Goldene Aussichten
In der Nacht zum Montag wird in Los Angeles die weltweit bedeutendste Filmauszeichnung vergeben. Fünf Soundtracks streiten um den Titel "Beste Filmmusik". Mehr als verdient hätte den Oscar der französische Komponist Alexandre Desplat für "The Grand Budapest Hotel".
Sechs Mal nominiert, sechs Mal mit leeren Händen nach Hause gefahren – das ist die bisher ernüchternde Oscar-Bilanz von Alexandre Desplat. Dabei hätte der Franzose die Auszeichnung längst verdient, gehört er doch seit vielen Jahren nicht nur zu den produktivsten, sondern auch zu den vielseitigsten Komponisten weltweit. Aber immerhin – noch nie standen seine Chancen so gut wie in diesem Jahr: Mit "The Grand Budapest Hotel" und "The Imitation Game" hat Alexandre Desplat bei der Oscar-Verleihung nämlich gleich zwei Eisen im Feuer.
"The Imitation Game"
Zwischen großem Gefühls-Kino und Spionage-Thriller pendelt nicht nur der Film selbst, sondern auch der Soundtrack zu "The Imitation Game", der tragischen Geschichte des Mathematikers Alan Turing. Gekonnt meistert Alexandre Desplat diesen Spagat, zelebriert mit großem Orchesterapparat die emotionalen Passagen, macht aber auch die maschinelle Präzision in Turings Denkweise auf fast programmatische Weise in seiner Musik hörbar. Ein für Desplat-Verhältnisse ziemlich klassischer Score, der dadurch allerdings nichts von seiner Wirkung und Originalität einbüßt.
"Mr. Turner"
"Originell" ist auch das Stichwort für den britischen Komponisten Gary Yershon und seinen Soundtrack zum Film "Mr. Turner – Meister des Lichts". Originell deshalb, weil Yershon bei diesem Portrait einer historischen Figur – des Malers William Turner – statt der zu erwartenden romantischen Melodien des 19. Jahrhunderts bewusst auf anachronistische Klänge setzt, mit einem Instrument, das zur damaligen Zeit gerade erst erfunden wurde.
Aus einem Saxofon- und einem Streichquartett entwickelt Gary Yershon bei "Mr. Turner" eine ganz individuelle Klangsprache – damit ist er sicherlich der außergewöhnlichste der fünf Oscar-Kandidaten; möglicherweise aber auch der mit den geringsten Siegchancen, denn Mut und Innovation bei einer kleineren Produktion – das wird von der Academy eher selten honoriert.
"Die Entdeckung der Unendlichkeit"
Er sei an die Musik zum Stephen Hawking-Biopic "Die Entdeckung der Unendlichkeit". auf eine sehr emotionale Weise herangegangen – das verriet der Isländer Johann Johannsson unlängst im Interview. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit, denn unter der Oberfläche des wirkungsvollen, aber eher schlichten Klavierthemas, das Johannsson für die herzerwärmende Liebesgeschichte des Films geschrieben hat, versteckt sich weit mehr: Analog zum Privatleben des großen Physikers nimmt er dieses Thema nämlich im Verlauf des Films systematisch auseinander und baut es in immer neuen, oft komplexeren Formen wieder zusammen. Eine Tatsache, die schon die Jury bei den "Golden Globes" überzeugte; vielleicht war es aber auch nur die starke emotionale Wirkung von Johannssons Soundtrack.
"Interstellar"
An der Orgel der altehrwürdigen "Temple Church" in London entstand einer der grundlegenden Sounds des Science Fiction-Films "Interstellar". Deutschlands Hollywood-Export Hans Zimmer entwickelte diese prägende Klangfarbe, nachdem er bereits zwei Jahre vor Drehstart von Regisseur Christopher Nolan über die Thematik des Films informiert worden war. Große Melodien sucht man vergeblich; vielmehr setzt der 57-Jährige in seinem Soundtrack auf Samples, Computer und Synthesizer-Klänge, die er im Verlauf des Films immer weiter verfremdet.
Wie man mit den großflächigen Klanglandschaften und Soundeffekten eines Weltraum-Abenteuers punkten kann, das hat im letzten Jahr Steven Price mit seinem Oscar-prämierten Soundtrack zu "Gravity" gezeigt. Genau dieser Erfolg dürfte allerdings auch die Chancen von Hans Zimmer bei der diesjährigen Verleihung schmälern – zu ähnlich sind sich die beiden in Thematik und Herangehensweise. Außerdem hat der gebürtige Frankfurter ja als einziger der Kandidaten schon einen Oscar in seiner heimischen Vitrine stehen.
"The Grand Budapest Hotel"
Und damit wären wir dann wieder bei Alexandre Desplat. "The Grand Budapest Hotel" ist zwar gefühlt eigentlich schon viel zu alt – immerhin feierte der Wes Anderson-Film schon vor über einem Jahr seine Premiere als Eröffnungsfilm der Berlinale 2014 und fiel damit gerade so in die aktuelle Oscar-Saison. Bei der zählt diese skurrile Tragikomödie nun aber mit gleich neun Nominierungen zu den absoluten Favoriten, und bei einem Blick auf die Filmmusik-Preisträger der letzten Jahre, auf "Gravity", "Life of Pie" oder auch "The Artist" sind das bestimmt keine schlechten Vorzeichen für Alexandre Desplat und seine Chancen auf den ersten Oscar. Was den Witz, die schier übersprudelnde Kreativität und auch den Aufwand seiner Arbeit angeht, hätte er ihn für "The Grand Budapest Hotel" allemal verdient: Immerhin wurden für die Aufnahmen 50 Balaleika-Spieler und Dolmetscher aus aller Welt eingeflogen, um die goldenen 20er-Jahre in der fiktiven Republik "Zubrowka" zum Leben zu erwecken.