Zum Tod des Philosophen Hilary Putnam

Ein pragmatischer Erforscher der Wirklichkeit

Thomas "Neo" Anderson (Keanu Reeves) streckt im neuen Kinofilm "Matrix - Reloaded" zwei Gegenspieler nieder (Szenenfoto).
Putnams "Gehirne im Tank" lieferte die Vorlage zu den "Matrix"-Filmen. © picture alliance / dpa / dpa-Film Warner
Von Thorsten Jantschek · 15.03.2016
Der amerikanische Philosoph Hilary Putnam ist im Alter von 89 Jahren gestorben. Sein Hauptaugenmerk galt der Erkenntnis von Wirklichkeit. Einer seiner berühmtesten Texte - "Gehirne im Tank" - lieferte die Vorlage zum Film "Matrix".
Gefragt, was er von den Positionen seines Kollegen Hilary Putnam halte, hat der Philosoph Arthur C. Danto einmal gesagt: "Ich weiß nicht, wo Putnam gerade steht, ich meine heute, im Gegensatz zu gestern." Was vielleicht vor der Hand etwas despektierlich klingt, ist aber in Wirklichkeit eine Stärke des Denkens des großen Philosophen der Analytischen Philosophie: Denn Hilary Putnam hat seine Positionen beständig überprüft, an den Debattenstand angepasst, verändert, modifiziert. Unter Ideologieverdacht konnte seine Erkenntnis- und Sprachphilosphie kaum geraten.
Dennoch stand er für eine Position, die mit seinem Namen eng verknüpft war: dem Internen Realismus. Mit seinem berühmten Gedankenexperiment der "Gehirne im Tank" von 1981 hat er die theoretische Vorlage für den Kultfilm "Matrix" geliefert. "Was ist die Wirklichkeit?", so fragt dort der Held Morpheus seinen Freund Neo, und beantwortet die philosophischste aller Fragen gleich selbst: "Elektronische Signale, interpretiert durch einen Verstand."
Die Sache hat nur einen Haken: Woher kommen die Signale? Von der Welt oder etwa aus dem Computer? Morpheus erweist sich als Anhänger der Philosophie von Hilary Putnam, der sich jene Gehirne-im-Tank-Hypothese nur ausgedacht hat, um sie schnurstracks zu widerlegen.

Kampf gegen den metaphysischen Realismus

Der Kampf gegen die Maschinen im Film gleicht wohl dem, den der 1926 in Chicago geborene Putnam mit immer neuen argumentativen Finten und Flinten gegen den sogenannten metaphysischen Realismus führt. Denn hinter der Vorstellung, dass wir alle bloß Gehirne in einem Tank sein könnten, ohne je davon etwas zu erfahren, entdeckte Putnam den metaphysischen Glauben, dass die Welt in Wirklichkeit doch ganz und gar verschieden davon sein könnte, wie sie uns erscheint, dass Wirklichkeit als solche sich womöglich eben aus düsteren Tanks, nackten Gehirnen und vielen Kabeln zusammensetzt.
Diese Denkweise jedoch setzt nach Putnam die Perspektive eines Gottes voraus, der von einem Standpunkt außerhalb der Welt zu beurteilen in der Lage ist, ob die in Sprache gegossenen Hypothesen oder Theorien mit der Welt, wie sie eigentlich ist, übereinstimmen.
So weitverzweigt sich das Werk von Putnam mittlerweile präsentiert - von der Philosophie der Quantentheorie, über Logik und Wissenschaftstheorie reicht es bis hin zur Philosophie des Geistes, der Erkenntnistheorie, aber auch der Ethik und politischen Philosophie - so sehr durchklingt es doch ein Leitmotiv.

Dem Menschen steht keine Gottesperspektive zu

Nach der Abwendung von der einst selbst vertretenen metaphysisch realistischen Position gehört es zum Kern des Denkens des emeritierten Harvard Professors, dass dem Menschen eine solche "God's-Eye"-Perspektive grundsätzlich nicht zur Verfügung steht. Ein Gedanke, den er vor allem in der Auseinandersetzung mit Kant, Wittgenstein und dem amerikanischen Pragmatismus etwa John Deweys entwickelt hat.
Das, was Welt ist, eröffnet sich dem Menschen, mit anderen Worten, als immer schon sprachlich imprägniert. Was wir erfahren und erkennen, ist von Theorien oder Sichtweisen geprägt, die Perspektive bleibt notwendig eine interne. Im selben Atemzug, in dem diese Einsicht ausgesprochen wird, hat Putnam jedoch schon den Verdacht am Hals, ein erkenntnistheoretischer Relativist zur sein, dem weder Objektivität noch Wahrheit etwas gilt.

Realismus mit menschlichem Antlitz

Doch universell verbindliche Wahrheit steht dem internen Realisten Putnam durchaus zur Verfügung, nämlich als Rechtfertigbarkeit von Erkenntnissen unter episternisch idealen Bedingungen. Allen Akzentverschiebungen zum Trotz handelt es sich aber nach wie vor - so auch der Titel eines 1990 erschienenen Buchs - um einen Realismus mit menschlichem Antlitz, für den Putnam seit den 80er-Jahren stand.
Und fast möchte man die Botschaft des nun 89-jährig verstorbenen großen Denkers auch in jenem Satz gebündelt finden, mit dem Morpheus im Film "Matrix" die Lichtgestalt Neo nach seiner Erweckung begrüßt:
"Willkommen in der Wirklichkeit!"
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