Weihnachten

Kleine Philosophie des Schenkens

04:41 Minuten
Ein kleines Geschenk in weihnachtlicher Verpackung wird auf zwei Händen überreicht.
Gute Geschenke sind weder Pflichterfüller noch Dankbarkeitsforderer. Sie liegen jenseits von Schuld und Vergeltung, meint Philip Kovce. © unsplash / Ben White
Überlegungen von Philip Kovce · 16.12.2019
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Wenn sich die weihnachtlichen Festtage wieder ankündigen, dann beginnt mit der Adventszeit das konsumistische Wettrüsten. Umso dringlicher stellt sich der Philosoph Philip Kovce der Frage, was gute Geschenke eigentlich auszeichnet.
Wer angesichts der alljährlichen vorweihnachtlichen Konsumschlacht den zunächst ziemlich naheliegenden Vorschlag unterbreitet, sowohl die Geldbeutel als auch die Nerven aller Weihnachtsfestbeteiligten mit einem grundsätzlichen Geschenkverzicht zu schonen, der sollte sich seiner Sache nicht allzu sicher sein. Denn so ökologisch korrekt die konsumistische Selbstbeschränkung in wunschlos unglücklichen Überflussgesellschaften auch sein mag, den häuslichen Frieden garantiert sie mitnichten.
Zwar mag es hier und da immer wieder gelingen, fröhliche Weihnachten ganz ohne Geschenke zu feiern. Aber selbst dabei entkommt niemand der sozialen Dynamik wechselseitiger Ansprüche und Erwartungen, deren subtile Allgegenwart Geschenke bloß besonders verdeutlichen. Wer also auf sämtliche Gaben verzichtet, bloß um sich böse Überraschungen zu ersparen, der lässt zugleich eine gute Gelegenheit aus, sich mit den eigenen Wünschen ebenso wie mit den Bedürfnissen der anderen explizit auseinanderzusetzen. Denn genau das fordern gute Geschenke letztlich ein.

Es geht um meinen Geschmack, nicht den der anderen

Wenn ich beispielsweise meiner Frau pflichtschuldig ein Kochbuch schenke, worin sich meine eigenen Leibgerichte wiederfinden, dann geht es dabei gar nicht um ihren, sondern allein um meinen eigenen Geschmack. Und auch dann, wenn ich anderen anstandshalber etwas schenke, was ihnen früher mal gefallen hätte oder später mal gefallen könnte, richte ich mich eigentlich nicht nach ihnen, sondern nach mir. Ich scheue die Mühe, mich auf die Gegenwart des anderen wirklich einzulassen, und nehme stattdessen seine Vergangenheit oder Zukunft in Besitz.
Wer auf Geschenke zwar nicht gänzlich verzichten, wohl aber von vornherein jede Anstrengung vermeiden und ja nichts falsch machen will, der steckt dieser Tage einfach Geld in einen Briefumschlag – und fertig. Dass sich Geldgeschenke einiger Beliebtheit erfreuen, liegt an der angeblichen Win-Win-Situation, die sie schaffen. Sie reduzieren die Qual der Wahl der Schenkenden und potenzieren die Kaufkraft der Beschenkten.
Doch genau da liegt das Problem: So praktisch multioptionale Geldgeschenke auch sein mögen, sie negieren im Grunde genommen die Herausforderungen des Geschenks. Anstatt, dass ich anderen wirklich etwas schenke, sorge ich bloß dafür, dass sie sich alles Mögliche kaufen können. Ich kaufe mich damit von der Aufgabe frei, die Persönlichkeit der anderen tatsächlich wahrzunehmen.

Gemeinsame Freuden des geglückten Geschenks

Wem es hingegen gelingt, andere froh und munter zu stimmen, indem er einen real existierenden Wunsch erfüllt oder sie überraschenderweise in ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten bestärkt, der erfährt die gemeinsamen Freuden des geglückten Geschenks. Dieses Glück kann sich freilich nur dann ereignen, wenn es nicht vonseiten der Beschenkten durch eine kompromisslose Wunschzetteldiktatur vorzeitig verhindert wird.
Was in übersättigten Wohlstandsgesellschaften auf den geschriebenen oder ungeschriebenen Wunschzetteln übrigens immer höher im Kurs steht, das lässt sich interessanterweise gerade nicht kaufen. Angesichts der sozialen Eiszeit, die überhitzter Konsumkapitalismus und unterkühlter Hyperindividualismus verursachen, erwärmen uns kleine Gesten der Aufmerksamkeit weit mehr als der allerletzte Schrei. In Zeiten zunehmender Einsamkeit und Vereinzelung werden wir einander mehr und mehr selbst zum eigentlichen Geschenk.

Gute Geschenke sind keine Pflichterfüller

In seinen Aufzeichnungen "Am Felsfenster morgens" notiert der Literaturnobelpreisträger Peter Handke unter dem Stichwort "Liebe": "Ich kann mir für dich nichts ausdenken; es kann mir für dich nur etwas einfallen." Nichts anderes ist die Zumutung des guten Geschenks: Sie besteht gerade darin, nicht vorschnell irgendwelche falschen Tribute zu zollen, sondern auf den rechten Moment der Inspiration zu warten.
Schließlich gilt: Gute Geschenke sind weder Pflichterfüller noch Dankbarkeitsforderer. Sie liegen jenseits von Schuld und Vergeltung. Sie durchbrechen als ebenso freie wie freilassende Taten den Teufelskreis des ausweglosen Wiederholungszwangs gegenseitiger Gefälligkeiten. Und sie verklären, wenn sie gelingen, ganz gleich welches Fest zu einem Fest der Liebe.

Philip Kovce, geboren 1986, Ökonom und Philosoph, forscht an den Universitäten Witten/Herdecke und Freiburg im Breisgau sowie am Basler Philosophicum. Er gehört dem Think Tank 30 des Club of Rome sowie dem Forschungsnetzwerk Neopolis an und gab jüngst im Suhrkamp Verlag den Sammelband "Bedingungsloses Grundeinkommen. Grundlagentexte" heraus.

© Stefan Pangritz
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