Zum Tod der Autorin Elizabeth Wurtzel

Die Stimme der Generation X

07:26 Minuten
Porträt der Autorin Elizabeth Wurtzel in New Haven 2017.
Bis zuletzt habe Elizabeth Wurtzel (1967-2020) "ihre große Klappe" behalten, sagt Sonja Eismann. © laif/ NYT/Redux/ Suzanne Dechillo
Sonja Eismann im Gespräch mit Max Oppel · 08.01.2020
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"Prozac-Nation": Mit diesem Buch fing die nun verstorbene Elizabeth Wurtzel im Jahr 1994 den Zeitgeist der Generation X ein. Dank der US-Autorin könnten Frauen heute selbstbewusster über ihr Leben schreiben, sagt die Publizistin Sonja Eismann.
Mit ihrem Buch "Prozac Nation" hat die amerikanische Autorin und Musikjournalistin Elizabeth Wurtzel den Psychostress der Massen lange vor der heutigen Opioid-Krise vorweggenommen. Ihr Buch erschien 1994, benannt nach dem gleichnamigen Antidepressivum. Der Bestseller kam in Deutschland unter dem Titel "Verdammte schöne Welt: Mein Leben mit der Psycho-Pille" auf den Markt.
Laut Sonja Eismann, Kulturwissenschaftlerin und Mitherausgeberin des "Missy-Magazins", hat Wurtzel damit den Zeitgeist der Generation X getroffen: Jugendliche die keinen Krieg und keinen Notstand erlebt hätten - und trotzdem eine gewisse Leere verspürten, eine Art Nihilismus oder Selbstzerstörung.

Gute Noten, Partys und eine tiefe Leere

Die Hauptfigur in Wurtzels autobiografischem Buch sei die perfekte Verkörperung dieser erlebten Ernüchterung: "Sie hat gute Noten, sie studiert in Harvard, sie ist befreit, hat Partys und Sex. Aber es gibt da diese tiefe Leere, die bei ihr eben diese klinische Depression ist."
Diese Leere und Selbstzerstörung war in der Popkultur der 90er-Jahre überall zu spüren. Kurt Cobain hatte sich umgebracht, und in der Modewelt regierte ein düsterer Heroin-Schick.
Wurtzel habe dieses Lebensgefühl getroffen, sagt Eismann: "Das war wie eine Wiederauflage der Punks aus den 70ern, dieses 'No Future', allerdings in so einer wohlstandsverwahrlosten Version der materiell gut abgesicherten Generation X." Auch die Vorboten des Neoliberalismus, der die Menschen unter Druck setze, seien in ihrem Werk bereits zu spüren gewesen. Verfilmt wurde das Buch 2001 mit Christina Ricci in der Hauptrolle.
Wurtzel sei zudem eine der ersten gewesen, die ganz offen über klinische Depression gesprochen und so eine gesellschaftlich Diskussion über dieses Tabu-Thema erst ermöglicht habe, sagt Eismann.

Hunger auf authentische Geschichten

Schonungslos schrieb sie über ihre eigenen Abstürze, über Drogensucht, trostlose Beziehungen und die tiefe Traurigkeit, die sie immer wieder überfiel. Mit dieser Art Beicht-Literatur sei sie über Nacht zum Popstar geworden, sagt Eismann.
Danach hätten sich auch hierzulande die Medien auf junge Autorinnen gestürzt: "Ich glaube, da paart sich bis heute so eine Art von Voyeurismus, den wir alle haben, mit so einem Hunger auf authentische Geschichten, echte Geschichte, die ja in Zeiten von Social Media immer wichtiger werden, aber auch immer mehr infrage gestellt werden."
Das Feministische an Wurtzel sei vor allem ihr lautes Mundwerk gewesen, diese Unverschämtheit, mit der sie sich ausdrückte, sagt Sonja Eismann.
Das habe ihr auch immer wieder Kritik eingebracht, aber Frauen bis heute ermutigt, selbstbewusst über ihre Lebensentwürfe zu schreiben: "Sie hat am Ende dann tatsächlich noch gesagt: Der Krebs schaffe es nicht einmal in die Top Ten der unangenehmsten Dinge, die ihr jemals passiert seien. Also sie hat ihre große Klappe bis zuletzt behalten."
Mit 52 Jahren ist Elizabeth Wurtzel am 7. Januar an den Folgen einer Brustkrebserkrankung gestorben.
(sed)
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