Zukunft der Wissensgesellschaft

In den Köpfen Ramsch und Flickwerk

Diese Studentin interessiert sich momentan weit mehr für ihr Smartphone als für die Inhalte ihres Seminars.
Diese Studentin interessiert sich momentan weit mehr für ihr Smartphone als für die Inhalte ihres Seminars. © dpa / picture alliance / Jens Kalaene
Von Matthias Gronemeyer · 31.03.2016
Der Philosophie-Dozent Matthias Gronemeyer beschreibt eine Karikatur der vielbeschworenen Wissensgesellschaft. Er prognostiziert: Künftig haben immer mehr Menschen einen Hochschulabschluss, jeder weiß mit einem Klick alles, aber keiner kann mehr etwas.
Bildung ist die Zukunft, Wissen muss allen zugänglich gemacht werden, nur als Wissensgesellschaft sind wir überhaupt überlebensfähig. Wer solche Sätze sagt, erntet Zustimmung. Und es ist in dieser Hinsicht ja schon viel erreicht worden: In den letzten 25 Jahren hat sich die Zahl der Hochschulabsolventen in Deutschland weit mehr als verdoppelt. Im OECD-Bildungsranking geht es stetig bergauf. Alles gut also?
Weit gefehlt. Denn der Steigerung der Quantität steht ein ebensolcher Niedergang der Qualität gegenüber. Man kann inzwischen ein Studium abschließen, ohne je ein Buch gelesen oder eine Bibliothek besucht zu haben.
Wo es früher noch hieß, man müsse zwar nicht alles wissen, aber wenigstens, wo es steht, braucht man heute nicht einmal mehr das: Mit ein paar Klicks ist die Bachelor-Arbeit zusammengestoppelt. Und weil zugleich am akademischen Lehrpersonal gespart wird, werden diese "Arbeiten" umstandslos abgenickt.

Irgendwie ist alles 'Wissen'

Wissen, das war einmal etwas, was schwer zugänglich war, das sich in teuren Büchern verbarg, sich einer geheimnisvollen Sprache bediente, über etliche Holzwege mühsam zusammengetragen werden musste. Und dadurch umso reizvoller und wertvoller wurde. Wissen, das war ein Geheimnis - und nur wenigen gelang es, in die inneren Kreise vorzustoßen. Womit zugleich auch der Wert des Wissens belegt war.
Inzwischen muss sich indes niemand mehr anstrengen, die Barrieren sind abgebaut, das Wissen gibt es für lau. Wozu sich Mühe geben, wenn im Netz in Echtzeit alles zu haben ist?
Das wäre jetzt noch nicht weiter schlimm. Die Demokratisierung des Wissens geht eben mit einer Absetzung der alten Eliten einher, die sich nun nicht mehr hinter ihren Bollwerken verschanzen und Deutungshoheit beanspruchen können. Wer darüber klagt, scheint doch nur um seinen alten Status zu fürchten.
Doch wenn alle alles wissen, dann ist auch alles irgendwie Wissen. Und warum sollte dann eine Verschwörungstheorie nicht genauso viel wert sein wie eine wissenschaftliche Theorie?

Mal einen halben Jahrgang durchs Abi fallen lassen

Es wird noch schlimmer kommen. Den Hinweis darauf gibt eine zweite Zahl. Im gleichen Zeitraum, in dem die Studentenzahl sich verdoppelte, hat sich die Zahl der Meisterprüfungen im Handwerk halbiert. An diese Prüfung, in der man zeigen muss, das man wirklich etwas kann, sein Metier beherrscht, einen Betrieb zu führen versteht, an diese Prüfung, die man selbst bezahlen muss und an der regelmäßig 20 Prozent der Kandidaten scheitern, traut sich kaum noch jemand heran. Muss ja auch nicht, denn weit über die Hälfte der Handwerke ist seit etlichen Jahren vom Meisterzwang befreit.
Nimmt man dies beides zusammen, dann wird unsere Zukunft so aussehen: Alle haben einen Hochschulabschluss, jeder weiß mit einem Klick alles, keiner kann mehr etwas. Die Wissensgesellschaft wird eine Gesellschaft von legasthenischen Besserwissern zwischen Ramsch und Flickwerk sein.
Man sollte das nicht bedauern und jetzt wieder das Internet verteufeln. Dass jemand die Barrieren wieder aufbaut, Wissen wieder mit Anstrengung verknüpft, ist nicht abzusehen. Man könnte ja durchaus mal einen halben Jahrgang durch die Abiturprüfung fallen lassen, nur so zur Abschreckung. Aber das wird nicht passieren.
Die Logik der Politik tendiert immer zur Vereinfachung: Wer den Menschen etwas abverlangt, macht sich unbeliebt.
Schauen wir dennoch frohgemut nach vorne: Wissen und Können werden in intelligenten Robotern eine neue Heimat finden, die nichts lieber tun, als sich richtig für uns anzustrengen. Sie sind die Bildung der Zukunft. Und wir schauen vom Sofa aus genüsslich dabei zu.

Matthias Gronemeyer, Jahrgang 1968, ist Hochschuldozent für Philosophie, Autor und Publizist. In seinem Buch "Profitstreben als Tugend?" hat er sich mit den Notwendigkeiten und Grenzen des Kapitalismus auseinandergesetzt. Zuletzt erschien von ihm "Trampelpfade des Denkens - Eine Philosophie der Desorientierung", wo er den Zusammenhängen von Digitalisierung und Demenz nachspürt. Er lebt in Stuttgart.

© Iris Merkle
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