Anfang 2002 wurde der Euro in zwölf europäischen Staaten in Umlauf gebracht. Anlass für den Ökonomen Gustav Horn zu fragen, wie ein Europa ohne die gemeinsame Währung aussähe: eine Dystopie.
Ginge das noch, eine EU ohne Euro? Man stelle es sich einfach einmal vor:
Vor 20 Jahren wäre es wegen anhaltender politischer und ökonomischer Widerstände, die es ja durchaus gab, nicht zu einer Einführung des Euro gekommen oder man hätte ihn aus diesen Gründen einfach wieder abgeschafft. Stattdessen hätten alle Mitgliedsstaaten wieder ihre nationalen Währungen, in Deutschland zahlt man mit der D-Mark. Stellen Sie sich einfach vor, sie wachen eines Morgens auf und die D-Mark ist wieder da.
Das erste, was Sie bemerken würden, wäre, dass bei ihrem morgendlichen Einkauf alle Preise plötzlich doppelt so hoch erscheinen. Mindestens. Denn die Verkäufer haben einfach die alten Euro Preise umgekehrt wie zuvor bei der Umstellung auf Euro mit zwei multipliziert und manche vielleicht sogar mit noch etwas mehr. Schließlich ist die Versuchung, einen höheren Gewinn zu erzielen, immer präsent.
Bevor Sie aber nun allzu schockiert sind, sollten sie einen Blick auf ihr Gehaltskonto werfen. Sie werden feststellen, auch ihr Einkommen hat sich verdoppelt, sie können sich die höheren Preise also leisten. Kein Grund zur Sorge also?
Wirtschaftskrise und hohe Arbeitslosigkeit
Der Blick in die Zeitung enthüllt Unerfreuliches. In großen Lettern und in schillernd dunklen Farben wird die aktuelle Wirtschaftskrise, die durch die Coronapandemie verursacht wird, beschrieben und beklagt. Hohe Arbeitslosigkeit und eine massive Pleitewelle herrschen nicht nur in Deutschland, sondern vor allem in Italien, Spanien und Griechenland. Auch Frankreich geht es nicht gut.
Die Pandemie erzwingt die Schließung weiter Bereiche der Wirtschaft in der ganzen EU, vor allem im Bereich persönlicher Dienstleistungen. Die Unternehmen schickten ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit oder setzen sie auf die Straße. Zwar versuchen die einzelnen Mitgliedstaaten, die Einkommensausfälle sowohl bei den Unternehmen als auch den Beschäftigten durch Unterstützungsprogramme auszugleichen. Doch ihre Mittel sind begrenzt.
Verschuldung in einer Teufelsspirale
Vor allem in Italien, Spanien, Frankreich und Griechenland hat die Finanzmarktkrise vor gut zehn Jahren tiefe Spuren der Verschuldung hinterlassen. Jeder Versuch, diese in der gegenwärtigen Krise dort weiter spürbar zu erhöhen, wird auf den globalen Kapitalmärkten mit Misstrauen begleitet. Die Regierungen müssen für ihre Schulden höhere Zinsen zahlen, was den Haushalt der jeweiligen Länder zusätzlich belastet und die Verschuldung in einer Teufelsspirale weiter nach oben treibt.
Senken die nationalen Zentralbanken den Leitzins, um dies aufzufangen, werten die vielen nationalen Währungen gegenüber Dollar und D-Mark ab, alle Importe, vor allem Energie werden teurer, die Inflation beschleunigt sich, die Kaufkraft der Einkommen fällt. Die Volkswirtschaften befinden sich in einer tiefen Krise.
In Deutschland ist die Lage etwas besser, aber nicht wirklich gut. Hier sind die Schulden und die Zinsen niedriger. Die Regierung kann also deutlich mehr Mittel einsetzen, um die ausgebremste Wirtschaft zu stützen. Aber die Krise in den anderen Staaten der EU und die Aufwertung der D-Mark hat die für Deutschland so wichtigen Exportgeschäfte einbrechen lassen. Das hat auch hier die Arbeitslosigkeit ansteigen lassen. So verharrt die ganze EU in einer bleiernen wirtschaftlichen Starre, verzweifelt bemüht, einen Ausweg aus der Krise zu finden.
Die geballte Finanzkraft Europas
Bei dieser unerfreulichen Zeitungslektüre könnte ihnen der Gedanke kommen, dass man doch mit vielleicht mit gemeinsamen europäischen Anstrengungen mehr erreichen kann, weil die geballte Finanzkraft der EU mit einer gemeinsamen Währung und einer gemeinsamen Zentralbank wesentlich mehr Einfluss auf die Finanzmärkte hat und daher die Regierungen viel freier und stärker agieren können. Eine schöne Vision in Zeiten wirtschaftlicher Nationalismen, aber auch nicht mehr.
Sollten sie nun beschließen, diesen Mühsalen durch einen Urlaub in Österreich zu entfliehen, vergessen sie nicht, vorher ihre D-Mark in Schilling umzutauschen. Ist es da nicht ein schönes Gefühl, dass wir heute im wirklichen Leben den Euro haben?
Gustav A. Horn ist Professor für Volkswirtschaftslehre. Von 2005 bis 2019 war er wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Horn ist Mitglied der SPD und gehört seit 2019 dem Parteivorstand an.