Zweiter Weltkrieg

"Der nichtjüdische Widerstand war geringer als der jüdische"

12:28 Minuten
Historische Aufnahme von einem Mann und zwei Frauen mit erhobenen Armen, die von der SS-Polizei abgeführt werden.
Festnahme von jüdischen Widerstandskämpfern durch Einheiten der Waffen-SS und der Polizei, 1943 im Warschauer Ghetto. © ullstein bild / Getty Images
Achim Doerfer im Gespräch mit Andrea Gerk · 17.12.2021
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Jüdischer Widerstand im und nach dem Zweiten Weltkrieg ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Achim Doerfer zeigt in seinem Buch "Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen" eine andere Geschichte.
Jüdischen Widerstand oder gar Rache scheint es während und nach dem Zweiten Weltkrieg kaum gegeben zu haben. Das ist zumindest die öffentliche Wahrnehmung. Der Göttinger Rechtsanwalt und Autor Achim Doerfer setzt sich in seinem neuen Buch „Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen“ mit diesem Thema auseinander. Der Untertitel des Buchs lautet: "Die Rache der Juden, das Versagen der deutschen Justiz und das Märchen deutsch-jüdischer Versöhnung“.
Poträt von Achim Doerfer vor einer schwarzen Klinkerwand.
Achim Doerfer ist promovierter Rechtsphilosoph und Autor.© Hale Doerfer-Kir
Er selbst ist Enkel und Kind von Frauen, die den Holocaust überlebt haben. Er beschäftigt sich schon lange mit der Geschichte seiner Familie. Doch irgendwann sei ihm bewusst geworden, sagt Doerfer, dass die Erzählung über das Schicksal der Juden in Deutschland auch nach 1945, in den Lagern für Displaced Persons, sehr eine Schilderung von äußeren Ereignissen war – auch in seiner Familie.
„Meine Großmutter kam aus dem Konzentrationslager zurück. Meine Mutter kam aus dem Versteck zurück. Man hat sich irgendwie in Leipzig wiedergefunden. Die Wohnung war ausgebombt, man hatte irgendwie seine Habseligkeit. Man musste wieder auf die Füße kommen.“

Unter Mördern leben - mit welchen Gefühlen?

Aber ihm habe bei den Erzählungen das Innere gefehlt. „Was ist in den Leuten eigentlich vorgegangen?“ Und: „Wie ging es einem vor allem damit, jetzt auf einmal unter lauter Mördern leben zu müssen?“
Er empfand das auch für sich als Unehrlichkeit. Denn es gehe dabei auch um ein Selbstbild: „Möchte ich ein Selbstbild als Opfer haben? Oder möchte ich ein Selbstbild haben als ein Mensch, der einer Gruppe angehört, die all die Gefühle haben kann - und auch haben soll - wie sonst auch?“

Jüdischer Widerstand unter Juden kaum bekannt

Dass sich das Bild der Juden als Opfer in der öffentlichen Wahrnehmung so in den Vordergrund gedrängt hat, sei teilweise auch von Juden selbst ausgegangen, erklärt Doerfer. Der jüdische Widerstand sei denen, die auf jüdischer Seite auf intellektueller Ebene zunächst das Geschichtsbild geprägt haben, kaum bekannt gewesen.
So habe beispielsweise auch Hannah Arendt dieses Bild der Juden benutzt, die zur Schlachtbank geführt wurden. So hätte Arendt von ihrer Upper-West-Side-Wohnung nur ein paar Kilometer nach Brooklyn fahren müssen. „Da hätte sie einen Schneider gefunden, der im Widerstand war. Der johlend unter dem Tor von Buchenwald durchgefahren ist, im Mercedes des ehemaligen KZ-Aufsehers und dessen Frau eingeschüchtert hat, die ihn vorher hatte verprügeln lassen“, sagt Doerfer.

Deutsche reklamierten Widerstand für sich

Außerdem hätten die Deutschen den Widerstand für sich reklamiert, obwohl der nichtjüdische Widerstand proportional viel geringer gewesen sei als der jüdische. Das ziehe sich bis heute durch, beispielsweise bei Straßennamen. „Da kommen jüdische Widerstandskämpferinnen und -kämpfer gar nicht vor.“ Da brauche es endlich praktische Schritte.
Ein Beispiel sei die Jüdische Brigade der britischen Armee. „Die haben nach 1945 mithilfe des jugoslawischen Geheimdienstes, mit Hilfe von Listen der Amerikaner, mit Hilfe von eigenen Recherchen Hunderte von schwersten Nazi-Tätern in Norditalien aufgespürt, sie in einer Art rechtsförmigem Verfahren verhört und danach liquidiert.“
Angesichts dessen, dass aus Deutschland schwerste Nazi-Täter geflohen seien, hätten sie die juristische Verfolgung selbst in die Hand genommen. „Die haben in ihrem Zeitraum deutlich mehr Verfahren durchgeführt als die gesammelte deutsche Justiz.“
Auch durch Filme komme das Thema jüdischer Widerstand mehr in der Öffentlichkeit an, so Doerfer. Etwa durch Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“, der in Israel und den USA sehr bejubelt wurde, weil sich Jüdinnen und Juden darin mal als mächtig dargestellt sehen. Oder „Plan A“ mit August Diehl, der gerade in den Kinos angelaufen ist. Da geht es auch um eine Gruppe Holocaust-Überlebender, die eine Racheaktion planen.
Von jüdischer Seite bekomme er durchweg positive Reaktionen, sagt Doerfer. Sein Ansatz dabei: „Die Stärke habe, Dinge auch mal ein bisschen härter und deutlicher auszusprechen.“ Das tue er auch für Menschen, die es nicht aussprechen könnten, weil sie vielleicht noch stärker traumatisiert seien.
(abr)

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