"Der Würmeling"

Vater, Mutter, Wuermeling und Kind

Franz-Josef Wuermeling: Der CDU-Politiker im Jahr 1970 in seinem Haus in Münster. Von 1953 bis 1963 fungierte er als Bundesminister für Familienfragen. Auf sein familienfreundliches Engagement gehen die oft als "Würmeling" bezeichneten verbilligten Fahrscheine der Bahn für kinderreiche Familien zurück. Franz-Josef Wuermeling wurde am 8. November 1900 in Berlin geboren und ist am 7. März 1986 in Münster gestorben.
Franz-Josef Wuermeling (CDU) im Jahr 1970 in seinem Haus in Münster. © picture alliance / dpa / Roland Scheidemann
Von Laf Überland · 16.12.2015
Der erste Bundesfamilienminister zählt zu den markantesten Persönlichkeiten der Ära Adenauer: Franz-Josef Wuermeling führte in der CDU/CSU-Fraktion eine "Kampftruppe für die Familie" ein und einen Bahn-Ermäßigungsausweis für Familien - der sogar bis 1999 gültig war.
"Es war eine herzige Zeit!" - "Ja, das war´s!"
In den Sommerferien an Seen vorbei, silbern glänzend, wie sie da lagen in dieser honiggelben schweren Luft, durch die der Duft von Kartoffelfeuern zog: ratatt-ratatt-ratatt - mit dem Wuermeling: dem Ausweis, mit dem kinderreiche Familien (also die mit mindestens drei Kindern) das Recht hatten, Bahnfahrkarten zum halben Preis zu kaufen. Und viele glaubten, der Wuermeling heiße so, weil es für Papa, Mama und ihre Würmchen galt. Aber in Wirklichkeit war er natürlich nach seinem Erfinder benannt worden, dem Familienminister Franz-Josef Wuermeling.
Er war der erste: 1953 wurde der Posten eingeführt, und Wuermeling eignete sich dafür wie keiner sonst: denn erstens war er Vater von fünf Kindern – und zweitens erzkatholisch!
1900 geboren in Berlin, schritt er doch in der Provinz Westfalen ins Leben des verantwortungsbewussten Reichsbürgers hinein: studierte Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft; und weil dieser Erzkatholik den Nationalsozialisten als politisch unzuverlässig galt (ihm waren die Nazis verhasst, weil sie für ihn für die "Nichtanerkennung der gottgesetzten natürlichen Ordnung" standen), versetzten sie ihn 1939 aus seiner höheren Beamtenlaufbahn zwangsweise in den Ruhestand.
Als nicht ganz passig, wie der Westfale sagt, erlebten ihn allerdings nach dem Krieg dann auch die Parteifreunde der CDU: mit großem Organisationstalent, aber – ein Querulant!
Klare Rollenverteilung zwischen Mann und Frau
Sein Familienbild war nämlich "christlich-konservativ geprägt mit einer klaren Aufgabenverteilung zwischen dem Mann als Ernährer der Familie und der Frau mit ihrer Verantwortung für die Kindererziehung und den Haushalt", (wie die Konrad-Adenauer-Stiftung ihn heute noch beschreibt), und sein "Bundesministerium für Familienfragen" hätte er am liebsten "Bundesministerium zum Schutze der Familie" genannt, wie er selbst sagte.
In dem saß er dann vor dem eineinhalb mal ein Meter großen Bild eines wohlbehüteten Vogelnests, in dem die Leben sichernden Eier lagen: Wuermelings Sinnbild der trauten kinderreichen Familie.
Franz-Josef Wuermeling: "Manche machen heute der Jugend den Vorwurf, sie jage nur noch dem Lebensstandard nach und habe nichts anderes mehr im Sinn als Vergnügungen und Genuss."
Würmeling nicht, denn er wusste ja: "Eine Mutter daheim ersetzt vielfach Autos, Musiktruhen und Auslandsreisen." Und er fing an, durch staatliche Familienbeihilfen die Erwerbstätigkeit von Müttern entbehrlich zu machen. Kindergeld. Und eben der nach ihm benannte 'Würmeling-Pass', mit dem Kinder und Jugendliche aus kinderreichen Familien zum halben Preis Zugfahren konnten – (auch Karnickel-Pass genannt)".
Wuermeling: "Eine Jugend, die ihr Weltbild aus Groschenheften bezöge, die ihre seelischen Kräfte in Tanzbars und Spielhallen vergeuden würde – was wird eine solche Jugend einer kommunistisch klar ausgerichteten Jugend im Osten morgen ideell entgegenzusetzen haben..."
...und was der Minister als Antikommunismus tarnte, war natürlich ein familiärer Schutzwall gegen den American Way of Life, der das Land überschwemmte. Aber wer hätte das – laut – sagen wollen, wo doch der Chef, Adenauer selbst, ein knallharter Verfechter der Verwestlichung war...?
Beschaulichkeit mit Tücken
Natürlich sollte der kommunistische Bazillus ferngehalten werden, das verstand sich von selbst, aber vor allem sollte die Modernisierung der Gesellschaft verhindert, dafür das katholische Familienbild erhalten werden. Der Feind stand im Lande - und nicht hinter der Zonengrenze!
Wuermeling: "Da werden Starclubs und Teenagerparties organisiert, Schönheitskonkurrenzen und Geschmacktests durchgeführt. Hier liegt eine große menschliche, aber auch eine große politische Gefahr."
Ja – die bevölkerungspolitische Gefahr, nicht den für die künftige Schaffung des Sozialprodukts erforderlichen Nachwuchs heranzubilden, wie er selbst es ausdrückte: die Erhaltung der Rentenkraft durch ausreichenden Nachwuchs. Und das passte ja zu dem biblischen Seid fruchtbar und mehret euch!
Wuermeling: "Die Jugend ist heute gewiss nicht schlechter als früher – sie ist nur schlechter dran, weil die Erwachsenen sie mit so viel ungünstigen Einwirkungen geradezu überschütten."
Aber seine Errungenschaften schufen: eine Beschaulichkeit mit Tücken! Und der Erfolg war – zumindest in Wuermelings Sinne - nicht sehr nachhaltig: Obwohl sie so schön mit der Bahn hätten reisen können, rotteten sich schon bald nach Wuermelings Wuermeling die Halbstarken zu Krawallen zusammen. In den Sechzigern dann ging die Generation der Wuermelingreisenden auf die Barrikaden, und die älteren Söhne der kinderreichen Familien nutzten den Würmeling gelegentlich, um - an die holländische Grenze zu reisen und Dope zu kaufen...
...oder um die Freundin zu besuchen, die die Pille nahm und dadurch den Knick erzeugte, der zunächst den Familienpolitikern vom Schlage Würmeling und dann den Bevölkerungspolitikern die Sorgenfalten auf die Stirn trieb.
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