Künstler William Kentridge

"Die Unmöglichkeit verdeutlichen, gute Lösungen zu finden"

Der südafrikanische Künstler William Kentridge posiert am 04.07.2016 in Berlin beim Haus der Berliner Festspiele am Rande der Pressekonferenz für das internationale Performing Arts Festival Foreign Affairs.
Der südafrikanische Künstler William Kentridge posiert am 04.07.2016 in Berlin beim Haus der Berliner Festspiele am Rande der Pressekonferenz für das internationale Performing Arts Festival Foreign Affairs. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
William Kentridge im Gespräch mit Susanne Burkhardt · 09.07.2016
Der südafrikanische Künstler William Kentridge ist beim Performance-Festival "Foreign Affairs" der Berliner Festspiele mit Videos und Performances vertreten. In "Rang 1" erzählt er, was Kunst und Theater in unserer Gegenwart noch leisten können.
Susanne Burkhardt: Sie sind hier beim Performance-Festival "Foreign Affairs" der Berliner Festspiele in vielen Videos und auch Performances als Darsteller zu erleben – wir wussten gar nicht, dass Sie auch ein Talent als Akteur haben…
William Kentridge: Naja – das ist Zufall – nicht wirklich beabsichtigt – jedes Mal, wenn ich dachte, ich würde etwas Komödiantisches machen, fanden die anderen das nicht lustig. Und diesmal dachte ich, ich würde mal richtige Diskussionen führen, und da heißt es, das sei lächerlich. Ich kann also kaum beeinflussen, wie die Videos wirken.
Der Künstler William Kentridge läuft rückwärts - beim Performance-Festival "Foreign Affairs" der Berliner Festspiele 2016
Der Künstler William Kentridge läuft rückwärts - beim Performance-Festival "Foreign Affairs" der Berliner Festspiele 2016© Deutschlandradio / Susanne Burkhardt
Susanne Burkhardt: Ich mochte besonders die Szene, wenn Sie das Interview sich selbst geben und dann auf sehr komplexe Antworten einfach drüber sprechen: "Er spricht über Mayonnaise..." Ist das ein Gefühl, das Sie haben, wenn Sie Interviews geben müssen, dieses immer wieder erklären, was Sie machen und warum?
William Kentridge: Wenn Sie viele Interviews geben, ist das für die Interviewer immer das erste Mal, dass sie etwas fragen, mir aber geht es so, dass ich oft schon vor der Antwort weiß, was ich antworten werde, und versuche, dann etwas ganz anderes zu sagen. Mir gefällt der Ansatz von Andy Warhol, der sich immer wieder eine neue Biografie ausgedacht hat, wenn er gefragt wurde. Und dann konnte er sehen, wie die Leute mit den verschiedenen falschen Fakten umgingen. Aber ich trau mir das nicht zu, was Andy Warhol da gemacht hat.
Die vier oder fünf Interview-Stücke, die in der Ausstellung zu sehen sind, machen sich lustig über die Interview-Form – aber sie zeigen auch die verschiedenen Ichs, die in uns stecken – die verschiedenen Seiten, die wir einnehmen, bei Gesprächen mit uns selbst. Was wir einerseits denken – und öffentlich sagen, und wie die innere Stimme dann über dieses Öffentliche denkt…

Besser scheitern als Feld der Kunst

Susanne Burkhardt: Sie haben jetzt eine große Ausstellung in Berlin, im Martin-Gropius-Bau. Das Festival widmet sich Ihrer Arbeit und ich hab mich gefragt, Sie leben in Johannesburg, das ist eine Stadt, die lange als sehr gefährlich galt, die sehr zu tun hat auch mit Flüchtlingen, die in die Stadt kommen… Wenn Sie auf das Europa heute schauen, nach dem Brexit, nach der Situation, die wir in vielen Nachbarländern beobachten können, rechtspopulistische Tendenzen, dieses Thema "uncertainty" – ist das inzwischen fast stärker hier in Europa für Sie zu betrachten, als in Ihrer Heimat Südafrika?
William Kentridge: Unsicherheit war immer ein Teil von Südafrika – aber auch von Europa. Nur war es hier nicht so präsent. Die zunehmende Zahl von Flüchtlingen oder Wirtschaftsmigranten der vergangenen Jahre haben ein stabil scheinendes und reiches System erschüttert, und deutlich gemacht, dass es keine befriedigenden Lösungen gibt. Das politische Chaos, das auf den Brexit folgte, und die plötzliche Angst vor rechten Parteien in Europa machen Unsicherheit plötzlich deutlich spürbar. Und so gesehen wird Europas jetzt dem Rest der Welt immer ähnlicher. Bisher war es immer so: in Nordamerika und Europa herrschte das Gefühl von Ruhe und Ordnung vor, ein Gefühl, dass man die Zukunft kontrollieren könne. Undenkbar für so viele andere Länder, wo viel improvisierter gelebt wird. Von außen betrachtet gibt es also fast so eine Art Erleichterung und man denkt: "Willkommen in der Welt – so läuft das hier."
Susanne Burkhardt: Es gibt Menschen, die sagen, die Kunst hat keine Antworten mehr auf das, was heute passiert. Und die sagen, das Theater könnte diese Antworten finden, oder diese Räume, wo ein direkter Diskurs stattfindet zwischen den Menschen, teilen Sie diese Einschätzung?
William Kentridge: Theater und Kunst können diese Paradoxien aufzeigen. Sie müssen nicht mal die Fragen klären, um die es geht, sondern einfach nur die Unmöglichkeit verdeutlichen, gute Lösungen zu finden. Und die Tatsache feiern, dass wir vermutlich nur schlechte Lösungen finden. Wieder versuchen, scheitern , besser scheitern – wie Beckett sagte. Ich glaube, das ist heute das Feld der Kunst.
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