Aby Warburgs Nordamerika-Reisen

Faszination für die Kultur der Indigenen

Cover von Horst Bredekamps Buch "Aby Warburg, der Indianer". Im Hintergrund ist ein Foto von Aby Warburg zu sehen.
Aby Warburg reiste in den Jahren 1895/96 zu den Pueblo-Völkern New Mexicos und den Hopi in Arizona. © Verlag Klaus Wagenbach / dpa
Horst Bredekamp im Gespräch mit Frank Meyer · 31.01.2019
Er liebte Bücher. Doch der Kunst zuliebe reiste Aby Warburg auch schon mal bei Minusgraden zu indigenen Völkern. Warum diese den Kulturwissenschaftler am Ende des 19. Jahrhunderts so beeindruckten, erklärt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp.
Frank Meyer: "Aby Warburg, der Indianer", dieses Buch ist vor Kurzem im Verlag Wagenbach erschienen. Der Hamburger Kunsthistoriker Aby Warburg gilt als einer der großen Anreger in der Geistesgeschichte. Er hat von 1866 bis 1929 gelebt. Wie die Antike präsent geblieben ist in der europäischen Kultur, das war sein großes Thema. Aber "Abi Warburg, der Indianer", das wirft jetzt Fragen auf, und darüber reden wir mit dem Autor des Buches, Horst Bredekamp, Professor für Kunstgeschichte in Berlin. Bis zum vergangenen Jahr war er einer der Gründungsintendanten des Berliner Humboldt-Forums. Seien Sie willkommen in der "Lesart", Herr Bredekamp!
Horst Bredekamp: Guten Morgen!
Meyer: Bevor wir über Aby Warburg als Indianer reden, erklären Sie uns doch mal bitte, warum hat Warburg eigentlich in der Kunstgeschichte einen so legendären Ruf?
Bredekamp: Aby Warburg ist eine fast romantische Figur schon durch sein Leben. Er war der Erstgeborene der Hamburger Warburg-Bank, die ja weltweit agierte, und hat schon in sehr jungen Jahren, also in seiner Kindheit, sich dermaßen für Literatur und Geschichte interessiert, dass er die Nachfolge der Bank an seinen dann folgenden Bruder übergeben hat – mit dem Gebot, dass er sich bis an sein Lebensende auf Kosten der Bank jedes Buch kaufen dürfte, das er erwerben wollen würde.
Meyer: Daraus hat er auch eine große Bibliothek gemacht.
Bredekamp: Und daraus ist diese große und wie Sie sagen legendäre Bibliothek geworden, die 1933 dann unter glücklichsten Umständen nach London emigrieren konnte und hat dort eine der wichtigsten Stellungen in der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts bis heute im Grunde gehabt. Das Zweite ist, dass er eine Methode mit der sogenannten Wiener Schule um 1900 begründet hat, die sich nicht nur um die Hochkunst kümmert, sondern um Bilder im weitesten Sinn. Er hat sich für Briefmarken ebenso wie für naturwissenschaftliche Bilder interessiert, er war interessiert an der künstlerischen Avantgarde. Er hat sich für politische Repräsentationen genauso wie für Raphael und die italienische Renaissance überhaupt interessiert. Das hat ihn zu einem Modellfall für eine Kunstgeschichte gemacht, die eben Bildgeschichte im allerweitesten Sinn ist, und darin hat er seinen – um Ihren Begriff noch mal aufzunehmen, Ihr Adjektiv – legendären Ruf.

Beeindruckt von der Kultur der Hopi

Meyer: Und wieso ist dann aber dieser promovierte Kunsthistoriker Aby Warburg dann 1895/96 in die USA gereist zu den Pueblo-Völkern von New Mexico und zu den Hopi in Arizona, was hat ihn da hingezogen, was hat ihn da interessiert?
Bredekamp: Es kommen mehrere Stränge zusammen. Es gibt das große Interesse der – ja, das ist eine Absonderlichkeit – der Deutschen im 19. Jahrhundert für die Indianer. Es gab die Anmutung einer Geistesverwandtschaft, keine Nation, Stämme sozusagen, die sich nie in größeren Zusammenhängen zusammengefunden hatten und gerade da heraus einen gewissen Stolz entwickelt hatten. Das war die Brücke, die geschlagen wurde und die bis heute ein besonderes Verhältnis zu den Indianern – also Segeberg und so weiter – begründet hat. Er hat später, dieses Interesse, als eine Kinderromantik angesehen, aber das war einer der Bezüge, warum er, als er in New York, von der modernen Zivilisation, die er dort antraf, eher in Bankkreisen sich bewegend, abgestoßen war. Dann auf Franz Boas traf, den dann kommenden berühmtesten Ethnologen und Anthropologen überhaupt, und der wies ihn auf Personen hin, über die er zu den Pueblo-Indianern nach Südwestamerika finden konnte. Er hatte diese Idee, er hatte nun einen Boten, einen Leiter sozusagen, und ist dann über Washington in diese Gegend gefahren. Und das war 1895/96 das Erlebnis seines Lebens.
Meyer: Sie haben uns ja vorhin schon beschrieben, wie breit das Interesse von Aby Warburg war, wie viele verschiedene Arten von Bildern er als Kunstgeschichtler angeschaut hat. Hat er auch bei den Pueblo-Völkern Bilder gefunden, Masken zum Beispiel, die er sozusagen gleichrangig als Gegenstand seines kunstgeschichtlichen Interesses dann betrachtet hat?
Bredekamp: Ja, Aby Warburg war von der Kultur, von der Kunst der Indianer, vor allem der Hopi, zutiefst beeindruckt, weil sie etwas vorführten, was ihn selbst von Beginn an interessiert hatte, nämlich die Bildproduktion, die keinesfalls sich allein in Fresken und in großartiger Ölmalerei niederschlägt, sondern die von den Gesten, den Körperbewegungen ausgehen. Alle Bedeutungszonen und -sphären, die von Körpergestik wie gesagt ausgingen, über dann Federn, über Gefäße bis hin zu Skulpturen, diese Denkbewegung, die er ja mitbrachte – alle Bilder hat er im Kreis der Indianer in einer Vollendung vorgefunden für seinen Begriff, dass diese Erfahrung seinen Kunstbegriff insgesamt im Grunde bis an sein Lebensende mitbestimmt hat. Oder bestimmt hat, so kann man es sagen. Er hat es selbst gesagt: Ich habe mich mein Leben lang mit vor allem der Kunst der Renaissance und der Florentiner-Kunst beschäftigt – er hat über Botticelli promoviert –, all dies kommt der Kunst der Indianer nicht gleich. Das hat er einmal gesagt, und das bezeugt den tiefen Eindruck, den diese Kultur auf ihn gemacht hat.

"Unter keinen Umständen ein Blick nach unten"

Meyer: Das ist überhaupt das Herausragende und Besondere an ihm, wenn ich Ihr Buch da richtig verstanden habe, dass er eben nicht, wie es in seiner Zeit ja üblich war, herabgesehen hat auf die Kunst der sogenannten Primitiven und von einer kulturellen Höherentwicklung ausgegangen ist, sondern dass er die Kunst eben der Indianer als mindestens gleichrangig angesehen hat zu dem, was er in der Antike oder in der Renaissance gesehen hat. Das macht ihn zu so einem besonderen Kunstbetrachter seiner Zeit?
Bredekamp: Sie haben das präzise beschrieben, aber er war überhaupt kein Sonderfall. Das ist in gewisser Weise – und das versuche ich auch zu beschreiben – eine Projektion nach dem Ersten und vor allem dann nach dem Zweiten Weltkrieg, die in einer Art Wiedergutmachung alles, was vor den Nazis war, in eine negative Bestimmung gebracht hat, als wären es Vorfahren dessen, was das Grauen der Nationalsozialisten ausgemacht hat. Dies war in der Regel nicht der Fall. Die Forscher und über die Forscher hinaus haben keineswegs mit dem Begriff des Primitiven eine niederstehende Kultur verbunden, sondern eine ursprüngliche, die in gewisser Weise gegenüber – ich sag das in Anführungszeichen – "dekadenten modernen Zivilisation überlegen" waren. Also es ist unter keinen Umständen ein Blick nach unten, sondern im selben Sinn nach oben, also im Sinne einer Ursprünglichkeit, die das Elementare dessen, was Gemeinschaften zusammenhält, deutlicher zeigen lassen als die Verstellung durch Technik, durch Verkehrswesen, durch Massenmedien und dergleichen.
Meyer: Das ist ja auch deshalb interessant, was Sie jetzt beschreiben, Sie verbinden in Ihrem Buch auch ausdrücklich Ihren Blick auf Aby Warburg, also in die Geschichte mit den derzeitigen Diskussionen über ethnologische Sammlungen, über außereuropäische Kunst in unseren Sammlungen, um die Frage der Rechtmäßigkeit der Aneignung dieser Kulturgüter durch europäische Nationen. Und da schreiben Sie, dass eben Aby Warburgs Umgang mit der Ethnologie einen neuen Blick ermöglichen könnte auf diese Wissenschaften. Wie meinen Sie das?
Bredekamp: Ja, es ist ein erstaunliches Phänomen, dass Aby Warburg, dessen Leben bis auf jeden Tag durchleuchtet worden ist, ein Jahr gleichsam bisher verborgen hat. Das ist das Jahr, das er nach seiner Reise zu den Hopi in Berlin verbracht hat. Das ist bisher unbekannt. Und in dieser Zeit hat er sich am königlichen Museum für Völkerkunde bewegt, hat engsten Kontakt mit den dort agierenden Kuratoren aufgenommen und hat dort dieses Konzept mit diesen Kuratoren entwickelt, im Einklang mit ihnen, das eben keinesfalls mit einer Dominanzempfindung zu tun hatte, sondern mit der Suche nach - Adolf Bastian, der Direktor des Museums hat das so formuliert – den Elementargedanken, die zur Selbsterkenntnis führen. Elementargedanken, die Gemeinschaften zusammenhalten, die in der modernen Zivilisation verdeckt sind, verstreut, im Grunde nicht mehr diagnostizierbar, findet der Forscher in den sogenannten primitiven Kulturen noch, sodass er im Rückschlag seine eigene Zeit, seine eigene Kultur genauer verstehen kann. "Erkenne dich selbst" war ein Hauptantrieb, um überhaupt ethnologische Studien anzustellen, und dies hat nichts, aber auch gar nichts zu tun mit Kolonialgedanken oder gar Raubgut.

Ritt durchs Gebirge bei minus 15 Grad

Meyer: Aber muss man nicht andererseits auch sagen, wenn Aby Warburg da in den Südwesten Amerikas reist zu den Hopi und zu den Pueblo-Völkern: Erstens bewegt er sich in einem kolonialen Kontext, weil diese Gebiete ja von Kolonisten erobert wurden, und zweitens, wenn er, wie Sie das gesagt haben, sie beschreibt als elementare Völker mit einer elementaren Kultur, schreibt er sie nicht auch fest in einem solchen Bild eben als andere zu den entwickelten Europäern? Muss man das nicht auch in Betracht ziehen beim Blick auf ihn?
Bredekamp: Ja, das hat er selbst in Betracht gezogen, selbstverständlich. Das haben die Ethnologen als ein großes Problem erkannt und in ihre Forschung auch eingebracht. Bei der letzten Station in San Elifonso ging es dann in einen harten Ritt durch das Gebirge bei teilweise bis zu 15 Grad minus, ohne Zelte. Das waren sozusagen Initiationswege, um sich in gewisser Weise diesen Schutz der Zivilisation abzunehmen und sich dann auf eine unbefangenere Weise zu begegnen. Das ist das Eine.
Das Zweite ist, dass diese Gemeinschaften – das ist ja immer wieder betont worden – Händler waren. Es waren Tauschgesellschaften, und man muss niemals glauben, dass die Weißen die Bösen und Indianer oder die Ozeanier besser Menschen waren. Beide haben zum eigenen Vorteil gehandelt. Die Indianer haben Kopien für Originale ausgegeben, und die europäischen oder ostamerikanischen Ethnologen haben die große Bedeutung von Gegenständen dann nicht im ersten Wort gesagt. Jeder versucht sich natürlich seinen Vorteil zu holen, aber das ist wechselseitig, es ist Handel, wie er überall auf der Welt von Beginn der Menschheit bis heute stattfindet. Und das allein kann man, denke ich, nicht vorschnell negativ auslegen, dass ein Handel existiert – nicht asymmetrisch, aber dennoch auch auf derselben Ebene beides paradox zusammengebunden.
Meyer: Und auch das spielt hinein in dieses Buch, "Aby Warburg, der Indianer". Vielen Dank für das Gespräch!
Bredekamp: Danke schön!

Horst Bredekamp: "Aby Warburg, der Indianer. Berliner Erkundungen einer liberalen Ethnologie"
Verlag Wagenbach, Berlin 2018
176 Seiten, 18 Euro

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