100 Jahre politischer Mord in Deutschland

"Verrätern" droht der Tod

04:56 Minuten
Kapp-Putsch 1920: Bewaffnete und uniformierte Männer fahren auf einem LKW durch Berlin.
Oft genügt für Freikorpssoldaten nur der Verdacht, um zu morden. Hier eine Freikorpsbrigade am 13. März 1920 in Berlin, als der Kapp-Putsch stattfand. © imago images/KHARBINE-TAPABOR
Elke Kimmel · 08.12.2021
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Mit sogenannten "Verrätern" kennen vor allem Freikorpsverbände in der Weimarer Republik oft kein Pardon. An vielen wird Selbstjustiz verübt. Dafür verantworten müssen sich die Täter meistens nicht.

„Der Prozeß um den ermordeten Wachtmeister Buchholz hat mit dem Freispruch der Angeklagten geendet. Dieser Freispruch beweist nur, daß den Angeklagten Erren und Meyer ihre Täterschaft nicht mit voller Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Er widerlegt nicht, daß Buchholz ermordet worden ist, er widerlegt nicht, daß der Mord in den Reihen der Hundertschaft vorbereitet und von ihren Angehörigen ausgeführt worden ist.“

Das berichtet der sozialdemokratische „Vorwärts“ am 3. Dezember 1921. Am 13. Juni 1921 war der Polizeiwachtmeister Johannes Buchholz in einer Polizeikaserne ermordet worden, durch einen Schuss in den Hinterkopf. Buchholz war Angehöriger einer Polizei-Hundertschaft zur besonderen Verwendung. Deren Aufgabe sollte eigentlich der Schutz der Regierung sein.
Stattdessen schlug sie sich während des Kapp-Putsches im März 1920 auf die Seite der Putschisten, die die Reichsregierung in Berlin stürzen wollten. Walther Stennes, der Leiter der Polizeieinheit, ließ danach heimlich Waffenlager anlegen und baute aus der Kasse der Hundertschaft ein Spitzelsystem auf. Anfang Juni 1921 drohte Kassenwart Buchholz, sein Wissen über diese Machenschaften zu verraten. Wenig später, am 13. Juni 1921, ist er tot, hinterrücks erschossen. Die Täter können zwar nicht ermittelt werden, aber die Tatzusammenhänge lassen auf einen „Fememord“ schließen.

Hunderte „Feme“-Morde

„Feme“, eine mittelalterliche Strafjustiz, wird in der Weimarer Republik zu einem Instrument rechtsradikaler Geheimverbände wie der berüchtigten „Organisation Consul“. Nicht nur Verräter und Abtrünnige müssen mit einem „Feme“-Mord rechnen, sondern auch alle, die mit den alliierten Kontrollbehörden zusammenarbeiten. Besonders exzessiv üben die Verbände des „Oberschlesischen Selbstschutzes“ und die Freikorpsverbände im Sommer 1921 Selbstjustiz.

100 Jahre politischer Mord in Deutschland
Eine Sendereihe über mörderische Demokratiefeindschaft und ihre Hintergründe
Zeitfragen, immer mittwochs gegen 19.25 Uhr
Eine Kooperation von Deutschlandfunk Kultur mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam)

Vielfach genügt der Verdacht, mit den Polen gemeinsame Sache zu machen, für ein Todesurteil. Wie viele Menschen Opfer dieses nationalistischen Terrors wurden, konnte nie ermittelt werden, die Rede ist meist von Hunderten. Die meisten Opfer sind schlicht „verschwunden“. Im Juni 1922 wird sogar eine allgemeine Amnestie für Verbrechen ausgesprochen, die bei den oberschlesischen Unruhen verübt worden sind.

Nur wenige müssen sich verantworten

In ganz Deutschland werden nur wenige Fememörder ermittelt und bestraft. Für deren Freilassung setzt sich am 15. Juni 1928 der deutschnationale Abgeordnete Friedrich Everling im Reichstag ein. Er verteidigt die Lynchjustiz mit diesen Worten:

"(Es ist) festgestellt worden, daß man sich gegen die Verräter – die ja in einer so großen Zahl, daß uns Zorn und Scham und Kummer packen muß, im deutschen Vaterlande zu jener Zeit vertreten waren –, daß man sich gegen diese Lumpen nicht anders schützen konnte, als durch diesen Schutz. Ein staatlicher Schutz wurde nicht gewährt. Die Schuld an solchen Vorgängen, die gewiß bedauerlich sind, trifft die Verräter. (…)

Sie, die Femeverurteilten, haben in nationaler Notwehr gehandelt. Das müssen wir immer und immer wieder feststellen, weil wir davon überzeugt sind, und weil wir diese nationale Notwehr dem System der Femehetze entgegenstellen wollen. Auch aus der nationalen Notwehr heraus hätte nach unserer Rechtsauffassung ein Freispruch erfolgen müssen.“

Nach dieser Logik handelten die Mörder des Polizisten Buchholz in Notwehr, als dieser ihre illegalen Machenschaften aufdecken wollte. Die wenigen Feme-Mörder, die verhaftet und verurteilt worden sind, bleiben nicht lange in Haft – sie werden spätestens durch die vom Reichstag Ende 1930 beschlossene Amnestie entlassen. Und der Mord an Johannes Buchholz blieb ungesühnt.

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