Glosse

In Emden, Mainz oder Jena der Gentrifizierung entkommen

Blick in die Raumerstraße am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg in Berlin.
Kann man bald wieder billig im Prenzlauer Berg wohnen? Klaus Nothnagel hat eine Idee, wie das gehen könnte. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Klaus Nothnagel · 07.08.2017
Ein Grund für steigende Mieten: Alle wollen zum Beispiel in Berlin in Prenzlauer Berg oder Friedrichshain wohnen. Klaus Nothnagel rät, in Orte zu ziehen, vor denen Investoren wegen sinkender Mieten gewarnt werden. Wird so der Prenzlauer Berg wieder bezahlbar?
Gentrifizierung - ich kann's nicht mehr hören! Woher kommt das Gedränge um die Wohnungen denn wirklich? Ganz einfach: Weil zum Beispiel in Berlin alle in Prenzlauer Berg, Mitte, Friedrichshain wohnen wollen. Wie das Gerücht von der Großartigkeit dieser Bezirke in die Welt kam, weiß keiner. Schmuddlige, volltrunkene skandinavische Wochenendtouristen schwanken auf der Suche nach ihren rustikalen Billighotels durch die Trendbezirke, die einige Jahre lang von Avantgardekünstlern trockengewohnt und dann von solventen süddeutschen Pensionären, internationalen Investoren und Berliner Immobiliengaunern aufgekauft wurden.

Die leidigen Neumieter

Lässig und entspannt könnte dieser Automatismus abschnurren - wenn nicht dauernd Neumieter zuzögen, und zwar so viele und so lange, bis 2 Zimmer mit 64 Quadratmetern strahlende 1034 Euro Miete kosten, während schlappe 12 Kilometer weiter südlich, in Tempelhof, die gleiche Wohnungsgröße 300 Euro billiger zu haben wäre.
Machen wir uns nichts vor: Wir brauchen einen Mentalitätswandel. Lösen wir uns von dem Aberglauben, dass der Immobilienmarkt für den Menschen da ist - der Mensch hat dem Markt zu dienen, so geht das! Und reicht es, wenn der Wohnungssuchende sich innerhalb einer Stadt flexibilisiert? Reicht nicht. Zu klein gedacht. Es ist doch nicht zu viel verlangt, dass der Mietwillige mal einen Blick in die Übersicht wirft, die eine große Maklerfirma - nennen wir sie Reibach & Gier - regelmäßig publiziert. Hier orientiert sich der Investor, in welchen Orten der Republik für Hausbesitzer die fettesten Mieten erzielen sind.

Bald interessiert sich niemand mehr für Prenzlauer Berg

Der Mieter muss die Statistik nur andersherum lesen: Vor welchen Orten werden Investoren gewarnt, weil man da mit Mieten nicht reich werden kann? Emden, Chemnitz, Mainz und Jena. Und in einen dieser Orte - in denen ja schließlich auch bisher schon Menschen gewohnt haben - ziehen wir jetzt, um lächelnd die dortigen Mieten zu bezahlen, die im letzten Jahr um bis zu 1,9 Prozent gesunken sind! Sinken sie weiter – gut. Dreht sich der Trend – Kisten packen, weiterziehen. Vielleicht ist irgendwann Lingen, nicht weit von Meppen und Cloppenburg, das Eldorado für Mieter. Zur Zeit steigen da die Mieten kräftig, so dass es eher die Investoren nach Lingen lockt. Noch. Abwarten.
Flexibilität also. Zur breiten Bugwelle, die jetzt schon durchs Land rollt - Investoren auf der Suche nach dem dicksten Reibach - kommt dann eine schmalere: Mieter, teilsesshafte Mietwillige, von einem Billig-Ort zum anderen durch die Republik plätschernd. Wenn ich die Marktwirtschaft richtig verstehe, heißt das: Bald interessiert sich kein Mensch mehr für den Prenzlauer Berg, und man kann wieder schweinebillig am Kollwitzplatz wohnen. Also: Ab geht's - nach Emden, Chemnitz, Mainz und Jena!
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