Die Gewerkschaften und die Energiewende

Hin- und hergerissen zwischen Jobs und ökologischer Vernunft

Gewerkschafter der IGBCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie) demonstrieren am 01.12.2017 in Bergheim (Nordrhein-Westfalen) mit einem Transparenten mit der Aufschrift "Es ist 5 vor 12" und "Wir haben die Schnauze voll" vor dem Kraftwerk Niederaußem.
Demonstration der "Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie" (IG BCE) im Dezember 2017 vor dem Kraftwerk Niederaußem, NRW. © picture alliance/dpa/Foto: Oliver Berg
Von Johanna Tirnthal und Nicolas Morgenroth · 01.10.2018
Beim Thema Braunkohle stecken die Gewerkschaften in der Klemme: Sie wollen Arbeitsplätze erhalten und positionieren sich gegen den schnellen Ausstieg. Andererseits wäre auch eine Klimakatastrophe vermutlich ein echter Jobkiller.
"Ich denke, wir müssen verstehen, dass wir wirklich der Mutter aller Krisen gegenüberstehen. / Es nützt uns überhaupt nichts, wenn wir hier irgendwelche Kraftwerke abschalten. Das ist – sorry – dummes Zeug! / Aber das Thema Bergbau, das ist die unendliche Geschichte, hier sind Menschen, über die wir sprechen, hier geht’s nicht einfach nur um Umwelt, sondern wir brauchen für die Menschen in der Region gute Lösungen."
Die Gewerkschafterin Beatrix Sassermann ist gerade auf dem Klimacamp bei Erkelenz nahe Köln angekommen. Das Klimacamp ist seit 2009 der Treffpunkt für Kohlegegner im Rheinland. Zirkuszelte stehen auf einem Stoppelfeld in der Abendsonne. Am Horizont reihen sich Windräder an Kohlebagger und Kraftwerke. Beatrix Sassermann hat ein großes, rotes Banner gebracht.
Beatrix Sassermann: "Da steht eben: ´No jobs on a dead planet.` Das ist ein Slogan der internationalen Gewerkschaftsbewegung. Wo man eben sagt, es hat keinen Sinn, an Arbeitsplätzen festzuhalten, die zerstörerisch sind."
Rund um das Banner haben sich Gewerkschafter versammelt, die sich für Klimaschutz und gegen Kohle einsetzen. Mit ihnen ist Beatrix Sassermann für die Veranstaltung am Abend gekommen: Klimaaktivisten, Anwohner und die örtliche IG BCE wollen miteinander über die Zukunft der Region diskutieren. Bisher prägten heftige Konflikte die Situation.


"Das war im Vorfeld des Klimacamps 2016, und da hatte eben die IG BCE als Gewerkschaft diese Kampagne ´Schnauze voll` losgetreten, wo eben die Klimaaktivisten als gewaltbereite Menschen dargestellt werden, weil sie einen Bagger besetzen, oder weil sie mal das Werksgelände betreten. Und zum Teil gab’s da T-Shirts, wo dann so eine Hand, die das Klimacamp so zusammen quetscht… Das sah ziemlich blutrünstig aus, ehrlich gesagt, dass wir ziemlich schockiert waren."
Die Gewerkschafterin Beatrix Sassermann (m) auf dem Klimacamp bei Erkelenz nahe Köln.
Die Gewerkschafterin Beatrix Sassermann (m) auf dem Klimacamp bei Erkelenz nahe Köln.© Deutschlandradio / Johanna Tirnthal
Um einen Gegenpart zu bilden, haben sie die Gruppe "Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für Klimaschutz" gegründet. An diesem Abend verteilen sie Flyer. Ihr rotes Banner hängen sie an die mit Sternen verzierte dunkelblaue Innenseite eines Zirkuszelts. Hier findet die Diskussion statt.

Wenn sich Manfred etwas wünschen dürfte

Ganz unauffällig und doch im Zentrum der Veranstaltung sitzt ein Mann mit wenig Haaren und schwarzer Hornbrille, dessen starke Präsenz erst deutlich wird, als er spricht. Auf seinem schwarzen T-Shirt steht in weißer Schrift: "Black-Out". Die Moderatoren wenden sich zu Beginn an ihn.
Moderatoren: "Manfred Maresch ist Vorsitzender der IG BCE in Alsdorf und hat heute sein IG BCE-T-Shirt an. Und ist sehr umtriebig hier im Revier. / Manfred, wenn du träumen könntest, wie würde das Rheinische Revier in fünf Jahren für dich aussehen?"
Manfred Maresch: "Ja, wie würde mein Revier aussehen? Ich stell mir vor, dass wir in fünf Jahren endlich mal einen breiten gesellschaftlichen Konsens haben, dass Stromerzeugung aus Braunkohle eine wichtige Funktion hat in der Energiewende. Dass die Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen in den Energieversorgungsunternehmen, besonders der Bergleute, endlich auch als das geschätzt wird, was es ist: nämlich ein wichtiger Beitrag für den Wohlstand Deutschlands. Glückauf."
Moderatorin: "Du hast gerade gehört, das ist alles nicht neu für dich, was in den Dörfern hier vor Ort los ist. Gleichzeitig gibt es massive Ernteausfälle in Deutschland aufgrund von der Hitzewelle. Es gibt Menschen weltweit, die aufgrund von Klimawandel ihre Lebensgrundlagen verlieren. Unsere Frage an dich: Wie bringt ihr den Wunsch, die Forderung, bis 2045 Braunkohle hier abzubaggern, in Einklang mit der Verantwortung, die ihr weltweit gegenüber anderen Menschen habt, die von Klimawandel betroffen sind?"
Maresch: "Ich glaube, dass der Klimawandel, so wie wir ihn vorfinden, und wir sind als IG BCE ja auch nicht so unterwegs zu sagen, der findet nicht statt. Aber ich sag mal, dass jetzt auf meine Kollegen abzuwälzen… Da hat mir ein lieber Kollege gesagt auf die Frage hin: Am besten ist, du beantwortest sie gar nicht, weil es gibt da so einen Untergrund dabei, die so ein bisschen so tut, als würde jetzt sozusagen die gesamte globale Verantwortung auf meinen Kollegen am Großgerät stehen. Und ich finde, das ist nicht fair."

In der Lausitz hört die Landschaft auf

"Früher hat man gesagt: Ein Kiefernmeer, ein Sandmeer, dann gar nichts mehr. Heute kann man den Kohlestaub riechen."
Ute Liebsch steht an der Tagebaukante in Jänschwalde in der Lausitz. Die Landschaft hört hier einfach auf. Staub weht durch die Grube und in die Augen.
"Also wenn wir jetzt in den Tagebau reingucken, dann sehen Sie da in der Ferne: die Abraumförderbrücke. Also die räumt sozusagen das beiseite, wo keine Kohle ist. Sie sehen ganz unten schon diese schwarze Fläche, wo auch Wasser zu sehen ist, also es hat geregnet, das Flöz ist feucht, da unten wird also die Kohle abgebaggert. Das sind schon Tätigkeiten, die mir die Hochachtung abringen, was die Bergleute da leisten, damit wir Tag und Nacht Strom haben und egal welches Wetter ist, ob die Sonne scheint, der Wind weht."


Die Lausitz ist Braunkohleland. Riesige Tagebaue wie der in Jänschwalde durchziehen die Landschaft, und Kohlekraftwerke wie Schwarze Pumpe sind weithin sichtbar. Das erste Kohleflöz wurde schon 1789 angebohrt. Die DDR deckte ihren Energiebedarf zum Großteil aus der Braunkohle. Über 80 Dörfer wurden bis heute dem Bergbau geopfert und über 30 teilweise abgerissen. Mit dem Fall der Mauer 1989 kam dann der Bruch. Von den ehemals 100.000 Beschäftigten in der Industrie sind nur noch 8.000 übriggeblieben.
Ein "Absetzer" am Rande des Braunkohletagebaus Welzow Süd der LEAG (Lausitz Energie Bergbau AG), das nur wenige Kilometer vom Dorf Proschim entfernt ist.  
Ein "Absetzer" am Rande des Braunkohletagebaus Welzow Süd der LEAG, das nur wenige Kilometer vom Dorf Proschim entfernt ist. © picture alliance/dpa/Foto: Patrick Pleul
"Und ich sag mal, diese Angst bei den Beschäftigten vor Arbeitslosigkeit, die steckt verdammt tief. Also die 90er-Jahre verfolgen uns bis heute, sodass wir hier natürlich die Befürchtung haben, wenn das jetzt ein zweites Mal passieren würde, nochmal so Massenentlassung, politisch motiviert, dann hätten wir hier einen zweiten Strukturbruch, von dem sich die Lausitz nie wieder erholen würde. Ansonsten, hier in der Lausitz liegt noch für 400 Jahre Kohle. Das meiste wird in der Erde bleiben."

Gerhard Gundermann – "Brigitta"
"Ich wurde Bergmann wie mein Vater und fuhr ein, mein Sohn wird hier kein Bergmann mehr sein, die Gleise rosten und das Förderband ist leer, die braune Kohle von hier will jetzt keiner mehr. Ach meine Grube Brigitta ist Pleite und die letzte Schicht lang schon verkauft. Und die Bagger stehen still in der Heide und das Erdbeben hört endlich auf…"

"Es wird den Leuten auch sehr viel Angst gemacht, und auch da spielt die Gewerkschaft immer eine gewisse Rolle. Es werden Erinnerungen wachgerufen an diese traumatischen Erlebnisse der Menschen hier Anfang der 90er-Jahre. Und es wird immer den Leuten suggeriert, so würde es wieder werden, wenn aus der Kohle ausgestiegen wird."
René Schuster ist seit langem als Umweltaktivist Teil der Grünen Liga in der Lausitz.

Proschim – ein Symbol für Braunkohlegegner in der Lausitz

"Wir stehen jetzt hier in Proschim am Dorfanger. Und viele Dörfer, die so aussahen in der Region, sind eben durchaus schon abgebaggert worden, zu DDR-Zeiten zum Beispiel, als hier im Raum Senftenberg und Hoyerswerda sehr viele Tagebaue in Betrieb waren. Proschim steht noch, und wir wollen natürlich, dass das so bleibt."
In Proschim leben ungefähr 300 Menschen. Der Tagebau Welzow Süd – ein ebenso großes Loch in der Landschaft wie in Jänschwalde – beginnt nur einen Kilometer vom Dorf entfernt. Ungefähr hundert Meter unter der Dorfstraße liegt noch mehr Braunkohle. Proschim ist ein Symbol für den Widerstand gegen den Tagebau in der Lausitz. Schon lange kämpfen Anwohner und Umweltgruppen hier für den Kohleausstieg.
"Eigentlich wäre die Entscheidung überfällig, die alten Kraftwerke, diese 500-Megawatt-Blöcke in Jänschwalde, zeitnah außer Betrieb zu nehmen. Das heißt, da gibt es einen ganz direkten Zusammenhang zwischen der Diskussion um das Klimaziel 2020 und die eventuelle Außerbetriebnahme weiterer Braunkohleblöcke und der Bedrohung von Proschim."


Die IG BCE würde die Kraftwerksblöcke, von denen René Schuster spricht, gerne noch so lange wie möglich betreiben. Zwischen Umweltgruppen und Gewerkschaft findet seit Jahren ein Deutungskampf darum statt, wer denn nun tatsächlich die Interessen der Lausitzer vertritt. Auf Flugblättern vermittelte die IG BCE den Eindruck, Umweltschützer kämen aus dem Westen und seien weit weg von den Sorgen der Lausitzer.
Autorin Johanna Tirnthal mit Umweltaktivist René Schuster in der Lausitz.
Autorin Johanna Tirnthal mit Umweltaktivist René Schuster in der Lausitz. © Deutschlandradio / Johanna Tirnthal
"Das ist natürlich eine denkbar schlechte Diskussionsgrundlage, wenn unsere Existenz in Frage gestellt wird von der IG BCE. Weil wir sind (lacht) Kohlegegner aus der Lausitz!"

"Öffnet eure Herzen - und guckt mal in eine andere Richtung"

Zurück im Rheinland: Inzwischen ist die Diskussion für alle geöffnet, die an dem Abend im Zirkuszelt auf Bierbänken sitzen. Die gespannte Aufmerksamkeit ist deutlich spürbar. Auch hier haben die Anwohner das Wort ergriffen.
Anwohner 1: "Da kommen Leute in dein Haus und sagen dir, hör mal, wir geben dir die Summe X und dann musst du weggehen. Machste das nicht, dann bleibt dir keine andere Wahl, dann wirst du zwangsenteignet. Dann im vergangenen Jahr genau wie bei Christiane habe ich meinem Vater gesagt, hör mal, da ist das neue Gelände, was die für uns ausgesucht haben, der neue Ort. Wo möchtest du da hin? Da sagte der: Ich möchte da nicht hin. Ich ziehe unter die Erde, hat er mir gesagt. Vier Wochen später war er tot."
Anwohner 2: "Liebe IG BCE, wenn ihr euren Arbeitsplatz verliert, ist so schlimm, wenn wir unsere Heimat, unser ganzes Leben umkrempeln. Da guckt ihr drüber weg. Meine Bitte ist einfach, liebe IG BCE, geht einfach mal hin, stellt euch den Tatsachen und hört auf, so zu tun, als gäbe es die Energiewende nicht. Öffnet eure Herzen, und guckt mal in eine andere Richtung und lasst uns zusammenarbeiten, damit das endlich mal funktioniert. Danke."
Kurz darauf steht ein älterer Mann im grauen Hemd auf. Auch er versteht nicht, warum die Gewerkschaft so sehr an der Braunkohle festhält.
Anwohner 3: "Eine dezentrale, regenerative Energieversorgung macht viel mehr Arbeit als die zentrale Energieversorgung, die wir heute haben. Von daher kann ich überhaupt nicht verstehen, dass eine Gewerkschaft dagegen kämpft. Wir werden viele Windkraftanlagen brauchen, wir werden viele Solaranlagen brauchen. Die machen Arbeit."

Gutes Geld in der Kohleindustrie

Doch die Arbeitsbedingungen im jungen Sektor der erneuerbaren Energien sind bei weitem nicht vergleichbar mit denen in einer der Hochburgen der Gewerkschaften: dem fossilen Energiesektor. Kohlearbeitsplätze zählen zu den bestbezahlten Industriearbeitsplätzen in Deutschland. Im jungen Bereich der erneuerbaren Energien gibt es dagegen häufig gar keine Tarifverträge. Auch deshalb sieht der rheinische IG BCE-Bezirksleiter Manfred Maresch diese neuen Arbeitsplätze skeptisch.
"Das mit den Solararbeitsplätzen. Ich hab in der Braunkohle durchschnittlich einen Organisationsgrad ganz knapp an den 100 Prozent. Das heißt, fast jeder Beschäftigte dort ist bei mir Mitglied. Bei mir IG BCE. In der Solarbranche sind aber auch viele nicht organisiert, und sie haben keine Stimme. Wer nicht organisiert ist, hat keine Stimme und kann sich nicht wehren. Aber wir werden uns wehren."
Im ökologischen Strukturwandel verlieren die Industriegewerkschaften Mitglieder und politischen Einfluss. Der deutsche Klimaschutzplan 2050, der eine rasche Abkehr von fossilen Energieträgern erfordert, gefährdet nicht nur Arbeitsplätze in der Kohleindustrie. Er stellt auch das politische Gewicht der IG BCE infrage.


Ute Liebsch: "Wir sagen, dass wir verantwortungsbewusst mit diesen Klimazielen umgehen müssen. Und man muss ja auch wirklich mal sagen, wenn das nicht funktioniert hat, dass man sich von diesen ambitionierten Klimazielen verabschiedet, ja, und dann nochmal neu guckt, wie kann man das organisieren, ohne dass die Industrie den Bach runtergeht."
Beschäftigte aus dem Bergbau und der Chemiebranche demonstrieren im September 2018 in Halle/Saale für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.
Beschäftigte aus dem Bergbau und der Chemiebranche demonstrieren im September 2018 in Halle/Saale für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.© picture alliance/dpa/Foto: Hendrik Schmidt
Eine Abkehr von den deutschen Klimazielen kommt für die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für Klimaschutz nicht infrage. Nachdem Beatrix Sassermann die Diskussion im Zirkuszelt lange aus der dritten Reihe verfolgt hat, steht sie jetzt auf und nimmt das Mikrofon entgegen.
"Die vertraglichen Verpflichtungen, die wir eingegangen sind als Gesellschaft auf internationalen Konferenzen, die halten wir nicht ein, und deswegen muss da dringend was gemacht werden. Und dass diese Klimaziele formuliert worden sind – die sind nicht besonders ehrgeizig – aber das ist nicht Wolkenkuckucksheim oder irgendwie Utopie, sondern weil es eine dringliche Problematik ist, der wir uns zuwenden müssen."
Das Bekenntnis zu den deutschen Klimazielen spaltet die deutschen Gewerkschaften. Die Klimagewerkschafterin Beatrix Sassermann zitiert die Position ihrer Gegenspieler.
"Die IG BCE hat ja in ihrem Positionspapier… das muss ich mal eben… hier… ´Anforderungen der IG BCE an eine Klimapolitik bis 2050` hat sie niedergelegt: ´Politik für die Braunkohle. Die IG BCE tritt für den Erhalt des deutschen Braunkohlebergbaus und neue`, neue, ´hocheffiziente, flexible Braunkohlekraftwerke ein`. Und das ist natürlich eine andere Position, als wenn ver.di schreibt: Schnellstmöglicher Ausstieg aus der Kohle."

Mit einem Gewerkschaftsstand gegen Umweltaktivisten

Je betroffener eine Gewerkschaft von einem ökologischen Strukturwandel ist, umso schwieriger scheint ihr Verhältnis zu den deutschen Klimazielen. Während es bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di viele Stimmen gibt, die einen schnellstmöglichen Kohleausstieg fordern, positionieren sich die Ortsvereine im rheinischen Revier eindeutig für die Braunkohle. Denn sie organisieren die Beschäftigten in den Kraftwerken. Gemeinsam mit der IG BCE haben sie einen Infostand in der Braunkohlestadt Bergheim organisiert. Dort wollen sie einen Gegenpol zum gleichzeitig stattfindenden Klimacamp bilden.

"Mein Name ist Hermann Josef Münchrat. Ich bin RWE-Mitarbeiter seit 40 Jahren und hoffe, dass ich noch ein paar Jährchen habe, damit ich vernünftig in Rente gehen kann. Meine zwei Kinder arbeiten auch beim RWE. Für die kämpfe ich hier auch. Damit sie ihren Arbeitsplatz erhalten können."
Infostand der Gewerkschaften ver.di und IG BCE in Bergheim.
Infostand der Gewerkschaften ver.di und IG BCE in Bergheim.© Deutschlandradio / Johanna Tirnthal
Rot ist das Dach des Zeltes, wo sich das Infomaterial türmt. Rot sind die Gewerkschaftskäppis. Der erste Regen nach der langen Dürre lässt alles andere grau wirken. Bei Filterkaffee kommen die Gewerkschafter mit Passanten ins Gespräch. Offiziell bestreiten die Gewerkschaften den Klimawandel nicht, trotzdem gibt es am Infostand Diskussionen.

Zweifel am menschengemachten Klimawandel

Münchrat: "Ich hab ein Problem damit, wahrscheinlich viele, dass behauptet wird, dass der Klimawandel von Menschen gemacht wird. Klar, wir tragen dazu bei, um Gottes Willen. Aber nicht in dem Ausmaße, dass nur durch den Menschen das Klima sich ändert. Weil die Geschichte uns lehrt, dass es das schon immer gegeben hat, ne."
Rüdiger Ney, Betriebsrat des Kraftwerks Niederaußem, stimmt dem zu. Niederaußem ist das Kraftwerk mit dem dritthöchsten CO²-Ausstoß in Europa.
"Im Moment geht es ja darum, dass man sagt, dass der menschengemachte Klimawandel hauptsächlich CO²- naja bedingt sei. Und wenn es denn so sein sollte, was ich Ihnen ja nicht sagen kann, weil ich kein Klimaforscher bin. Aber Klimawandel, zu sagen, der findet jetzt erst statt, in den letzten zwei, drei, vier, fünf Jahren, das ist völlig unlogisch aus meiner Sicht."


Der örtliche IG BCE-Bezirksleiter Manfred Maresch ist auch in Bergheim anzutreffen – und auch er tritt weniger diplomatisch auf als bei der Diskussionsveranstaltung im Zirkuszelt.
Das Braunkohlekraftwerk Niederaußem, Bergheim, von RWE.
Das Braunkohlekraftwerk Niederaußem, Bergheim, von RWE.© picture alliance/dpa/Foto: Jochen Tack
"Also nochmal: Wenn uns das irgendwas bringen würde, wenn wir das Weltklima retten, wenn wir jetzt alle Kraftwerke sofort abschalten, sofort, d’accord, machen wir. Aber ich meine, wir haben in Deutschland einen Anteil von 2,3 bis 2,4 Prozent an der Weltklima-CO²-Emission. Ich weiß nicht, wenn es um das Thema Klima geht, sofort, aber wenn es nur um die Frage geht, symbolhaft, es nützt uns überhaupt nicht, wenn wir hier irgendwelche Kraftwerke abschalten. Das ist – sorry – dummes Zeug!"
Dieser Anteil von 2,4 Prozent Deutschlands an den weltweiten CO2-Emissionen wird von der IG BCE immer wieder genutzt, um einen schnellen Braunkohle-Ausstieg als unsinnig und symbolhaft darzustellen. Tatsächlich ist das rheinische Braunkohlerevier aber die größte CO2-Quelle Europas.

Internationale Gewerkschaften sind für den Klimaschutz

Sassermann: "Ich finde das einfach unmöglich, dass ver.di und IG BCE so eine Demo machen oder Stände gemeinsam organisieren, die dann gegen die Klimabewegung sind, anstatt das Gespräch zu suchen. Oder eben auch deutlich zu machen: Hört mal Kolleginnen und Kollegen, wie hier das die internationalen Gewerkschaften machen. Wo einfach klar ist, wir können das nicht negieren, das ist ein Problem, wir müssen das angehen und lasst uns dafür einsetzen, dass wir möglichst gute Lösungen finden im Unterschied zu das Alte verteidigen."
"Ich denke, wir müssen verstehen, dass wir wirklich der Mutter aller Krisen gegenüberstehen. 70 Prozent aller fossilen Ressourcen müssen in der Erde bleiben, wenn wir unter zwei Grad bleiben wollen."
International finden sich tatsächlich viele Beispiele, wie Gewerkschaften anders mit der Klimafrage umgehen als die deutschen Industriegewerkschaften. Der südafrikanische Aktivist Brian Ashley spricht bei einem Workshop in Kapstadt über die Kampagne "1 Million Climate Jobs".
"Wir hier in Südafrika dürfen nicht nur über Klima-Anpassungs-Strategien reden, sondern wir müssen handeln. Bei der ´Eine Million Klima-Jobs Kampagne` können wir Arbeiter und betroffene Kommunen für einen Wandel zu einer fossilfreien Wirtschaft mobilisieren, der große Möglichkeiten für Arbeitsplätze bereithält."
In Südafrika lassen sich die Gewerkschaften leichter für klimafreundliche Jobs begeistern als in Deutschland. Die Auswirkungen des Klimawandels sind im globalen Süden viel spürbarer. Außerdem ist die Produktion oft umwelt- und gesundheitsschädlicher als in Europa. Hier geht es um spürbare Verbesserungen für die Beschäftigten.

Eine starke Umweltbewegung braucht die Gewerkschaften

"Wir haben mit Kohlebeschäftigten gearbeitet, um ihre Unterstützung für die Kampagne zu bekommen und ich denke, das gibt einen Eindruck davon, was getan werden kann. Wenn wir dieses Thema als Umweltthema begreifen und uns nur auf ein Umweltbewusstsein verlassen, befürchte ich, dass wir in diesem Land nur ein paar Menschen aus der Mittelschicht mobilisieren können. Und dann bekommen wir nicht die soziale Kraft, die es braucht, um unsere Regierungen dazu zu bekommen, die Treibhausgasemissionen zu senken."
Auch die internationalen Gewerkschaftsorganisationen drängen auf eine schnelle industrielle Transformation. Sie fordern: Die OECD-Länder, also auch Deutschland, sollten bis spätestens 2030 aus der Kohle ausgestiegen sein. Beim Klimagipfel in Paris 2016 fordern sie dafür einen gerechten Übergang.

Sassermann: "Das finde ich nämlich wirklich beispielhaft. Also so würde ich mir das auch für Deutschland wünschen, ne. Und da kann ich vielleicht mal zitieren. ´Es gilt nicht, sich zwischen Arbeitsplätzen und Umweltschutz zu entscheiden. Sondern einen gerechten Strukturwandel? , im Gewerkschaftsjargon international heißt das Just Transition, ´in ein nachhaltiges Wirtschaftssystem zu gestalten, ohne dass die Beschäftigten einen hohen Preis dafür zahlen müssen´.
Mit den Forderungen der internationalen Gewerkschaftsorganisationen kann IG BCE-Bezirksleiterin Ute Liebsch in der Lausitz wenig anfangen.
"Ich spreche ja hier für unsere Mitglieder hier im Revier. Und ja klar, wenn die sehen, dass da internationale Organisationen einfach sagen, abschalten, dann ist das schon ein Konflikt, ja, für die Menschen, die hier leben."

Gewerkschaften am Verhandlungstisch oder auf der Straße?

Dass es so unterschiedliche Positionen innerhalb der Gewerkschaftsbewegung gibt, liegt auch an einem unterschiedlichen Selbstverständnis der Gewerkschaften. Im globalen Süden müssen sie annehmbare Arbeitsbedingungen oft erst auf der Straße erkämpfen, während die deutschen Gewerkschaften in ein etabliertes System mit Staat und Arbeitgeberverbänden eingebunden sind.


Sassermann: "Ich glaube, dass die deutschen Gewerkschaften sich eher so als Sozialpartner verstehen, ne. Dass man mit den Arbeitgebern möglichst hohe Löhne herausschlägt, wo es geht und jetzt weniger sich so bewegungsorientiert betrachtet, wie das in anderen Ländern ja der Fall ist. Das ist auch in anderen Gewerkschaften anders gewesen, zum Beispiel bei den Metallern oder in der Stahlindustrie, da waren die Arbeiter oft auf der Straße, haben gestreikt. Aber ich habe in 40 Jahren Gewerkschaftsmitgliedschaft… da gab es in der IG Chemie nie einen Streik oder sowas. Braucht man sich auch nicht wundern, wenn das so ein bisschen eingeschlafen wirkt."
Demonstranten der Gewerkschaft IG BCE und Kohlearbeiter im April 2015 in Berlin.
Demonstranten der Gewerkschaft IG BCE und Kohlearbeiter im April 2015 in Berlin.© imago/IPON
Dass die deutschen Gewerkschaften sich als Sozialpartner verstehen, heißt auch, dass sie sich weniger als Gegner, sondern eher als Verhandlungspartner der Unternehmen begreifen. Bei der Veranstaltung auf dem Klimacamp werfen einige Zuhörer aus den Reihen der Klimaaktivisten Manfred Maresch genau das vor: Die IG BCE würde sich zu sehr mit dem Konzern – in diesem Fall RWE – identifizieren.

"Ich fühle mich als Bergmann"

Maresch: "Vielleicht gibt es hier einen Trugschluss. Ich selber bin im Bergbau groß geworden, im Steinkohlenbergbau. Ich fühle mich als Bergmann. Ich bin jetzt mittlerweile über 25 Jahre aus dem Bergbau raus. Dieses Gefühl hat sich nicht verändert. Am Ende des Jahres wird die letzte Steinkohlezeche in Deutschland schließen, und mir blutet das Herz. Wenn ich darüber nachdenke, kommen mir die Tränen. Und wer glaubt, er kann sozusagen das Unternehmen RWE und die Beschäftigten voneinander trennen, nach dem Motto: der schlimme Konzern und die armen Arbeitnehmer, hat den Bergbau nicht verstanden."
Während die IG BCE Gruppe im Zirkuszelt applaudiert, tauschen andere Zuhörer irritierte Blicke aus. So viel Identifikation der Gewerkschaft mit dem Konzern hat hier kaum jemand erwartet – auch wenn die ausgeprägte Identität der Bergarbeiter bekannt ist. Die Bergarbeiter waren die ersten, die starke Gewerkschaften gegenüber ihren Arbeitgebern durchsetzen konnten. Als eine Avantgarde der Arbeiterbewegung trugen sie maßgeblich zu den heutigen sozialen Errungenschaften bei.


Liebsch: "In der DDR gab’s immer den Spruch: Ich bin Bergmann – wer ist mehr? Vielleicht hat sich das bis heute so ein Stück gehalten."
Protest im umgesiedelten Ort Erkelenz-Immerath (NRW) vor der Kirche, die im Januar 2018 für den Braunkohletagebau Garzweiler abgerissen wurde.
Protest im umgesiedelten Ort Erkelenz-Immerath (NRW) vor der Kirche, die im Januar 2018 für den Braunkohletagebau Garzweiler abgerissen wurde. © picture alliance/dpa/Foto: Henning Kaiser
Sassermann: "Wie die das schaffen, irgendwie das zu der Identifikation mit dem Arbeitgeber zu machen, na das hängt, glaube ich, damit zusammen, dass das eine existenzielle Frage ist. Dass wir als Arbeitnehmer nur die eine Chance haben: unsere Arbeitskraft zu Markt zu tragen, um zu überleben und dass man als Einzelner nicht diese Konflikte lösen kann."
Auf der Veranstaltung im Klimacamp bleibt die Diskussion bis zum Ende bei der Frage: Wie weiter mit dem Bild des Kumpels, wenn seine Arbeit in so offensichtlichem Widerspruch zum Interesse vieler Menschen steht, die vor allem im globalen Süden vom Klimawandel betroffen sind? Einer der Kohlegegner ergreift das Wort.
"Dieses Thema ich bin Bergmann. Mir kommen die Tränen, wenn ich das jetzt so sagen muss, ich kann das auch nachvollziehen, dass man so denkt, weil man sein Herzblut in irgendetwas reinsteckt und damit aufwächst, dann ist man das und das kann man nicht trennen. Ich glaube, man muss sich davon trennen und man muss die Wege gehen, dieses irgendwo in einen schönen Rahmen reinzupacken, sich schön daran zu erinnern. Wir müssen den jungen Menschen eine andere Richtung mit aufgeben. Ich muss als Energieanlagenelektroniker denken, und nicht als Bergmann."

Ist Gewerkschaftsarbeit Klientel- oder Gesellschaftspolitik?

Sassermann: "Ich gehe davon aus, dass es einen Interessenkonflikt gibt zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer. Und wenn man den leugnet oder klein redet, dann macht man sich letztendlich als Gewerkschaft überflüssig. Klar, die Kollegen sind noch gut organisiert, auch aus alten Zeiten und so weiter, aber wenn ich an gesellschaftlichen Perspektiven oder fortschrittlichen Gedanken gar nicht mehr teilnehme oder nicht mehr wahrgenommen werde, sondern wirklich als Presseabteilung (lacht) der Konzerne, ich meine, dann hat man als Gewerkschaft keine wirkliche Zukunft auf Dauer. Meine Meinung."
Als Pressesprecherin der LEAG, dem Betreiber der Kohlegruben in der Lausitz, würde sich Ute Liebsch nicht bezeichnen. Für sie ist Gewerkschaftsarbeit Interessenpolitik.
"Wir machen Klientelpolitik für unsere Beschäftigten, die da an dem Unternehmen arbeiten. Punkt."
Aber auch sie weiß: Das Ende der Braunkohle wird kommen. Am Tagebau in Jänschwalde blickt sie auf die Abraumbagger. Die großen Maschinen stehen wie Dinosaurierskelette in der Grube. 2019 werden sie zumindest in diesem Tagebau ihre Arbeit einstellen.
Liebsch: "Wir wollen Energieland bleiben. Und Energieland bedeutet letzten Endes vielleicht einen großen Speicherstandort hier in die Lausitz zu holen oder einen Hersteller, der Speichermedien herstellt. Alles ist möglich, ja, um bei diesem Thema Energie zu bleiben. Wir haben hier die Netze, wie haben das Fachwissen, was Energie anbelangt, warum soll man das so einfach den Bach runtergehen lassen. Das wäre schon ‘ne gute Geschichte, um ‘ne Wende zu gestalten."
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