Sebastian Panwitz: "Das Haus des Kranichs"

Ein Unternehmer, der produktiv und kreativ gestaltete

Buchcover "Das Haus des Kranichs" vor einer Hausfassade
Buchcover "Das Haus des Kranichs" vor einer Hausfassade © Imago / Verlag Hentrich&Hentrich
Moderation: Maike Albath · 30.06.2018
Die Geschichte der Bankiers von Mendelssohn & Co. ist die eines Unternehmens, das über fünf Generationen von einer prominenten Familie geführt wurde. Sebastian Panwitz schildert sie als Spiegel der Politik- und Wirtschaftsgeschichte.
Maike Albath: Der Aufklärer Moses Mendelssohn, als deutscher Sokrates in ganz Europa geachtet, ist ein Begriff. Zu den berühmtesten Mitgliedern der Familie zählt außerdem der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy, aber dass die Mendelssohns auch im Finanzwesen aktiv waren, weiß kaum jemand. "Das Haus der Kranichs" heißt ein Band, der sich der Geschichte der 1795 gegründeten Privatbank Mendelssohn und Co. widmet, vorgelegt von dem Historiker Sebastian Panwitz.

Eine antike Sage

Herr Panwitz, Ihr Band hat einen sehr poetischen Titel, "Das Haus des Kranichs". Wofür steht denn dieses Tier, das ja der Gründer Joseph Mendelssohn eingefügt hat und zum Emblem der Bank gemacht hat?
Panwitz: Die Sage stammt noch aus der Antike, dass wenn die Kraniche Nachtruhe halten, einer von ihnen sich auf Wache stellt, und damit ihm nicht auch die Augen zufallen, hat er den Stein in der Kralle, der herausfällt, falls er einschlafen sollte, sodass er gleich wieder aufwacht, und dieses Symbol der Wachsamkeit, der Kranich wurde bei den Mendelssohns noch durch das Motto, das sie dem Kranich hinzufügten, nämlich "Ich wach verstärkt", damit ganz klar ist, wofür dieser Kranich steht, und nachdem Joseph Mendelssohn das zuerst in Privatbriefen als Siegel verwendet hatte, ging es dann über auch in die Bank als Emblem, in die Adelswappen, die es dann später gab, auf alle möglichen Bereiche, wo man so etwas verwenden konnte.
Albath: Nun hat diese Bank sehr berühmte Kunden. Ich habe erfahren aus Ihrem Buch, dass zum Beispiel Alexander von Humboldt dazugehörte, aber auch jemand wie der Fürst Pückler-Muskau, Schopenhauer sogar. Was konnten diese Bankiers denn besser als andere?

Beziehungen und Sympathien

Panwitz: Das war sicher immer eine Einzelfallentscheidung jedes Kunden. Manchmal waren es Beziehungen, manchmal waren es Sympathien. Das spielt ja bei Privatbanken, Privatbankiers noch eine sehr viel größere Rolle, als wenn man jetzt sich im Bereich der Großbanken, die doch etwas anonymer agieren, bewegen würde. Bei Humboldt zum Beispiel, ein sehr früher Kunde der Mendelssohn-Bank, war die Situation so, dass sein Vertreter in Berlin sich zunächst an ein älteres eingeführteres Bankhaus wendete, das aber so viele Schwierigkeiten machte, dass er dann schnell eine andere Bank finden musste, sich an das sehr junge Mendelssohn’sche Bankhaus wandte und die völlig unkompliziert und ohne weitere Vorbehalte den Kredit, den er brauchte, gewährten.
Albath: Das heißt, sie waren auch einfach neugierig und hatten unternehmerischen Geist, waren sehr offen. Es gab ja eine Ethik, die diese Bank vertrat. Was waren das für Positionen, und wie hat sich das dann bemerkbar gemacht in der ganz alltäglichen Bankpolitik auch?
Panwitz: Das hatte verschiedene Aspekte. Diese Neugier, von der Sie sprechen, war auf jeden Fall wichtig, zum einen, um diese Bank zu gründen und aufzubauen, zum anderen aber auch, um sie erfolgreich über fünf Generationen zu führen, denn oft tritt ja der bekannte Buddenbrook-Effekt ein: der Erste gründet die Bank, der Zweite macht sie groß, der Dritte führt sie dann zum Abschluss, sagen wir mal vorsichtig.
Albath: In den Ruin.
Panwitz: Ja, vielleicht nicht Ruin, aber doch so, sie fällt zurück, sie ist nicht mehr so schnell, sie ist nicht mehr so dynamisch unterwegs, sondern es wird nur noch verwaltet, und dann gibt es Konkurrenten, die sehr viel aktueller sind und die sie mehr und mehr in den Hintergrund drücken. Da muss nicht mal ein Bankrott kommen. Das reicht dann schon, geht sie in Liquidation, weil keine Chance mehr auf dem Markt besteht für so ein Unternehmen. Bei Mendelssohns war das anders, da gab es immer dieses Interesse, nicht nur einfach Geld zu verdienen, sondern das Verständnis, dass Finanzwesen eine Dienstleistung ist, die es ermöglicht, neuen Technologien, neuen Entwicklungen zur Fortentwicklung zu helfen, dass man also Dienstleister ist, der zum Beispiel der Eisenbahn zum Durchbruch verhelfen kann oder bestimmten Industriezweigen auf die Beine helfen kann, der internationalen Kontakt und Handel verstärken kann, Schwierigkeiten überwinden kann, auch mal, wenn es sein muss, in diplomatischen Fragen hinter den Kulissen agiert, um Handelsabkommen möglich zu machen, und wenn so ein Selbstverständnis da ist und eben sich hält über mehrere Generationen, dann schafft es so eine Bank an die Spitze und hält sich dann auch dort.

Die Idee des Reformierens stand nicht im Vordergrund

Albath: Und kann gleichzeitig noch diesen Ethos vertreten. Das wird ja in Ihrem Buch sehr deutlich. Es gibt wunderbare Briefe – das macht das Ganze sehr, sehr anschaulich – von dem Gründer Joseph, aber auch von anderen Mitgliedern der Familie. Ging es denn auch darum, das Wirtschaftssystem insgesamt zu modernisieren, gab es eine Idee, wie das Land aussehen könnte, fühlte man sich dem auch verpflichtet?
Panwitz: Ich vermute, dass nicht so sehr die Idee des Reformierens des Wirtschaftssystems im Vordergrund stand, da das 19. Jahrhundert per se extrem dynamisch war, das heißt, es reformierte sich andauernd selbst. Die Aufgabe war eher, dass man irgendwie hinterherkommt hinter diesen rasanten Entwicklungen oder eben, wie die Mendelssohn-Bank, schaut, was ist die nächste Sache, die kommt und sich damit an die Spitze setzt, um es produktiv und kreativ zu gestalten. Insofern war es nicht so wie in Teilen des 20. Jahrhundert das Gefühl des Stillstands da, sodass man was reformieren müsste oder des Abstiegs, sondern es war eine unglaubliche Fortschrittsgläubigkeit, weil man dachte, jetzt geht es nur noch aufwärts, jetzt wird es nur noch besser und schöner. Der Lebensstandard verbessert sich, die Lebenssituation verbessert sich, die technischen, wissenschaftlichen Möglichkeiten expandieren ins Ungeahnte, und dann macht so ein Bankwesen natürlich auch ganz anders Spaß als in Krisenzeiten.
Albath: Es kamen dann aber schwere Krisenzeiten im 20. Jahrhundert. Was passierte dann, wie reagierte die Bank auf die Brüche? Und es kam ja schließlich dann auch zur Zwangsliquidation unter den Nazis 1938.
Panwitz: Natürlich gab es auch schon im 19. Jahrhundert Krisen, aber wirklich existenzielle folgten dann im 20. Jahrhundert, die erste mit dem Ersten Weltkrieg und der Zeit danach, wo die Bank oder die Seniorchefs der Bank tatsächlich einen Augenblick überlegten, ob sie das aktive Bankgeschäft aufgeben und sich nur noch auf private Vermögensverwaltung für die Familie und Freunde zurückziehen würden, aber die jüngeren Teilhaber sagten, wir finden einen Weg, und tatsächlich haben sie, nachdem eines der wichtigen Standbeine der Bank, nämlich das Russlandgeschäft, weggefallen war, geschafft, durch Erschließung neuer Geschäftsbereiche, Geschäftsfelder, durch Öffnung in Bereiche, die man früher bewusst vernachlässigt hatte, weil man sich dort nicht zu weit hineinbegeben wollte, nicht nur die Stellung der Bank zu halten, sondern die Bank auch weiterzuentwickeln und aufzubauen und, wie man dachte, für die Zukunft bereit zu machen.
Albath: Aus Ihrem Buch, Sebastian Panwitz, wird deutlich, wie einflussreich diese Bank war und wie vertrauenswürdig auch. Aus aller Welt haben dann auch Staaten sich auf diese Bank bezogen, mit ihr verhandelt. Wo haben Sie denn – es gab ja diesen Abbruch der Geschichte dann auch durch die Nazizeit – überhaupt Unterlagen gefunden? Da ist ja sehr viel vernichtet worden während des Zweiten Weltkrieges.
Panwitz: Ja. Der Großteil des Bankarchivs ging im Bombenkrieg zugrunde, sodass der Kernbestand einer solchen Geschichte tatsächlich leider nicht vorlag. Nun ist es bei einer Bank, die so lange und so aktiv und so wichtig im Geschäft war, so, dass sie ja mit unzähligen Behörden und anderen Unternehmen und Privatkunden im Kontakt stand, sodass es, was Historiker nennen: Gegen- und Nebenüberlieferungen gab, sowohl in staatlichen Archiven als auch in Archiven noch heute existierender Unternehmen wie der Deutschen Bank, der Commerzbank oder damals, als ich anfing, daran zu arbeiten, noch der Dresdner Bank, der Privatbankhäuser Warburg und Oppenheim – Oppenheim ist ja nun leider auch verschwunden –, aber auch bei Industrieunternehmen wie Thyssen und Krupp. Daneben im Privatbereich bei der Mendelssohnfamilie, Briefe, die noch überliefert sind oder einzelne Bankunterlagen, die die Wirren des Kriegs der Nazizeit überlebt haben und noch heute im Privatbesitz sind. Das war ein großes Sammelsurium, teilweise auch im Ausland, dass es dann zum Schluss zum Glück ermöglicht hat, doch ein sehr rundes, vielfältiges Bild der Bankgeschichte nachzuzeichnen.

Heute mangelt es an Verantwortung

Albath: Das heißt, Sie waren auch sehr viel unterwegs. Ich möchte noch einen Brückenschlag zu heute unternehmen. Man könnte ja jetzt so eine Art Finanzwirtschaft zu betreiben, auch als Vorbild nehmen, gerade jetzt in den Zeiten der Finanzkrise wäre das doch ein Gegenmodell. Wäre das denkbar?
Panwitz: Was heute fehlt, ist die komplette Verantwortung der Personen, die im Bank- und Finanzwesen tätig sind, denn heute sind fast alle Banken, mit wenigen Ausnahmen, Aktienbanken, wo das leitende Personal nur als höchste Bestrafung die Entlassung zu befürchten hat. Ein Privatbankier wie die Mendelssohns im 19. Jahrhundert, hätten sie die Bank in Konkurs gefahren, es wäre kein Staat gekommen, um mit Krediten oder Stützungsgeldern sie zu unterstützen. Sie hätten Konkurs anmelden müssen, und sie wären haftbar gewesen mit ihrem sämtlichen Privateigentum, was zur damaligen Zeit, wo es noch keine soziale Hilfsmöglichkeiten gab, geheißen hätte, nicht nur ihr eigenes Persönliches als Teilhaber der Bank, sondern auch das gesamte Familien…, also das der Frau, der Kinder, der folgenden Generation, sie hätten das verspielt, was von vorigen Generationen übernommen haben und was sie eigentlich hätten weitergeben sollen, wofür sie ja nur Verwalter waren, wenn sie auch juristische Eigentümer waren. Diese Stellung als völlig persönlich haftende Teilhaber, das ist was, was heute schon fehlt und wodurch ein ganz anderes Verhältnis zu den Tätigkeiten eines heutigen Bankmanagers, Bankers entstanden ist.
Albath: Und was eben nicht dazu führt, dass die Verantwortung größer wird. Ich bedanke mich herzlich, Sebastian Panwitz! Wir sprachen über sein Buch "Das Haus des Kranichs: Die Privatbankiers von Mendelssohn und Co.", erschienen bei Hentrich und Hentrich, 350 Seiten kosten 29,90 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Sebastian Panwitz, Peter Schüring (Hg.): Das Haus des Kranichs - Die Privatbankiers von Mendelssohn & Co. (1795–1938)
Hentrich&Hentrich, Berlin 2018, 352 Seiten, 29,90 Euro