1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Annäherung jenseits der Sonntagsreden

06:54 Minuten
Der Schriftsteller Rafael Seligmann, aufgenommen am 30.03.2015 in Berlin.
Rafael Seligmann: "Juden sind nicht irgendwelche Exoten des Grauens, sondern Menschen in unserer heutigen Zeit." © picture alliance / dpa | Soeren Stache
Rafael Seligmann im Gespräch mit Gabi Wuttke · 21.02.2021
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Seit 1700 Jahren leben Juden in Deutschland. Trotzdem werden sie nicht als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft behandelt, sagt der Publizist Rafael Seligmann: „Juden werden entweder als Opfer gesehen oder als Israeli“.
"Wenn ich mir als Bundespräsident für dieses Festjahr etwas wünschen darf, dann nicht nur ein klares Bekenntnis, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland ein Teil von uns sind, ein Teil unseres gemeinsamen Wirs, sondern, dass wir auch denen entschieden entgegentreten, die gerade das noch oder wieder infrage stellen."
Mit diesen Worten eröffnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Kölner Synagoge das Jubiläumsjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland".

"Entweder Opfer oder Israeli"

"Schon alleine die Betonung des Wirs ist vielleicht ein Zeichen dafür, dass das nicht selbstverständlich ist", wirft der Publizist Rafael Seligmann ein. Juden würden "entweder als Opfer oder als Israeli" gesehen, sagt Seligmann und illustriert das anhand einer Begegnung mit dem Bundespräsidenten:
"Mich hat Herr Steinmeier vor einigen Jahren bei einem Fest angesprochen und gesagt: 'Ich fahre jetzt zu Ihrem Außenminister.' Und da sagte ich: 'Entschuldigung, Herr Steinmeier, ich dachte, Sie sind mein Außenminister‘."
Um anzuerkennen, dass Juden ein normaler Teil der deutschen Gesellschaft sind, sei es wichtig, "sich nicht nur auf die ganz schöne Vergangenheit und auf die ganz furchtbare Vergangenheit des Holocaust zu konzentrieren oder zu versuchen, ständig den Nahostkonflikt zu lösen, sondern zur Kenntnis zu nehmen, dass Juden Teil dieser deutschen Gesellschaft sind, und zwar nicht nur Heinrich Heine, sondern auch der jüdische Schneider oder Kaufmann oder Lehrer oder Rentner von nebenan."

Juden sind normale Menschen, nicht "Exoten des Grauens"

Seligmann geht es darum, einander auch gefühlsmäßig zu verstehen, wie er sagt. Und das schaffe man am besten über das Gespräch und die Literatur. Er schreibe auch deswegen Bücher, sagt Seligmann, um zu zeigen, dass Jüdinnen und Juden die gleichen Gefühle haben wie alle anderen auch.
"Wenn das gelingt, wenn man begreift: Da sind andere Menschen, nicht irgendwelche Exoten des Grauens, sondern Menschen in unserer heutigen Zeit, dann hat man gewonnen."
(ckr)
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