Grüße aus der Steinzeit
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Schon die Menschen vor 40.000 Jahren haben musiziert. So sind zum Beispiel in der Schwäbischen Alb aus dieser Zeit einige Fragmente von Instrumenten überliefert: Flöten aus Tierknochen. Zwei Musiker aus Dresden haben diese wieder zum Leben erweckt.
Sie heißt "Geißenklösterle 1" und wurde in einer Höhle der Schwäbischen Alb gefunden. Die kleine Flöte besteht aus dem Radiusknochen eines Singschwans. Die Überreste der Flöte, die in der Höhle überdauert haben, sind etwa 40 000 Jahre alt. Damit ist sie einer der frühesten Funde, die belegen, dass die Menschen in der Steinzeit Musik gemacht haben.
Wie klangen die Flöten der Steinzeit?
Aufnahmen mit verschiedenen Flöten aus der Steinzeit entstanden im Rahmen eines europäischen Musik-Archäologie-Projekts. Verschiedene frühe Instrumente wurden in einer Wanderausstellung präsentiert. Zugleich sollte erfahrbar gemacht werden, wie diese Instrumente geklungen haben, so dass begleitend eine Reihe von CDs entstand.
So auch im Jahr 2017 die CD "The Edge of Time", auf der Anna Friederike Potengowski gemeinsam mit dem Schlagzeuger und Komponisten Georg Wieland Wagner die Flötenrekonstruktionen in ganz unterschiedlichen musikalischen Kontexten zum Klingen bringt.
Aus der Elle eines Geiers
Das Stück "Mayuman" hatte Georg Wieland Wagner eigentlich für Marimba, Vibraphon und Querflöte komponiert. Jetzt sollte es mit einer Flötenrekonstruktion aus der südfranzösischen Höhle Isturitz spielbar gemacht werden. Diese Flöte aus der Elle eines Gänsegeiers ist in voller Länge überliefert, bietet also wichtige Anhaltspunkte für die Rekonstruktion auch anderer steinzeitlicher Instrumente. Sie wird auf ein Alter von 20 000 Jahren geschätzt, ist also deutlich jünger als die Funde aus der Schwäbischen Alb.
Um das Stück an diese Flöte anzupassen, musste sich Georg Wieland Wagner auf die spezifischen Möglichkeiten des Instruments einlassen und seine musikalischen Vorstellungen daran anpassen.
"Wir haben eine Tonanalyse von der Flöte, auf der Friederike das spielen wollte, gemacht. Dann habe ich mir aufgeschrieben, welche Töne die Haupttöne waren, die richtig gut klangen, die also die Flöte uns schenkt, und welche Töne man auch noch benutzen kann, ohne dass die Flöte verärgert ist, und dann hab ich dieses Stück so reduziert, dass die Aussage geblieben ist, aber mit viel weniger Tönen."
Knochen - Holz - Holunder
Um sich auch der steinzeitlichen Art zu musizieren anzunähern, machte sich Anna Friederike Potengowski auf die Suche nach traditionell überlieferter Flötenmusik.
"Wenn man diese Musik rekonstruieren möchte oder einen Ansatz finden, wie man das rekonstruieren könnte, sucht man natürlich, ob vielleicht irgendwelche musikalischen Traditionen überlebt haben könnten. Das ist bei 40 000 Jahren mit so vielen Wanderungsbewegungen in Europa ziemlich unwahrscheinlich, aber ich brauchte einfach einen Punkt, von dem ich anfangen konnte:
Und es gibt entlang der Donau in Slowenien, in Ungarn, noch praktizierte Hirtenflöten-Traditionen. Das heißt, die Hirten gehen wirklich raus mit ihren Tieren und die bauen sich wirklich selbst ihre Instrumente, zum größten Teil aus Holz, Holunder oder so etwas, aber es gibt auch Knochenflöten-Traditionen. Das ist wissenschaftlich nicht sonderlich fundiert, aber ich habe das als Inspiration genommen."
Die Frage nach dem Ursprung der Flötenmusik führte Anna Friederike Potengowski ins Urgeschichts-Museum in Blaubeuren, wo sie erstmals auf die Flötenfunde aus der Schwäbischen Alb stieß.
Eine Nacht mit außergewöhnlichem Fundstück
Potengowski durfte die Flötenrekonstruktion über Nacht ausleihen und sich ausführlich damit beschäftigen. Obwohl sie ausgebildete Flötistin ist, brauchte sie eine ganze Weile, bis sie auf der Flöte annähernd zu ihrer Zufriedenheit spielen konnte.
Mit oder ohne Rohrblatt
Bei ihrer Recherche stieß Potengowski auf eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten, wie sich die Instrumente spielen lassen. Es gibt Ansatz- und Anblasmöglichkeiten und es lässt sich sogar in Frage stellen, ob die Instrumente überhaupt wie Flöten gespielt wurden. Eine Spielmöglichkeit, die von dem französischen Experimental-Archäologen Jean-Loup Ringot ins Spiel gebracht wurde, nutzt ein Rohrblatt zur Tonerzeugung, so wie bei einer Klarinette.
Wer ein nur teilweise erhaltenes Instrument nachbauen will, muss das Fehlende ergänzen und dafür Entscheidungen treffen. Wie lang soll das Instrument werden? Und wenn ein Ende fehlt, wie soll es ergänzt werden? All diese Details haben am Ende Auswirkungen auf den Klang des Instruments. Ein Grund, weshalb sich Anna Friederike Potengowski schon bald der Herausforderung stellte, ihre Instrumente selbst zu bauen.
Vorwärts in die Steinzeit
Um möglichst nah am Original zu sein, ist es erforderlich, auch das originale Grundmaterial zu verwenden. Etwas, das nicht ganz einfach ist, sind Gänsegeier und Singschwan doch geschützte und seltene Vögel.
Es bedarf der Kontakte zu Zoos und Ornithologen, die einem die Knochen natürlich verstorbener Tiere zukommen lassen. Noch schwieriger ist die Lage, wenn es um die Rekonstruktion einer Flöte aus Mammutelfenbein geht, wie sie unter dem Namen "Geissenklösterle 3" gefunden wurde. Doch auch dieses Material lässt sich organisieren, seit die tauenden Permafrost-Böden die Überreste der Urzeittiere wieder vermehrt freigeben.
Bei der Arbeit an den Instrumenten benutzt Anna Friederike Potengowski auch keine heutigen, sondern steinzeitliche Werkzeuge.
Brücke zu den Ursprüngen der Musizierens
Mit ihrem Projekt "The Edge of Time" schlagen Anna Friederike Potengowski und Georg Wieland Wagner eine Brücke von den Ursprüngen der Musik ins heute. Der Klang der steinzeitlichen Instrumente macht 40 000 Jahre menschlicher Entwicklung spürbar. Wo stehen wir heute auf diesem langen Zeitstrahl? Und Menschsein, was bedeutet das eigentlich? Diese Fragen geben uns die alten Flöten mit auf den Weg, mit einem fernen Gruß aus der Steinzeit.