Politisches Lagerdenken

Für eine Versöhnung linker und rechter Prinzipien

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Konflikt in der Politik
Links gegen Rechts und umgekehrt: "Meine Generation, bekannt als Generation Y oder Millennials, ist gegen alle Ideologie erzogen worden", so Konstantin Sakkas. © imago/Ikon Images/Roy Scott
Ein Standpunkt von Konstantin Sakkas · 04.03.2019
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Seit der Wahl Trumps und dem Aufstieg der AfD hat das Lagerdenken eine Renaissance erfahren. Links und rechts, so scheint es, stehen einander wieder unversöhnlich gegenüber. Der Philosoph Konstantin Sakkas plädiert für ein Miteinander.
Als 1990 der Kalte Krieg zu Ende ging, wurden das Ende des ideologischen Zeitalters und der Beginn der Spaßgesellschaft ausgerufen. Babyboomer und Generation X steckten sich in einem fröhlichen, weltumspannenden Rausch die Taschen voll und sangen dazu den Refrain Bill Clintons: It’s the economy, stupid.
In den Nullerjahren wendete sich dann das Blatt: eine neue Geopolitik griff um sich und riss die alten Wunden im Nahen und Mittleren Osten wieder auf, und bald darauf brach die Weltfinanzkrise aus. Die westliche Gesellschaft driftete auseinander – in den USA, aber auch in Europa. Der Brexit ist beschlossene Sache, die AfD sitzt in allen deutschen Landesparlamenten, die so genannte Flüchtlingskrise spaltet die Gesellschaft, Energiewende und Geschlechterpolitik erhitzen die Gemüter. Konservatives und linksliberales Milieu stehen in erbittertem Widerstreit.

Die zwei Seiten der Verantwortung

Doch stehen wir wirklich vor einer Rückkehr des Ideologischen? Daran habe ich meine Zweifel. Meine Generation, bekannt als Generation Y oder Millennials, ist gegen alle Ideologie erzogen worden. Unser Heiliger Gral ist das Prinzip Verantwortung, und Verantwortung hat immer zwei Seiten: eine egoistische und eine altruistische.
Heute muss man nicht mehr linksgrün in der Wolle gefärbt sein, um viele linksgrüne Forderungen mitzutragen. Es genügt Geschichtsbewusstsein: Es gab eine Zeit vor der CO2-intensiven Wirtschaft, es wird auch eine Zeit nach ihr geben. Man kann über das altkluge Auftreten der schwedischen Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg schmunzeln – und dennoch ihre Forderungen für sinnvoll und richtig halten. Übrigens war Elektromobilität schon einmal das Mittel der Wahl – und wäre es wahrscheinlich geblieben, hätte nicht ausgerechnet die massive Aufrüstung vor und im Ersten Weltkrieg dem Verbrennungsmotor einen unverhofften Boom verschafft.

Ein Blick in die Historie

Was für Emissionen gilt, gilt auch für Ernährung. Wer heute einen mitteleuropäischen Supermarkt betritt, bewegt sich durch Batterien von Fleisch und Schokolade. Man muss kein Grünenwähler sein, um zu kapieren, dass das nicht gesund und nicht richtig sein kann, nicht fürs Klima und nicht für die eigene Ernährung.
Das Thema Flüchtlinge hat Deutschland und Europa seit 2015 massiv politisiert. Doch auch hier hilft der Blick ins Geschichtsbuch: Europa und der Orient bilden religions- und kulturgeschichtlich eine Einheit, die Kluft zwischen Westen und Orient ist ein Produkt des germanischen Mittelalters. Globalisierung war der historische Normalfall, woran insbesondere Konservative, die das Denken in Großreichen ja lieben, sich erinnern sollten.
Schließlich das Thema Gleichberechtigung. Auch mir, ich gebe es zu, geht der selbstgerechte Tonfall vieler Feministinnen oftmals auf die Nerven. Aber die Grundziele: Empowerment und Inklusion, gelten letztlich für uns alle. Jedermann wird in irgendeinem Punkt ausgegrenzt, jedermann ist auf seiner eigenen Heldenreise.

Es geht immer um Anerkennung

Wer sich die Sache so ansieht, wird entdecken, dass den konservativen Publizisten Jordan Peterson, der, wie ich finde, zu Unrecht von der amerikanischen Rechten vereinnahmt wird, und die englische Feministin Laurie Penny viel mehr verbindet als trennt. Letztlich geht es immer um Anerkennung der eigenen Individualität; wie diese konkret definiert wird, ist demgegenüber doch nachrangig.
Das linke Prinzip der Verantwortung und das rechte Prinzip des Heroismus können und müssen miteinander versöhnt werden. Wir wollen Helden und Heldinnen sein, wir wollen und dürfen aber unsere Umwelt nicht unnötig dominieren. Das gilt gesellschaftlich, politisch und klimapolitisch. Der Mensch als der heroische Einzelgänger der Schöpfung wird nur überleben, wenn er sich selbst immer wieder zur Verantwortung ruft.

Konstantin Sakkas, Jahrgang 1982, studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte und schloss sein Studium 2009 an der Freien Universität Berlin mit einer Magisterarbeit über Hannah Arendt ab. Er lebt und arbeitet als Publizist und Kommunikationsberater in Berlin.

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