Kongress im Berliner HKW

"Zivilgesellschaft 4.0" gibt Flüchtlingen Starthilfe

Der Afghane Hamidullah Ehrari
Der Afghane Hamidullah Ehrari arbeitet im Haus der Kulturen der Welt an der Internetseite "Arriving in Berlin". © picture alliance / dpa / Foto: Sophia Kembowski
Von Verena Kemna · 04.03.2016
Wo lerne ich in einer fremden Stadt Berufskollegen kennen und wie finden ich mich auf dem Arbeitsmarkt zurecht? Auf dem Kongress "Zivilgesellschaft 4.0" im Berliner Haus der Kulturen der Welt erhalten Flüchtlinge wertvolle Tipps für den Wiedereinstieg ins Berufsleben.
Etwa 400 Teilnehmer haben sich für den Kongress "Zivilgesellschaft 4.0" im Berliner Haus der Kulturen der Welt angemeldet. Zielgruppe sind Ehrenamtliche und Flüchtlinge. Wie fit sind sie im Umgang mit digitalen Technologien, welches Wissen brauchen sie, um das Internet für sich zu nutzen, etwa bei der Suche nach Arbeit, Wohnraum und Ausbildung. Wie können Ehrenamtliche und Flüchtlinge voneinander lernen, ihr Wissen optimieren? Es sind Fragen, die Silvia Fehrmann bewegen. Die Kulturchefin im Haus der Kulturen der Welt.
"Es geht um die Frage wie wir in unserer Gesellschaft digitale Selbstorganisation mit den neu Dazukommenden entwickeln."
Heute und morgen treffen sich die Teilnehmer in Workshops zum gemeinsamen Nachdenken.
"Es gibt Workshops, in denen man lernen kann, wie man seine digitale Kommunikation sicherer macht. Es geht darum, wie kann man Studieren und Bildung mit digitalen Medien vorantreiben, aber auch, welche Grenzen sind dem gesetzt."
Der 23-jährige Abdul aus Afghanistan hat im Internet von dem Kongress erfahren und seine Freunde gleich mitgebracht. Sie leben seit fünf Monaten in einem Berliner Wohnheim. Da gibt es nur nachts freies W-Lan, sagt Abdul, die anderen nicken.
"Internet ist Teil unseres Lebens. Ohne Internet können wir gar nichts machen. Es hilft bei vielen Dingen, vor allem geht es um Information, dafür brauchen wir Internet."
Ein Blick auf die Uhr. Der Workshop "Arbeit, Bildung, Wohnen" beginnt in diesen Minuten. Abdul verschwindet in einem der Seminarräume im Haus der Kulturen der Welt.

"Orientierungswoche" der Universität der Künste

Sich bestmöglich vernetzen, voneinander lernen, darum geht es auch in einer anderen Berliner Kulturinstitution. "Refugee Class" steht auf einem Din A 4 Blatt im Haupteingang der Universität der Künste. Ein dicker Pfeil darauf weist die Richtung. Zielgruppe sind Künstler, die aus ihrer Heimat fliehen mussten und die in Berlin auf einen beruflichen Neustart hoffen. Freie Kunst, Film und Fernsehen, Musik, Design, das sind nur einige der Angebote in dieser ersten "Orientierungswoche", erklärt Honorarprofessorin Sabine Fischer.
"Also wir arbeiten von unserer Seite mit dem was da ist, was wir können, erzählen darüber, gucken dann, welche Fragen kommen und dann kann sich etwas entwickeln."

Etwa 40 junge Erwachsene suchen im Seminarraum ihre Plätze, stellen sich erstmal vor. Die meisten kommen aus Homs, Aleppo und Damaskus, sie leben seit einem Jahr oder wenigen Monaten in Berlin, wissen nicht, wie es beruflich für sie weiter geht. Viele hatten in ihrer Heimat ein Leben als Musiker, Kunstmaler, Bildhauer, Architekten und Modedesigner – hier haben sie nichts, keinen Job, keine Arbeitskollegen, kein Einkommen. Ein beruflicher Neustart in Berlin sei unendlich schwer, erzählt Kussay Chi Chakly. Der Modedesigner mit spitzem Bart und Haarknoten lebt seit über einem Jahr in Berlin und weiß nicht weiter.
"Ich habe 17 Jahre lang nonstop gearbeitet und ich bin wirklich gut. Ich bin Modedesigner, ich habe Entwürfe für Beyoncé und Jennifer Lopez gemacht und hier muss ich um den kleinsten Job betteln, das ist wirklich schwierig für mich."


Dozent Roman Lipski registriert aufmerksam die Fragen aus dem Publikum. Wo kann man in Berlin Künstler treffen, gibt es Aushilfsjobs für Kreative, kann jeder eine Vernissage besuchen, lohnt sich ein Studium an der UdK? Roman Lipski, selbst Kunstmaler aus Polen, will mit seinem Beispiel Mut machen. Er hat es geschafft. Heute hängen seine Bilder in Museen – der Weg dahin war nicht leicht. Auch er musste sich vor vielen Jahren als Neuankömmling mühsam seinen Weg suchen.
Roman Lipski
Dozent Roman Lipski von der Universität der Künste unterstützt Flüchtlinge dabei, Netzwerke aufzubauen. © picture alliance / dpa / Foto: Jens Kalaene
"Niemand braucht uns wirklich und doch wir sind sehr, sehr wichtig. Es gibt viel mehr Möglichkeiten, als man denkt."
Konkreter wird er nicht, kann er nicht werden, zu individuell sind die Lebensläufe, die vor ihm sitzen. Stattdessen ist viel von "Netzwerken" die Rede, in der Pause tauschen Teilnehmer Mailadressen und Handynummern, allein dieses Kennenlernen wertet der Konzeptkünstler Florian Dohmann als Erfolg. Auch er ist, wie alle anderen Dozenten, ehrenamtlich dabei.
"Auch innerhalb der Teilnehmer ist das ein Netzwerk und wenn da Austausch entsteht, dann kann das schon viel mehr wert sein, als dass es einen Frontalvortrag von irgendjemandem aus der deutschen Wirtschaft gibt und hinterher alle wieder nach Hause gehen."
Am Ende des Tages ist Modedesigner Kussay Chi Chakly aus Damaskus zwar ernüchtert, aber voller Hoffnung.
"Ich glaube, sie haben das super gemacht. Es ist ja auch schwierig, zu wissen, was unsere Probleme sind. Also ist es wichtig, dass sie uns fragen. Ich glaube, dass es einfach nicht genug Jobs gibt und für mich, ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet, ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll."
Was er noch nicht weiß: Die Netzwerker an der UdK sind bereits aktiv. Schon im April soll das Programm weitergehen, dann mit konkreten Angeboten, etwa einem Galerierundgang oder Atelierbesuchen.
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