Zum Tod des Dramatikers Lars Norén

Der Meister des Finsteren

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Porträt des schwedischen Dramatikers Lars Norén.
Berserker im Kulturbetrieb: Der schwedische Dramatiker Lars Norén ist im Alter von 76 Jahren gestorben. © AFP / TT News Agency / Jessica Gow
Michael Laages im Gespräch mit Marietta Schwarz · 26.01.2021
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Der schwedische Dramatiker und Schriftsteller Lars Norén ist im Alter von 76 Jahren an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben. Er war ein außerordentliches Phänomen in der Kulturszene, sagt Theaterkritiker Michael Laages.
Der Dramatiker und Schriftsteller Lars Norén gilt in Schweden als einer der Größten der Bühne, als bedeutendster Theaterautor seit August Strindberg. Er wurde vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Bellman-Preis und dem Nordischen Preis der Schwedischen Akademie. Nun ist Norén im Alter von 76 Jahren an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben.
Wiederkehrendes Thema seiner erfolgreichsten Dramen sind Menschen, die aufgrund psychischer Deformationen entweder schwer eingeschränkt oder gar unfähig sind, gesunde mitmenschliche Beziehungen zu unterhalten - beispielhaft dafür steht Noréns Beschäftigung mit den Abgründen des ehelichen Zusammenlebens.

Rabiates Sezieren der menschlichen Seele

In den 80er-Jahren habe er keine Theaterstücke gesehen, die rabiater und radikaler die menschliche Seele seziert hätten, sagt Theaterkritiker Michael Laages. Noréns Texte lebten "von der Finsternis und der Erkenntnis, dass der Mensch des Menschen Wolf ist. Da ging man miteinander auf die Schlachtbank und legte das Innerste nach Außen, jede Sünde, jede Verfehlung, jeden Irrweg. Das sind gnadenlos rabiate Stücke, die nichts von der heilen Welt der bürgerlichen Mittelschicht im Schweden der 80er-Jahre übrig lassen."
Das sei aber nur ein Pfad in Noréns Werk. Der andere sei die Gesellschaftsanalyse, da vor allem die Beschäftigung mit Existenzen, die am Rande der Gesellschaft lebten. "Also Kriminelle, ehemalige Knackis, Drogenabhängige. Norén hat sich für die unreflektierte Masse interessiert, die brutale, die radikale, die gewalttätige Masse Mensch. Und für den Einzelnen, der genauso brutal, gewalttätig und radikal mit jedem anderem umgeht."

Berserker mit klarer und präziser Sprache

Vom großen schwedischen Dramatiker August Strindberg habe Norén die radikale Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen übernommen, auch wenn er persönlich historische Vergleiche problematisch finde, sagt Laages.
Norén habe aber gegenüber den Strindberg-Stücken die Sprache klarer und präziser geformt. Seine Figuren gingen sprachlich so geschliffen scharf miteinander um, dass man sich als Theaterbesucher trotz der teils sehr langen Stücke mit Terror und Horror konfrontiert sah und sich keine Minute als verloren anfühlte.
"Das ging unter die Haut und war anstrengend. Und ich erinnere mich, dass ab und zu mal Leute das nicht ausgehalten haben und das Theater wieder verlassen haben."
Norén sei sich bis zum Schluss treu geblieben und habe sich nicht vom Kulturbetrieb vereinnahmen lassen, sagt Laages.
"Ich habe lange nach einem Begriff dafür gesucht: Das ist ein 'Unanpassbarer', auch da, wo er dann irgendwann mal sozusagen im Betrieb 'funktioniert' hat. Er war ja acht Jahre lang Intendant am Riksteatern in Stockholm. Er hat sich diesem Kulturbetrieb, wie er ihn empfunden hat, dennoch auf radikalste Weise widersetzt."
Dabei sei er laut eigener Biografie ein treu sorgender Familienvater gewesen, "aber nach außen, in der Gesellschaft, im Kulturbetrieb ein Berserker, einer, der nirgendwo hin passte."
Jemanden wie Lars Norén habe das Theater in Europa in den letzten 50 Jahren so gut wie nie hervorgebracht.
(rja)
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