Ein kollegialer Mitschöpfer
Er war einer der ältesten aktiven Dirigenten im internationalen Konzertleben: Stanisław Skrowaczewski. Der polnisch-amerikanische Maestro ist am 21.Februar im Alter von 93 Jahren in Minnesota gestorben. Seine musikalischen Abende erhielten stets eine besondere Aura.
Unermüdlich reiste er bis vor kurzem um die Welt, um als gern gesehener Gast Konzerte bei renommierten Orchestern von Japan bis Polen zu leiten. Wo er auch ans Pult trat, erhielten die musikalischen Abende eine besondere Aura – die Aura eines klassischen Ernstes wie auch origineller Frische und Kraft, die sich aus Skrowaczewskis ereignisreichem Leben speisten.
Von Lwów (Lemberg) führte ihn sein Weg über Breslau, Krakau, Kattowitz, Warschau und Paris bis nach Minneapolis. Bis vor kurzem war der Maestro auch in Deutschland regelmäßig zu Gast. Große Anerkennung bekam er zum Beispiel mit dem kompletten Zyklus aller elf (!) Bruckner-Sinfonien mit der Deutschen Radiophilharmonie in Saarbrücken.
Sein Leben war eines für die Musik. Er war ein äußerst rational denkender Mensch mit großem Interesse für Naturwissenschaften, er hätte auch Chemiker oder Physiker werden können, doch immer spielte für ihn das Übernatürliche eine Rolle, als Inhalt von Musik.
Musik als spirituelle Kunst, die den Menschen mehr gibt als Ablenkung, Entspannung oder Unterhaltung, nicht als Ersatzreligion zwar, aber doch als ein Erlebnis, das zum Nachdenken und Nachfühlen anregt über den Sinn des Lebens, des Kosmos.
Im Untergrund studiert
Im von Nazideutschland besetzten Lemberg hatte er im Untergrund studiert, mit Glück den Krieg überlebt, seine erste Karriere fand im Nachkriegspolen statt. Er hat die Sinfonien Bruckners in Breslau und Krakau und Kattowitz dirigiert, gleich nach dem Krieg, diese Musik, die angeblich Hitlers Lieblingsmusik war, für ihn war das nicht so.
Daheim in Lemberg hatte auch Musik von Richard Wagner auf der Orgel während der Austeilung des Abendmahls gespielt. Ein Dirigent wie Stanislaw Skrowaczewski hat diese Musik befreit und uns wiedergegeben als Musik, ohne Ideologien, die andere hinein geheimnist hatten.
Er war der Repräsentant einer mittel-osteuropäischen Kultur, die zerstört wurde. In dieser Kultur war gerade diese Kunst, die Orchestermusik, die Sinfonik von Haydn bis Schostakowitsch so wichtig gewesen.
Skrowaczewski hat unter Faschismus und Kommunismus gelitten, ohne sich zerstören zu lassen. Daraus hat er ein sehr humanes und humanistisches Kunstverständnis entworfen. Ein freies Individuum kann erst durch Bildung, Denken, Kunst und Musik zum Menschen werden.
Studiert hat Skrowaczewski u.a. in Paris bei Nadja Boulanger, der genialen Komponistin und Lehrerin. Von ihr hat er gelernt, dass ein Mehr an Mitteln nicht ein Mehr an Kunst sein muss, dass man also sparsam sein kann und trotzdem wunderbare Musik schreiben kann.
Er musste mehrfach bei Null anfangen
Zu Unrecht stand er in der internationalen Wahrnehmung nicht in der allerersten Liga der Dirigenten – wahrscheinlich weil er zu bescheiden war und zu wenig auf Marketing geachtet hat und weil seine Biografie nicht gradlinig verlief, denn er musste mehrfach bei Null anfangen.
Er hat aber alle großen Orchester geleitet, auch in der MET und der Scala und der Wiener Staatsoper, ihm waren aber dort die Probenbedingungen zu schlecht. Um die Niederungen des Alltags hat er sich trotzdem gekümmert, vor allem als langjähriger Chefdirigent des Minnesota Orchestra. Das hat er zu einem der besten in den USA gemacht. Dabei hat er dort immer um Zeitgenössisches gerungen, das war in den USA noch schwieriger als in Europa.
Er galt als strenger Sachwalter der Avantgarde, damals... er hat viele Ur- und Erstaufführungen dirigiert, zum Beispiel von Witold Lutoslawski und Krzysztof Penderecki, auch mit Schostakowitsch hat er in Polen mehrfach zusammengearbeitet.
Skrowaczewski ist immer nach Europa gekommen, vor allem in West-Deutschland war er regelmäßig zu Gast. Nach dem Ende des Kalten Krieges war er wieder häufig in Polen, vor allem beim NOSPR, so langsam hat man ihn dort wieder entdeckt.
In Deutschland waren es vor allem das ehemalige RSO Saarbrücken, dem er sehr eng verbunden war und mit dem er bahnbrechende Aufnahmen gemacht hat, und das RSB nicht zu vergessen, aber er war immer mal wieder auch bei den Berliner Philharmonikern, seit den 1960er-Jahren. Damals hat er sogar Skandal-Konzerte dirigiert, bei einer Lutoslawski-Sinfonie gab es Tumulte in der damals noch neuen Philharmonie der Fronstadt Westberlin.
Er war ein großartiger Mensch
Er war ein großartiger Mensch – in Saarbrücken nannte man ihn einfach Stanis-LOVE, er war ein Musiker, der mit den Musikern gearbeitet hat. Er war ein Kapellmeister im besten Sinne, er hat aus der kreativen Beschäftigung mit Musik (er war ein sehr, sehr guter Komponist) Erkenntnisse gewonnen über die Musik der großen Meister (ihm war immer bewusst, wie hoch die Trauben hängen).
Skrowaczewski hat zum Beispiel ein paar sehr interessante Solokonzerte für seine Musiker in Minneapolis und Saarbrücken komponiert, für Englischhorn und Orchester zum Beispiel, er war ein Kollege, ein sehr menschlicher Künstler.
Die Musik hat hier geleuchtet
Die Konzerte mit Stanislaw Skrowaczewski hatten eine enorme Aura – die Musiker spielten wie gebannt (natürlich auch weil sie von diesem alten Herrn keine so eindeutigen Signale bekamen) und das Publikum spürte einfach tiefsten Ernst, die so genannte Durchdringung des Materials, er hat gelebt mit dieser Musik - und es war ein Dialog mit seinem Schöpfer, um es doch einmal religiös zu sagen, die Musik hat hier geleuchtet, sie war transzendent.
Seine Herangehensweise an die Musik Anton Bruckners, die ja nicht unproblematisch klingen kann, war sehr menschlich. Er wollte nicht überwältigen, sondern zeigen, wie schön sie ist, dass Bruckner von Mozart her kommt und von Schubert, und natürlich von Bach und der Orgel, und dass er modern klingen kann, aber vor allem auch bescheiden und demütig!