitssalons von Frauen für Frauen wurden jedoch verboten. Sie gehörten zu den letzten unabhängigen Frauenwirtschaften. Mehrere zehntausend solcher Salons soll es gegeben haben. Die Anzahl der Moderatorinnen und Journalistinnen ist massiv zurückgegangen. Die Wenigen, die es noch gibt, treten komplett verschleiert vor die Kameras, sodass man nur noch die Augen sieht.

Wie haben internationale Hilfsorganisationen reagiert?

Die in Afghanistan aktiven Hilfsorganisationen stehen vor zwei Herausforderungen. Zum einen ist das Land von einer Hungersnot und großer Armut betroffen. Die große Mehrheit der Bevölkerung - 90 Prozent, könne sich nicht ausreichend ernähren, zwei Drittel der Menschen seien auf humanitäre Hilfe angewiesen, berichtet Elke Gottschalk von der Welthungerhilfe. Frauen und Kinder litten besonders. Um sie zu versorgen, brauche es Kontakte zu Frauen. Dass sie aus der Öffentlichkeit verdrängt würden, erschwere aber die Versorgung.
Ein anderes Problem sei, dass es Frauen eigentlich verboten ist, für Hilfsorganisationen zu arbeiten, so Gottschalk. Organisationen wie die Welthungerhilfe beschäftigten sie aber weiterhin – im Homeoffice. Das werde von den Taliban zwar noch geduldet, doch gingen die Frauen mit ihrer Beschäftigung ein hohes Risiko ein. Sie hätten aber oft keine andere Wahl, denn sie ernährten mit ihrem Lohn die Familie.
Für die Hilfsorganisationen führt kein Weg daran vorbei, mit den Taliban zu verhandeln, berichtet Gottschalk. So könnten Freiräume für die Nothilfe herausgeschlagen werden, um Nahrungsmittel und Bargeld zu verteilen. Auch könne auf diese Weise der Kontakt zu Frauen aufrechterhalten werden.

Wie protestieren die Frauen gegen die Unterdrückung?

Immer wieder protestieren Frauen in Afghanistan gegen die Ausgrenzung durch die Taliban. Im Juli demonstrierten rund 50 Frauen in Kabul unter dem Motto „Arbeit, Brot, Gerechtigkeit“ gegen das Verbot, einen Schönheitssalon zu betreiben. Dies ist für sie oft die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Die Taliban gingen mit Elektroschockern und Schüssen in die Luft gegen die Kundgebung vor.
Frühe Demonstrationen gab es auch, nachdem die Taliban die ersten Einschränkungen für Frauen verkündet hatte. Auch das Verbot der Universitätsbildung führte zu Protesten. Dutzende Frauen gingen im Dezember im westafghanischen Herat auf die Straße, in Kleingruppen, Parolen wie "Bildung ist unser Recht" skandierend. Die Taliban reagierten mit Schlagstöcken und Wasserwerfern.
Seitdem wird der Unmut kaum mehr öffentlich ausgedrückt. Die meisten Afghaninnen ziehen sich zurück. Sie versuchen, die verbliebenen Spielräume zu nutzen. Es gibt Untergrundschulen in Wohnungen. Hier unterrichten zum Teil Oberschülerinnen junge Mädchen.
Bildungsangebote gibt es auch über das Internet. Universitätskurse für Frauen bietet zum Beispiel der "World University Service" an. Allerdings ist der Netzzugang schwierig. Es fehlt an Computern und an Leitungen. Auch zensieren die Taliban das Internet, teils mit chinesischer Hilfe.

Warum schränken die Taliban die Rechte von Frauen ein?

Die Unterdrückung der Frauen in Afghanistan durch die Taliban lässt sich nach Meinung vieler Islamwissenschaftler nicht mit dem Koran begründen. Sie kommt eher von der Stammestradition der Paschtunen. Das ist eine afghanische Volksgruppe, der viele Taliban angehören. Diese Tradition ist Frauen gegenüber äußerst rigide und deren ungeschriebene Regeln gelten für die Taliban als verpflichtend.
Mit ihrem Vorgehen gegen die Frauen senden die Taliban eine Botschaft - das Emirat soll ein Modell werden für die islamische Welt. Außerdem konkurrieren sie in Afghanistan mit Organisationen, die noch radikaler sind, beispielsweise breitet sich der sogenannte Islamische Staat im Land aus. Da wollen die Taliban Stärke demonstrieren.
Außerdem sind die Einschränkungen ein Faustpfand in Bezug auf die internationalen Sanktionen. Die Taliban könnten Verbote für Frauen zurücknehmen, wenn im Gegenzug Sanktionen gegen das Land aufgehoben werden.

Was droht Frauen, wenn sie gegen die Taliban-Regeln verstoßen?

Der Strafkatalog der Taliban ist lang und die Strafen sind drastisch. Nicht immer werden sie offiziell verhängt, oft reicht die Einschüchterung. Treiben Frauen zum Beispiel verbotenerweise Sport, erreichen sie Drohanrufe.
Auch demonstrieren ist gefährlich. Bei Protesten gehen die Taliban repressiv vor. Mindestens eine der Frauen, die gegen das Bildungsverbot protestiert hat, wird vermisst. Andere wurden teils über Wochen festgehalten.
Die offiziellen Strafen sind zudem drakonisch: Neun Frauen wurden in Zentralafghanistan öffentlich ausgepeitscht, weil sie gegen die Taliban-Regel verstoßen haben sollen, die außereheliche Beziehungen verbietet. Wegen dieses Vorwurfs wurden Frauen sogar schon gesteinigt.

Wie wurde international auf die Einschränkung der Frauenrechte reagiert?

Die Politik der Taliban stößt international auf Kritik. UN-Generalsekretär António Guterres prangerte die "systematischen Angriffe auf die Rechte von Frauen und Mädchen" an. Er sprach von "Geschlechter-Apartheid".
Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) hat die Behauptung der Taliban zurückgewiesen, dass ihr Umgang mit Frauen und Mädchen im Einklang mit der Scharia steht.

beb, Peter Hornung, dpa, AP, AFP
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