"3.31.93" am Schauspiel Köln

Neues von Lars Norén

Lars Norén
Der schwedische Dramatiker Lars Norén 2001 in Berlin. © picture alliance / dpa / Foto: Claudia Esch-Kenkel
Von Dorothea Marcus · 12.11.2015
Die Figuren des schwedischen Dramatikers Lars Norén sind oft geschundene, melancholische und kranke Charakter. Am Schauspiel Köln ist jetzt Noréns "3.31.93 - Ein Großstadtreigen" zu sehen. Wieder ein Stück mit einem düsteren Grundton.
Einige Jahre ist es her, dass Schwedens bekanntester Gegenwartsdramatiker Lars Norén kein Stück mehr uraufgeführt hat, in der Zwischenzeit hat er sich mehr auf das Inszenieren verlegt – und nun tauchen viele Figuren und Motive aus den Stücken des heute 71-jährigen Norén wieder auf. Weitgehend ist allerdings jede Obszönität und Drastik verschwunden, für die er ebenfalls bekannt ist. Seine Figuren sind geschundene, melancholische und kranke Figuren, aber nicht gewalttätig, höchstens gegen sich selbst. "3.31.93" ist ein sehr langer Text, im schwedischen Original 300, in der deutschen Übersetzung für das Schauspiel Köln auch schon 140 Seiten lang, aber er könnte auch kürzer oder länger sein.

Der kryptische Titel ist, wie so oft bei Norén, eine schlichtes Ordnungsprinzip: in drei Teilen à 31 Szenen blitzen hier insgesamt 93 Situationen in Schlaglichtern auf, als könne man mit numerischer Kontrolle dem Weltchaos begegnen. Ein Kaleidoskop mitteleuropäischer Großstadtschicksale, an einem beliebigen Ort, in dem sich Zeitebenen, Gesellschaftsschichten und Erzählstränge verwirren und in Fragmente zerfallen – so, wie man das in einer Großstadt eben erlebt: Parallelwelten, die im Kosmos der Gleichzeitigkeit vorbeisausen.
Im Schauspiel Köln inszeniert Hausregisseur Moritz Sostmann den "Großstadtreigen", wie es im Untertitel heißt, mit neun Schauspielern und zehn Puppen. Auf der schwarzen Breitbandbühne des Depot 1 sieht man einen weiß gedeckten, langgestreckten Tisch, Tafel oder Laufsteg, dahinter im Schatten hängen die Puppen an den Haken und halten sich die Darsteller wartend auf. Schön ist, wie man ihnen beim stummen Umarrangieren der wenigen Requisiten – Kaffeetassen, Stühle oder der Rollstuhl – zusehen kann.
Es ist eine Art Alterswerk
Eine elegante Choreografie, zu der aufmunternder, aber auch recht beliebiger Elektrosound klackert (Nis SØgaard) – wie um zu sagen, kommt Leute, alles nicht so schlimm, geht ja doch immer weiter. Es ist eine Art Alterswerk, denn vieles kreist um Vergangenheit und Erinnerung. Ein Mann zerreißt zu Beginn der Demenz die Fotos der gemeinsamen Vergangenheit. "Alles was wir hatten", entsetzt sich die Frau – "Mehr hatten wir nicht?", fragt der Mann – philosophisch kreist Norén hier stets um den Kern aus Sinnlosigkeit und Vergeblichkeit. Norén wurde schon als Autor von "Seifenopern ohne Schaum" bezeichnet.
Aber "3.31.93" ist umfassender, tiefgründiger gedacht: hier geht es eher um die philosophische Erkenntnis, dass auf jedes Leben irgendwann die existentiellen Fragen hereinbrechen, egal, in welche Gesellschaftsschicht. Und so streifen und vermischen sich die Handlungsstränge, Sostmann vertauscht zuweilen auch die Darsteller, auch Zeiten und Orte sind egal, alles kehrt doch irgendwann wieder.

Und gegen alles Seifenopernartige arbeiten auch die Puppen, die wunderbar Noréns Melancholie und gewollte Allgemeingültigkeit transportieren – selten hat man auf der Bühne so sehr vergessen, welche Szene von Puppen und welche von Menschen oder von beiden zugleich gespielt werden – es hat nichts Lächerliches, wenn sich eine Puppe in der Badewanne die Handgelenke aufschneidet, es hebt die Szenen ins noch Allgemeingültigere: was bleibt schon anderes übrig, ohne Sinn und Zweck.

Und dennoch verliert sich die Intensität im Lauf der fast dreieinhalb Stunden, zu gleichförmig ist der düstere Grundton, die stille Geschäftigkeit zwischen den Szenen, der austauschbare Sound - und wird von der Regie auch nicht aufgefangen. Über drei Stunden lang sieht man hier dem allzumenschlichen Vergehen der Zeit zu, den Schicksalsschlägen des Alltags. Das greift zuweilen wohl jeden an, aber ermüdet auf die Dauer auch jeden. Nur das Schlussbild spitzt Sostmann zu: da steht der gelähmte Cellist vom Beginn als junger, kräftiger Mann, voller Zukunft musizierend auf der Bühne und spielt, umringt von tollenden Baby-Darstellern mit vollen Windeln und Schnullern im Mund, im gleißenden Licht. Das Stück zeigt, wie jede Zukunftsverheißung in Düsternis versinkt.

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