Familienpolitik

Lauter Fehlschläge

Weiße Figuren von einem Vater mit Kind und einer Familie mit Kindern kleben auf einer Glasscheibe.
Weiße Figuren von einem Vater mit Kind und einer Familie mit Kindern © pa/dpa/Jens Kalaene
Von Ulrike Köppchen · 16.12.2015
Fördert man Familien zu viel, zu wenig, die falschen? Schon seit den 50er-Jahren versuchen westliche Staaten, die Zahl der Geburten zu beeinflussen, bei sich und auch in den Entwicklungsländern. Doch Steuerungsversuche haben eine begrenzte Reichweite − oder funktionieren gar nicht.
Der erste Schrei eines Neugeborenen. Für die Eltern ein glückliches Ereignis, keine Frage. Ob sich auch die Demografen darüber freuen, kommt ganz darauf an: wo das Kind geboren wurde und von wem. Das erste Kind einer dänischen Akademikerin – eine gute Sache. Ist es das dritte Kind einer deutschen Hartz-IV-Empfängerin, finden manche das schon bedenklich, auch wenn kaum jemand es wagt, diesen Gedanken offen zu äußern. Und falls es sich bei dem Neugeborenen um das sechste Kind einer Bäuerin aus Uganda handelt, ruft das die Bevölkerungspolitiker auf den Plan. Während Europa schrumpft, wächst die Bevölkerung gerade in Subsahara-Afrika in atemberaubendem Tempo.
"Die meisten Länder haben bis 2050 schon mit einer Verdoppelung ihrer Bevölkerung zu rechnen, einige Länder sogar mit einer Verdreifachung. Und es ist kaum ein Ende absehbar."
... sagt die Geografin Franziska Woellert vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Dieses Bevölkerungswachstum verzehre die Früchte des wirtschaftlichen Wachstums, das auch in diesen Ländern stattfindet:
"Subsahara-Afrika ist auch die Region, wenn wir über Entwicklung reden, die die Millennium Development Goals am wenigsten erreicht haben. Und das liegt gar nicht daran, dass dort zu wenig Schulen erst mal per se gebaut wurden, sondern dass einfach im Vergleich zu der Anzahl der Kinder, die nachgewachsen sind, es zu wenig Schulen waren."
Wir hätten gern mehr, die sollten lieber weniger Kinder kriegen: Gedanken darüber, wie das Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern begrenzt werden könnte, machte man sich bei uns bereits in den 1950er-Jahren. In den USA investierten beispielsweise die Rockefeller und die Ford Foundation viele Millionen Dollar, um das Thema Geburtenkontrolle in der Dritten Welt auf die politische Agenda zu setzen – mit Erfolg. So wurde immer wieder die Gewährung von Entwicklungshilfe an die Bedingung geknüpft, dass das Empfängerland Maßnahmen zur Geburtenkontrolle ergreift. Gebracht hat es allerdings wenig, da diese Programme bestenfalls halbherzig umgesetzt wurden:
"Die subsaharischen Eliten interpretierten und interpretieren Familienplanung bis in die Gegenwart hinein als Versuch von Weißen, die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents zu behindern..."
... konstatiert der Historiker Marc Frey.
In ihren Augen war Bevölkerungspolitik Teil einer "neo-kolonialen" Politik, die die asymmetrischen Beziehungen zwischen dem Westen und dem Afrika der Kolonialzeit unter biopolitischen Vorzeichen fortschrieb.
Von außen kann man Staaten kaum ein Programm zur Verringerung des Nachwuchses aufdrücken. Aber wenn der Staat selber das will? In China verkündete die allmächtige KP-Führung 1979 die sogenannte Ein-Kind-Politik, die es Paaren bei Androhung hoher Strafen und gegebenenfalls auch Zwangsabtreibungen verbot, mehr als ein Kind in die Welt zu setzen. Ohne diese Maßnahme gäbe es Schätzungen zufolge heute etwa 300 Millionen mehr Menschen in China.
Franziska Woellert: "Aber es hat natürlich auch sehr starke negative Konsequenzen. Mal abgesehen davon, dass durch diese Ein-Kind-Politik ja auch sehr selektiv gewählt wurde, welches Kind man bekommt – man kennt das Problem der Abtreibung von weiblichen Föten – ist es ja auch so, dass China eine extreme Alterung jetzt... oder kurz davor steht, die noch viel härter abläuft als das, was wir in Deutschland bevorstehen haben..."
China droht zu vergreisen, und das sehr schnell. Bereits 2040 wird jeder dritte Chinese im Rentenalter sein. Ende Oktober zog die Regierung die Notbremse und verkündete, fortan dürfe jedes Paar zwei Kinder bekommen. Dumm nur, dass derzeit wenig darauf hindeutet, dass die Bevölkerung von diesem Angebot Gebrauch machen wird. Denn längst ist es nicht mehr nur die rigide Bevölkerungspolitik, die Frauen in China vom Kinderkriegen abhält, sondern es sind die hohen Kosten und die unzureichenden Möglichkeiten staatlicher Kinderbetreuung.
Das klingt vertraut.
Franziska Woellert: "Wir haben in Deutschland eine Fertilitätsrate von 1,4 Kindern pro Frau seit den 70er-Jahren. Das heißt, seit Jahrzehnten leben wir in einer Gesellschaft, in der Kinderkriegen nicht mehr zur Norm gehört."
Alle staatlichen Versuche, durch finanzielle Anreize mehr Nachwuchs zu erzeugen, haben die deutschen Paare ziemlich wenig beeindruckt.
Wenn nicht einmal eine Staatsgewalt wie in China Bevölkerungsentwicklung erfolgreich steuern kann – was kann dann eine Demokratie ausrichten? Zumindest solange es für die Frauen schwierig ist, Kinder mit Berufstätigkeit zu verbinden.
Als die Bundesrepublik in den 50er Jahren Familienpolitik – zum Beispiel mit dem sogenannten Würmeling – machte, hat sie sozialpolitisch sicher Gutes getan, aber die Geburtenrate nicht beeinflusst. Kaum war die Pille auf dem Markt, sank die Kinderzahl. Bevölkerungspolitik ist offenkundig eines der schwierigsten politischen Felder überhaupt – systemübergreifend.
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