Diskussion über Antisemitismus in Kunst und Kultur

Wer Beuys einen Nazi nennt, wird angegriffen

07:00 Minuten
Ein Graffiti in Düsseldorf zeigt den Künstler Joseph Beuys.
Wenn er über Beuys‘ nationalsozialistische Vergangenheit spreche, werde dieser von allen möglichen Leuten sofort verteidigt, sagt der Künstler Leon Kahane. © picture alliance / Horst Ossinger
Carsten Probst im Gespräch mit Gabi Wuttke · 24.02.2021
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Wie zeigt sich Antisemitismus in Kunst und Kultur? Darüber diskutierten die Journalistin Mirna Funk, der Künstler Leon Kahane und Museumsdirektorin Mirjam Wenzel. (*)
Bei vielen Diskussionen um Antisemitismus in Kunst und Kultur bleibt der Blick von jüdischen Kulturschaffenden oft außen vor. Welche Erfahrungen sie selber mit Antisemitismus in der Kultur gemacht haben und wie ein jüdischer Blick auf Kultur aussehen könnte, darüber diskutierten die Journalistin Mirna Funk, der Künstler Leon Kahane und die Direktorin des Jüdischen Museums in Frankfurt, Mirjam Wenzel, in einem Video-Panel.
Carsten Probst hat für uns die Veranstaltung beobachtet. Er war ein wenig verwundert, denn die Veranstaltung trug zwar den Titel "Kunst, Kultur und Antisemitismus", aber: "Keiner der drei Beteiligten wollte eigentlich über Antisemitismus diskutieren", sagt Probst.

"Keinen Bock mehr auf diese ganzen Debatten"

"Miriam Wenzel zum Beispiel betonte, Ausstellungen über Antisemitismus, das sei eigentlich überhaupt keine Sache der jüdischen Museen, das sei Aufgabe der historischen Museen. Jüdischen Museen seien eigentlich für die Gegenwart zuständig und als solche eben auch Plattformen für völlig unterschiedliche Ansichten."
Auch Leon Kahane wollte nicht als Künstler über die Frage des Antisemitismus definiert werden, nach dem Motto: "Ich mache überhaupt keine Kunst als Antisemitismus-Kritik", berichtet Probst.
Und auch Mirna Funk sagte, sie habe seit Langem "überhaupt keinen Bock mehr auf diese ganze Debatte".

Persönliche Erfahrungen mit Antisemitismus

Es seien keine "konfrontativen Statements" zu hören gewesen, so Probst. "Stattdessen ging es die meiste Zeit um die allgemeinen persönlichen Erfahrungen der drei Beteiligten mit Antisemitismus im Kulturbetrieb", so Probst.
Besonders eindrucksvoll fand Probst eine Schilderung von Mirna Funk. "Sie sagte sinngemäß, seit sie ihren ersten Roman veröffentlicht habe und als Journalistin für verschiedene Medien tätig sei, lebe sie in einer Art Antisemitismus-freiem-Raum, also antisemitische Anspielungen, die sie früher immer zu hören bekommen habe, seien plötzlich aus ihrem Leben verschwunden. Und sie vermutet, das liege wohl an der Angst der Leute, die jetzt fürchten, dass sie daraus eine ihrer Geschichten machen könnte."

Beuys wird schnell gegen Nazi-Vorwurf verteidigt

Interessant sei auch die Schilderung von Leon Kahane zum Thema Joseph Beuys gewesen. Wenn er über Beuys‘ nationalsozialistische Vergangenheit spreche, werde dieser von allen möglichen Leuten sofort verteidigt, sagte Kahane:
"Ich bekomme ständig mit, dass sich Kolleginnen und Kollegen extrem darüber aufregen, dass ich den Beuys desavouiere. Joseph Beuys ist Repräsentant der kulturellen Stunde null. Aber was ist, wenn sich herausstellt, dass er eigentlich derjenige ist, der es geschafft hat, sozusagen ein völkisches Kulturverständnis in einer Art und Weise zu formulieren, dass es teilhaben kann an einer modernen Kunstwelt?"

Keine wirkliche Diskussion zur BDS-Bewegung

Beim Thema zum Umgang mit der BDS-Bewegung, die den Boykott Israels fordert, und mit der Initiative GG 5.3. Weltoffenheit", die sich vergangenen Dezember gebildet hat, und der auch viele Kulturschaffende angehören, habe es keine wirkliche Diskussion gegeben, bemängelt Probst.
"Alle drei Diskutanten teilen die Ansicht, dass BDS als antisemitisch einzustufen sei. Und wichtiger noch: Dass die Initiative, die mit ihrem Verständnis von Weltoffenheit hervorgetreten ist, eigentlich den Antisemitismus von BDS decken würde, vielleicht sogar heimlich teilen würde", so Probst.
Bei der Einstufung der Initiative GG 5.3. sei in die Richtung gegangen, dass sie zwar liberal und weltoffen tue, in Wirklichkeit sei das aber nur ein Deckmäntelchen für verborgene Aversionen. Mirna Funk meinte: "Die Deutschen haben eine seltsame Obsession für tote Juden, also für die Opfer der Schoah. Aber die sprechenden Juden, die sich einmischen, sind für die Deutschen immer noch schwer zu ertragen."

Fehlender Dialog

Leon Kahane sagte am Ende, dass ihn diese Debatte um die Initiative Weltoffenheit auch "irgendwie ratlos mache". Er könne mit dieser Frontstellung zwischen deren Initiatoren und den BDS-Gegnern überhaupt nichts anfangen. Ihm fehle ein wichtiges Stück Dialog, da er nie von dieser Initiative zu einer Diskussion eingeladen worden sei. Das sei ein sehr wichtiger Punkt, findet Probst:
"Ein eklatantes Fehlen von Dialogen über diese verschiedenen Fronten hinweg. Das muss sich dringend ändern und dafür gab dieser Abend doch ein starkes Gefühl".
(nho/abu)

Info:
"Nie wieder?! Gemeinsam gegen Antisemitismus und für eine plurale Gesellschaft" ist ein Aktionsprogramm des jüdischen Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerkes (ELES). Es soll den gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus und für eine offene und plurale Gesellschaft fördern. Die Diskussionsrunde war Teil des Programms.

(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben einen Satz aus der ersten Textversion gestrichen, der möglicherweise den Eindruck erweckt hätte, BDS sei offizielles Thema der Diskussion gewesen. Das war nicht der Fall.
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