Stephen King/Owen King: "Sleeping Beauties"

Das große Rätsel um entschlafene Prinzessinnen

Buchcover "Sleeping Beauties" vor dem Hintergrund eines Uni-Campus in Iowa
Buchcover "Sleeping Beauties" vor dem Hintergrund eines Uni-Campus in Iowa © Imago / Cover Heyne Verlag
Von Thomas Wörtche · 16.01.2018
Owen King ist der Sohn von Erfolgsschriftsteller Stephen King. Beide zusammen haben ein brennend aktuelles Thema in einem Thriller verarbeitet: die Geschlechterdebatte. Die "Sleeping Beauties" der beiden Kings sind kein Pamphlet und kein Thesenroman aber ein Statement.
Man kann nicht alle Stephen-King-Romane lesen, aber alle paar Jahre einen, das geht schon. Manchmal erwischt man dann einen grottenschlechten, manchmal einen eher gelungenen. In diese Kategorie gehört "Sleeping Beauties", den King zusammen mit seinem Sohn Owen geschrieben hat – wobei man sich mit der Frage, wie sich die kreativen Anteile auseinanderklamüsern ließen, gar nicht befassen muss. "Sleeping Beauties" ist ein Stephen King-Roman, und die sind sowieso ein eigenes Genre.
Die Grundidee ist blendend: Überall auf der Welt schlafen die Frauen ein. Ein seltsamer Kokon überzieht ihren Körper und wehe dem, der versucht, dieses Gespinst zu entfernen. Denn dann verwandeln sich die Frauen in rasende Bestien. Lässt man sie aber in Ruhe, wachen sie in einer anderen Welt auf, die nur entfernte Ähnlichkeit mit der hat, der sie entschlafen sind. Allerdings verschwinden sie auch aus der alternativen Welt, wenn ihre Körper in der "realen Welt" zerstört werden. Das Verschwinden der Frauen führt zu Chaos und Gewalt, die Männer neigen dazu, in den Kokons etwas Böses zu sehen, das man final bekämpfen muss.

Die großen Weltprobleme in einer kleinen Stadt

Wie oft bei Stephen King konzentriert sich die Welt in einer amerikanischen Kleinstadt, diesmal heißt sie Dooling und liegt in den Appalachen, in West Virginia. In einer Gegend also, die zu den Krisenregionen der USA gehört, und diese Tatsache gehört zu den vielen Subtexten des 957-Seiten-Backsteins. Eine Besonderheit aber scheint es in Dooling zu geben. Ein märchenhafter Baum dient als Tor zu der anderen, der Welt der Frauen. Und eine Emissärin dieser anderen Welt, ein Wesen namens Evie, materialisiert sich. Äußerlich eine wunderschöne Frau, die nicht einschläft, sondern manifest in die Ereignisse eingreifen kann.
Aber weil viele Männer der Gemeinde argwöhnen, sie habe ein Gegenmittel oder sei eine Hexe, versuchen sie, Evie einzufangen. Mit ein paar Getreuen, darunter auch benevolente Männer, sitzt Evie im Frauengefängnis (in dem größere Teil des Romans spielen) verbarrikadiert fest. Die Schlacht beginnt, während Evie den Frauen in der anderen Welt die Entscheidung überlässt, ob sie zurückkehren oder in einer neuen Welt die Geschlechterverhältnisse ändern wollen.

Die rätselhaften Ereignisse - sie bleiben rätselhaft

Ein Beitrag der Kings zu Geschlechterdebatte, einige Zeit vor "#metoo" geschrieben? Oder nur das Ausreizen eines in der Luft liegenden Themas zu spannungsliterarischen Zwecken? Vermutlich beides. Der Roman ist kein Pamphlet, kein Thesenroman, dafür ist er zu komplex, mit Aberdutzenden von Figuren, mit vielen Subtexten, darunter auch die prekäre Ökologie. Dann wieder ist "Sleeping Beauties" ein robuster Knastroman, er hat die üblichen Slasher-Szenen, obwohl die sehr milde ausfallen und eher rar gesät sind. Er hat poetische Bilder zu bieten (die meistens im Zusammenhang mit dem magischen Baum stehen) und sehr differenzierte Figuren.
Und der Roman widersteht, glücklicherweise, wie oft bei King, der Versuchung, eine Plausibilisierung der rätselhaften Ereignisse anzubieten. Auch mit dem Dornröschen-Vergleich kommt man nicht viel weiter – diese Frauen werden nicht von einem Prinzen wachgeküsst, die Entscheidung über ihr eigenes Leben ist ganz und gar ihre eigene Entscheidung, die sie allerdings einstimmig treffen müssen. Das alles ist sehr multipel interpretierbar. Gut so.

Stephen King/Owen King: "Sleeping Beauties".
Roman. Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt
Heyne, München 2017
957 Seiten, 28 Euro

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