Hilal Sezgin: "Nichtstun ist keine Lösung"

Verteidigung des Gutmenschen

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Hilal Sezgin macht Mut zur eigenen Courage. © dpa / Markus Scholz / Dumont
Von Catherine Newmark · 20.07.2017
Hilal Sezgin ist Philosophin und eine der aktivsten Veganerinnen Deutschlands. In ihrem neuen Buch fragt sie, warum das Moralische in Verruf geraten ist. Dabei greift Sezgin in ihrer Analyse auch auf persönliche Erlebnisse zurück.
Im Wörtchen "Gutmensch", das nicht erst seit 2015, als es Unwort des Jahres war, polemisch gegen hilfsbereite Menschen eingesetzt wird, ist das Gute selbst zum Schimpfwort geworden. Wie konnte es soweit kommen, fragt die Philosophin, Publizistin und Tierrechtlerin Hilal Sezgin in ihrem neusten, lesenswerten Buch, dass das Moralische selbst in Verruf geraten ist – und zwar durchaus nicht nur in den Fällen, wo Moral als unangenehmer Rigorismus auftritt, sondern gerade auch da, wo Menschen offen, freundlich, ja enthusiastisch das tun, was sie für gut und richtig halten und versuchen, die Welt im Kleinen ein bisschen besser zu machen?
Das Phänomen der Gutmenschen-Schmähung (für die es bereits den englischen Fachausdruck "do-gooder derogation" gibt) lässt sich psychologisch recht gut erklären: Wenn wir selber uns weniger gut verhalten als andere, dann neigen wir dazu, das unangenehme Gefühl, das dadurch in uns entsteht, durch Abwertung der besser Handelnden zu überspielen.
Da wir ungern über uns selbst schlechter denken als über andere, treten wir, was moralisches Handeln betrifft, oft unwillkürlich in ein Konkurrenzverhältnis mit anderen. Und statt bewundernd zuzugeben, dass unser Nachbar wirklich viel Gutes tut, während uns leider die Zeit dafür fehlt, werten wir uns selber dadurch auf, dass wir ihn als naiv oder seine Handlungen als letztlich aufs große Ganze gesehen als irrelevant bezeichnen.

In der Summe können viele Menschen etwas bewirken

Sezgin greift in ihrer ganzen Analyse auf persönliche Erlebnisse zurück. Bewusst persönlich angreifbar macht sie sich bei der Beschreibung jenes Enthusiasmus, den sie selbst im Herbst/Winter 2015/2016 bei ihrem Engagement in der Flüchtlingshilfe empfunden hat. So schildert sie eine fast kindliche Freude, eine langanhaltende Intensität des Erlebens, die mit den kleinen Hilfshandlungen einhergegangen sei – in vollem Bewusstsein, dass dadurch kein einziges der globalen politischen Probleme der Flüchtlingskrise gelöst wird.
Und, so lautet ihre entscheidende Frage: Was daran ist schlecht, verachtenswert? Dass ein Mensch nicht in allem gut handelt, dass er nicht konsequent immer nur gut ist, dass kleine Handlungen der Hilfe und der Menschlichkeit von sehr begrenzter Reichweite sind – geschenkt. Aber warum sollte uns das hindern, Gutes zu tun und uns dabei gut zu fühlen?

Viele kleine Sandsäcke helfen

Sezgin weitet im Folgenden ihre Argumentation auf globale Verantwortung aus, sie benennt die verzweifelt akuten weltweiten Problemlagen, zitiert Studien, Fachliteratur und Zeitungsreportagen. Und kommt doch immer wieder auf das Persönliche zurück, auf die Frage, wie wir als in Gemeinschaft lebende Wesen unseren kleinen Teil dazu beitragen können, dass irgendetwas, und sei es das Kleinste, besser wird. Frei nach dem Motto: Kein Einzelner kann einen Dammbruch reparieren, und jeder einzeln herbeigeschleppte Sandsack wirkt im Vergleich zur Größe des Problems lächerlich klein – aber in der Summe können viele Menschen mit vielen Sandsäcken doch etwas bewirken.
Das kann man natürlich alles sofort als naiv und "gutmenschlerisch" kritisieren, treu dem von Sezgin gut beschriebenen Abwehrreflex. Was aber hindert uns daran, dieses nicht nur elegant und leichthändig, sondern auch durchwegs heitere, ja humorvolle Buch, als Ermutigung zu lesen?

Hilal Sezgin: "Nichtstun ist keine Lösung"
Dumont, Köln 2017
160 Seiten, 14 Euro

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