Filmmusik

Was wäre "Psycho" ohne schaurige Musik?

Janet Leigh in "Psycho" von Alfred Hitchcock, 1960
Janet Leigh in "Psycho" von Alfred Hitchcock, 1960 © picture alliance/ANN / The Korea Herald
Von Vincent Neumann |
Ob James Bond, Harry Potter oder Luke Skywalker – die großen Leinwand-Helden sind auch wegen der jeweiligen Filmmusik zu Legenden geworden. Das Buch "Movies: Sound! Camera! Action!" ist in Text, Bild und Ton eine Navigationshilfe durch die Geschichte der Filmmusik.
Was wäre die berühmte Duschszene in Alfred Hitchcock's "Psycho" ohne ihre nervenzerfetzenden Streicher-Klänge? Auch wenn es eigentlich eine rhetorische Frage ist, mit der das Buch "Movies: Sound! Camera! Action!" beginnt – lassen Sie uns einen Moment darüber nachdenken: Janet Leigh, alias Marion Crane, steht unter der Dusche, eine verschwommene Gestalt nähert sich hinter dem Vorhang, zieht ihn mit einem Ruck zur Seite, man sieht ein großes Messer und ... Stille! Langweile!
Ohne die legendäre Musik von Bernard Herrmann hätte weder die Szene noch der gesamte Film auch nur annähernd so gut funktioniert. Gleiches gilt für Ennio Morricone's Themen zum Kult-Western "Spiel mir das Lied vom Tod", die größtenteils schon vorab entstanden waren und während der Dreharbeiten abgespielt wurden, um die Schauspieler komplett in die Atmosphäre des Films eintauchen zu lassen.
Es wäre also nur logisch, eine chronologische Aufarbeitung der Filmgeschichte auch musikalisch mit Hilfe der jeweiligen Soundtracks zu begleiten; die Herangehensweise bei "Movies: Sound! Camera! Action!" ist aber – zumindest gefühlt – genau andersherum: Die acht beiliegenden CDs bieten einen Querschnitt durch knapp 100 Jahre Filmmusikgeschichte, die anhand von ausgesuchten Fakten, Plakat, Fotos und kurzen Anekdoten zum jeweiligen Film illustriert wird – angefangen bei "Laurel & Hardy" im Jahr 1932.
Manch ein Klassiker fehlt
Trotz acht CDs und insgesamt mehr als neun Stunden Musik kann eine solche Zusammenstellung eines ganzen Jahrhunderts Film- und Filmmusikgeschichte natürlich niemals vollständig sein; schon im Vorwort sprechen die Autoren deshalb selbst von einer "subjektiven Auswahl".
Manch ein Klassiker wie Dmitri Tiomkin's "High Noon" fehlt, ebenso namhafte Vertreter des "Goldenen Filmmusikzeitalters" der 30er- und 40er-Jahre – trotzdem gelingt es mit dieser subjektiven Auswahl gerade in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, den jeweiligen Zeitgeist, beziehungsweise die musikalische Mode der Zeit abzubilden. In den 70ern waren das zum Beispiel Horror-Soundtracks wie "Der Exorzist" oder "Halloween", aber eben auch Gangster- oder Bad-Cop-Filme wie "Shaft" und Dirty Harry".
Lalo Schifrin's Titelthema zu "Dirty Harry" aus dem Jahr 1971 – gespielt in diesem Fall vom "New York Jazz Orchestra". Und auch bei den restlichen Tracks der Zusammenstellung handelt es sich nicht um Originalaufnahmen, sondern um neu eingespielte Versionen. Das bedeutet zwar nicht zwangsläufig einen Qualitätsverlust (manchmal sogar eher das Gegenteil); ungewohnt ist es trotzdem, wenn man zum Beispiel beim "Dritten Mann" nicht den Komponisten Anton Karas selbst, sondern eine gewissen Gertrud Huber an der Zither hört.
Die Neueinspielungen sind oftmals angenehmer zu hören
Auch bei bekannten Songs oder Jazznummern wie dem "Pink Panther"-Thema fällt es schwer, sich an diese neuen, geradezu klinisch reinen Klänge zu gewöhnen – in diesen Momenten fehlt dann stellenweise doch der leicht verrauchte, knarzige Sound der 60er-Jahre.
Anders sieht die Sache bei den zahlreiche Orchestersoundtracks aus, von "Casablanca" bis "Doktor Schiwago", von "Ben Hur" bis zu "Cinema Paradiso" – da sind die Neueinspielungen des filmmusikerprobten "City Of Prague Philharmonic Orchestras" nicht nur ein guter Ersatz, sondern in vielen Fällen klangtechnisch sogar ein Stück weit angenehmer zu hören als die verrauschten und nicht immer auf Perfektion getrimmten Originale.
Akzeptiert man die Tatsachen, dass es sich bei "Movies: Sound! Camera! Action!" a) um eine subjektive Auswahl, und b) um nachgespielte Stücke handelt, dann kann mit dem 200-Seiten-Wälzer und den dazugehörigen acht CDs viel Spaß haben:
Man könnte sich zum Beispiel einzelne Zeiträume auswählen und filmmusikalische Auffälligkeiten verfolgen, wie die in den frühen Nuller-Jahren, als binnen kürzester Zeit mehrere langlebige Blockbuster-Filmreihen wie "Harry Potter", "Der Herr der Ringe" und "Fluch der Karibik" ihre Geburtsstunde feierten – inklusive Ohrwurm-verdächtiger Soundtracks.
Reise durch 100 Jahre Filmgeschichte
Bestimmte Komponisten wie der fünffache Oscar-Preisträger John Williams haben sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten als absolute Ausnahmeerscheinungen herauskristallisiert: Er allein taucht in dieser Zusammenstellung stolze 12 Mal auf.
Aber auch bestimme Strömungen und Entwicklungen lassen sich in "Movies: Sound! Camera! Action!" nachvollziehen: Deutschlands Nummer 1-Hollywood-Export Hans Zimmer zum Beispiel ist heute in erster Linie für seine großen und oft düsteren Klangwelten bekannt. Der inzwischen typische und oft kopierte Hans Zimmer-Stil, das ist ein imposantes Hauptthema mit ruhigen Abschnitten, aber vor allem mit viel Bass und Schlagwerk für die Action-Passagen.
In seinen frühen Hollywood-Jahren war Hans Zimmer dagegen noch auf der Suche nach solch einer Handschrift: In Filmen wie "True Romance" experimentierte er 1993 mit eher minimalistischen Klängen und einer neuen Kombination aus Synthesizer und Orchester.
Ob Gangster-Epos oder Romanze, ob Hans Zimmer oder Max Steiner – auf der Reise durch fast 100 Jahre Film- und Filmmusikgeschichte sollte für wirklich jeden Geschmack etwas dabei sein. "Movies: Sound! Camera! Action!" bietet dazu in Text, Bild und Ton eine sichere Navigationshilfe, von "Laurel & Hardy" bis zum letztjährigen Oscar-Abräumer, dem Weltraum-Drama "Gravity" und der Musik von Steven Price.

Stefanie Breitbarth, René Valjeur: "Movies: Sound! Camera! Action!"
Erschienen bei "edel" in der Reihe "earbooks"
220 Seiten und acht CDs, 49,95 Euro

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