100 Jahre politischer Mord

Putschisten vor Gericht

05:14 Minuten
Porträtaufnahme Traugott von Jagow, ehemaliger Polizeiprädient von Berlin und einer der Putschisten beim Kapp-Lüttwitz-Putsch gegen die Weimarer Republik 1920.
Der ehemalige Polizeipräsident von Berlin, Traugott von Jagow, war einer der wenigen Beteiligten am Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920, die sich vor Gericht verantworten mussten. © picture alliance / akg-images
Von Elke Kimmel · 22.12.2021
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Kaum strafrechtliche Konsequenzen hatten Putschisten von rechts in der Weimarer Republik zu befürchten. Nach dem Kapp-Putsch 1920 etwa gab es nur eine Verurteilung: gegen den früheren Berliner Polizeipräsidenten Traugott von Jagow.
„Im Jagow-Prozeß wurde heute nachmittag 4 1/2 Uhr das Urteil des Reichsgerichts verkündet. Der Angeklagte v. Jagow wurde wegen Beihilfe zum Verbrechen des Hochverrats zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. […] Der Angeklagte v. Jagow wurde durch den Oberreichsanwalt sofort in Haft genommen."
Das berichtet die Morgenausgabe des sozialdemokratischen „Vorwärts“ am 22. Dezember 1921. Der verurteilte Traugott von Jagow ist einer der prominenten Zivilisten, die im März 1920 den Kapp-Lüttwitz-Putsch unterstützten – den gescheiterten Versuch, die demokratisch gewählte Regierung durch eine Militärregierung zu ersetzen.

Bereits im August 1920 gab es eine Amnestie

Der Putsch hatte Hunderte Menschen das Leben gekostet, trotzdem hat er für die Verantwortlichen kaum juristische Folgen. Schon im August 1920, kurz nach dem Putsch, war von der Reichsregierung eine Amnestie erlassen worden, nach der nur Hauptverantwortliche im engen Kreis der Putschisten bestraft werden sollten.
Traugott von Jagow steht als Innenminister der Putsch-Regierung vor Gericht. Deshalb ist in seinem Fall die führende Rolle beim Putsch klar. Aufgrund der Amnestieregelung wird neben von Jagow nur gegen sieben weitere Anführer ermittelt, aber deren Aufenthaltsort ist angeblich unbekannt.

"Ob politische Gegner mich erschießen, ist mir gleichgültig"

In Wahrheit halten sich einige von ihnen – Hermann Ehrhardt, Max Bauer und Wilhelm Pabst – zumindest zeitweise unbehelligt in Bayern auf. Der ehemalige preußische Beamte von Jagow hat sich nicht versteckt, sondern offen zu seinem Tun bekannt. Er hatte sich schon kurz nach dem Scheitern des Putsches mit einer Darstellung zu Wort gemeldet, die dokumentiert, wie er zur Republik steht:
„Die Gegenrevolution ist ein rein militärisches Unternehmen. […] Das Zivil war völlig unbeteiligt. Wohl aber bin ich, sind andere gefragt worden, ob sie sich für den Fall des Gelingens der auf jeden Fall stattfindenden Gegenrevolution zur aufbauenden Mitarbeit zur Verfügung stellten. Ich bejahte und würde der Selbstachtung bar sein, hätte ich anders geantwortet.

Ob politische Gegner mich erschießen, ist mir gleichgültig. Aber in die Form eines Rechtsverfahrens mögen sie es nicht kleiden. Entweder gelten die Hochverratsparagraphen des Reichsstrafgesetzbuches, dann waren sie gegen die Männer vom 9. November anzuwenden […], oder sie sind eben durch die Novemberrevolution beseitigt. Gleiches Recht für alle.“

100 Jahre politischer Mord in Deutschland
Eine Sendereihe über mörderische Demokratiefeindschaft und ihre Hintergründe
Zeitfragen, immer mittwochs gegen 19.25 Uhr
Eine Kooperation von Deutschlandfunk Kultur mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam)

Hitler im offenen Wagen mit den Freikorpsoffizieren Ulrich Graf, Major Buch und Christian Weber. - Foto, 1923.
© picture alliance/dpa/akg-image
Von Jagow handelt Anfang 1921 mit den Justizbehörden eine Kaution von 500.000 Reichsmark aus und stellt sich den polizeilichen Vernehmungen. Auch als das Verfahren im August 1921 eingeleitet wird, verzichtet das Reichsgericht darauf, Jagow in Untersuchungshaft zu nehmen, da keine Fluchtgefahr bestehe.
Nach einigen Verzögerungen beginnt die Verhandlung vor dem Reichsgericht am 7. Dezember 1921. Bereits nach wenigen Verhandlungstagen endet der Prozess. In seinem Abschlussplädoyer stellt Oberreichsanwalt Ludwig Ebermayer fest - mit „erfreulicher Frische“, wie der „Vorwärts“ bemerkt:
„Wenn wir betrachten, was die Angeklagten getan haben, und wenn wir ihre Persönlichkeit in Rechnung ziehen, so besteht kein Zweifel, daß sie Führer im Sinne der Amnestie sind und infolgedessen von der Amnestie ausgeschlossen sind. […] Damit sind alle Voraussetzungen zur Verurteilung erfüllt.“

Nur ein Mann wird überhaupt verurteilt

Das Gericht aber folgt der Argumentation des Oberreichsanwalts nicht: Zwei Angeklagte verlassen das Gericht als freie Männer. Traugott von Jagow wird zwar verurteilt, aber er kommt mit fünf Jahren Festungshaft glimpflich davon, und schon nach drei Jahren wird er begnadigt. Alle anderen Beteiligten am Kapp-Putsch werden nie vor Gericht gestellt.

Fast genau zwei Jahre später wird es den nächsten gescheiterten Putschversuch von Rechtsextremisten geben: den Hitler-Ludendorff-Putsch am 9. November 1923. Auch nach diesem Putschversuch machen die Rechtsextremisten, die mit Gewalt die politische Ordnung beseitigen wollen, die Erfahrung: Ihnen drohen in der Weimarer Republik kaum Konsequenzen durch den Rechtsstaat.
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