Zum Tod Abbados

"Einer der ganz großen Dirigenten"

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Claudio Abbado bei einer Orchesterprobe im Mai 1997 in Köln. © picture-alliance / dpa
Moderation: Ulrike Timm · 20.01.2014
Der Geiger Kolja Blacher hat den verstorbenen Dirigenten Claudio Abbado als herausragenden Musiker gewürdigt. Auch der Musikmanager Elmar Weingarten erinnert sich an Abbado als einen Dirigenten, der Musik auf "einzigartige Weise zum Klingen gebracht" habe.
Ulrike Timm: Musik und Musizieren in Freundschaft erleben, das war seine Lebens- und Arbeitsmaxime. Und mit dem Satz "Ich bin Claudio, für alle" trat Claudio Abbado bei der ersten Probe als Chefdirigent vor die Berliner Philharmoniker, die er viele Jahre lang leitete. Heute ist Claudio Abbado gestorben. Er ist 80 Jahre alt geworden, war lange krank. Die Trauer in der Musikwelt ist groß. Im "Radiofeuilleton" heute Nachmittag begrüßt Sie Ulrike Timm und wir werden den großen Dirigenten gleich würdigen im Gespräch mit zwei Wegbegleitern, mit dem Geiger Kolja Blacher und mit dem Soziologen Elmar Weingarten, der einige Jahre lang Intendant der Berliner Philharmoniker war. Erst einmal hören wir die Stimme des Mannes, der so ungern geredet hat und so leidenschaftlich musiziert, Claudio Abbado:
O-Ton Claudio Abbado: Ich war sieben Jahre alt und ich habe ein Stück von Debussy in der Scala gehört von dem alten Dirigenten Antonio Guarnieri. Und für mich war das wie ein Zauber. Mein Wunsch, mein Traum war, diese Musik einmal zu spielen. Natürlich habe ich das als Dirigent gemacht, aber die Idee war immer, diese Musik zu spielen, diese Musik, wo dieser Zauber herkommt.
Timm: Die Stimme von Claudio Abbado, eigentlich sagt die schon ganz viel. Heute ist der Musiker im Alter von 80 Jahren gestorben. Elmar Weingarten ist Soziologe und Musikmanager, Intendant der Tonhalle in Zürich. Und er hat die Berliner Philharmoniker einige Jahre als Intendant in den Abbado-Jahren begleitet, von 1996 bis 2001. Vor allem aber hat er viele Abbado-Konzerte als Zuhörer erlebt. Herr Weingarten, ich grüße Sie!
Elmar Weingarten: Ich grüße Sie auch, Frau Timm!
Timm: Wie werden Sie Claudio Abbado erinnern?
"Er war unerbittlich in seinen Forderungen"
Weingarten: Ja, als einen wirklich ganz großartigen Musiker, der einen wirklich bewegen konnte und der vor allen Dingen sehr, sehr ernsthaft alles betrieb, was er gemacht hat. Er war wirklich, er hatte einen emotionalen Zugang zu Musik, war immer wieder interessiert auch am Nachdenken über Musik und für die Musik. Und er war ganz unerbittlich auch in seinen Forderungen an diejenigen, die mit ihm Musik gemacht haben.
Timm: Wir werden in dieser halben Stunde natürlich noch Musik hören, die Claudio Abbado dirigiert hat. Ich möchte Sie ansprechen auf das, was Sie das Nachdenken über Musik genannt haben! Claudio Abbado war ja ein unglaublich gebildeter Mensch, viele literarische Zyklen hat er mit seinen musikalischen Arbeiten verknüpft, ein großer Kunstkenner. Wie hat sich diese Seite, diese vielfältige Bildung in der Arbeit mit ihm niedergeschlagen?
Weingarten: Was er gemacht hat und was auch für mich wirklich immer ein Ansporn war und, ich möchte auch sagen, was ich von ihm gelernt habe: Und zwar, dass er Themen gesetzt hat, die uns dann vorgelegt hat und dann haben wir darüber geredet und dann mussten wir uns auch an denen abarbeiten, regelrecht abarbeiten. Beispielsweise sagte er dann, wir machen einen antiken Zyklus oder wir verfolgen das Thema der Wanderer im Zusammenhang mit Schubert, als er sich "Fierrabras" genähert hat, dieser Oper beispielsweise, oder auch ganz am Schluss hatte er "Falstaff" dirigiert und dann sollten wir über Humor nachdenken, was in der Musik ja wirklich das Schwierigste ist, was man sich vorstellen kann.
Und wir waren dann sozusagen einfach auch die Fährte gesetzt, dann darüber nachzudenken. Und das ist eigentlich für einen Intendanten doch immer eine große Herausforderung, eine sehr schöne, aber es ist oft mühselig, dann mit anderen Dirigenten über Hölderlin zu sprechen und was man da für Werke dann machen kann und machen könnte, weil die meisten Dirigenten eigentlich nicht diese gedankliche Tiefe verfolgen, die also Claudio Abbado da doch immer wieder als wesentlich fand für das Programm-Machen. Aber wir mussten das tun und haben es immer wieder versucht. Und das war wirklich ein wesentlicher Akzent. Er hatte dann einige Schwerpunkte, beispielsweise Hölderlin war wirklich ein ganz großes Thema.
Und dieses Thema hat ihn dann auch mit seinem Freund Luigi Nono ganz besonders verbunden und es war immer wieder interessant zu erleben, wie sie mit diesen Themen umgehen. Es war ja … Luigi Nono und Claudio waren beide Italiener, waren auch der Sprache nicht so fähig, dass sie wirklich alles verstehen konnten, aber was sie ahnten, beide ahnten, das war das Richtige wohl bei Hölderlin. Und damit haben sie uns als Italiener immer wieder fasziniert und sie haben uns dann auch immer wieder auf Trab gebracht, darüber weiter nachzudenken. Und wir haben dann schöne Sachen gemacht, schöne Programme gemacht. Ich glaube, das war also für den Intendanten, der sich überlegen muss, wie stellt er ein Programm für ein ganzes Jahr zusammen, war das also unglaublich bereichernd und auch einmalig, das muss ich sagen.
Timm: Auf Trag gebracht ist ein schönes Stichwort. Eigentlich sagt man ja immer, Musiker wollen spielen oder Pause machen. Nun sind die Berliner Philharmoniker ja besondere Musiker, da galt das so nie… Aber aus welchen Quellen nahm er solche Fährten, die er legte?
Musik kam für ihn aus der Stille
Weingarten: Es war sicher so, dass er viel gelesen hat. Aber ich hatte immer den Eindruck, er hat sich anregen lassen durch Gespräche und dann hat er Schwerpunkte gesetzt und hat dann über die Schwerpunkte nachgedacht, auch mit Freunden nachgedacht. Also, beispielsweise auch mit Wolfgang Rihm, war so ein Partner, mit dem er immer wieder sich verbunden hat und nachgedacht …
Ich erinnere mich beispielsweise, wir hatten ja diese wunderbare Konzertreihe, dass wir durch die vier alliierten Städte gefahren sind 50 Jahre nach Kriegsende, und da hat Wolfgang Rihm ihm ein Stück geschrieben, wo er einen Nelly-Sachs-Text verwendet hatte. Und das war dann so, dass ihn das dann schon wirklich fasziniert hat inhaltlich, darüber wirklich sich auszutauschen. Und für uns war das immer wirklich, also, das waren die großen Erlebnisse. Und dann, was er als Dirigent dem Orchester vermittelt hat, Sie haben das ja selbst schon gesagt, dass er ein Schweiger war, er konnte unglaublich viel zeigen mit seiner Körperlichkeit, er hat wenig gesprochen.
Er hat mir selbst mal erzählt, als er in Tanglewood als ganz junger Mensch anfing und dort Assistent war, hatte er ganz schnell den Spitznamen weg "Signore Piùpiano", weil er immer eigentlich nur gesagt hat, bitte leiser, leiser, leiser! Und das hat sich eigentlich sein ganzes Leben lang durchgehalten. Für ihn kam Musik tatsächlich aus der Stille, was auch Brendel mal gesagt hat, das war für ihn das Entscheidende, und dann von dort aus die großen Emotionen aufzubauen.
Timm: Abbado war auch ein sehr politischer Mensch, nicht jeder Musiker fordert, dass man Tausende Bäume pflanzt für ein Dirigat, das hat Abbado gemacht. Zum Beispiel, als er nach langen Jahren wieder an der Mailänder Scala dirigierte, man sollte ihm als Gage viele Tausend Bäume pflanzen. In jungen Jahren war Abbado derjenige, der den Komponisten Luigi Nono mit durchgesetzt, Sie haben es angesprochen, ein bekennender Linker. Das war nicht so einfach! Sah Abbado Musik als gesellschaftliche Kraft oder ginge das zu weit?
Weingarten: Ganz sicher war er immer wirklich an denen interessiert, die benachteiligt waren, das muss man sagen. Natürlich hat er von den Lebensumständen dort nicht gelebt, wo wirklich Not war, aber es war für ihn wirklich auch vor allen Dingen, er hat unglaublich gelitten unter der politischen Situation im Italien der letzten Jahre, da habe ich es nicht mehr so unmittelbar erlebt, aber schon vorher, und hatte immer wieder Hoffnungen gesetzt in diejenigen, die also aus der Linken kamen und dann versucht haben, diesen Staat in den Griff zu kriegen. Da hatte er immer große Sympathie. Er hatte immer große Sympathie für diejenigen, die unterdrückt waren, und diejenigen, die es nicht so gut hatten von ihrer Herkunft und von ihrer Ausstattung her, das kann man sicherlich sagen.
Timm: Sie, Herr Weingarten, haben sich als musikalisches Beispiel mit Claudio Abbado ausdrücklich Mahler gewünscht, einen Auszug aus der neunten Sinfonie. Das wollen wir machen. Sagen Sie uns mit ganz wenigen Worten, warum es gerade das sein sollte?
Weingarten: Ja, diese neunte Sinfonie, die hat für mich und mit ihm wirklich eine ganz besondere Bedeutung, weil ich diese Sinfonie, als ich sie mit ihm hörte, zum ersten Mal wirklich richtig geliebt habe. Und ich muss sagen, der Schluss der neunten Sinfonie ist ja ein Abschied vom Leben, dort verdämmert und versinkt die Musik in einem Pianissimo, das ist eine Musik, die, glaube ich, ganz besonders angemessen ist zum heutigen Tage. Und ja, sie ist traurig, macht traurig und, vor allen Dingen, sie macht natürlich auch Hoffnung, wenn man weiß, dass so jemand wie Abbado sie in einer unglaublich einzigartigen Weise zum Klingen gebracht hat.
Timm: Elmar Weingarten, ich danke Ihnen und wir hören das jetzt. Ein Ausschnitt aus dem letzten Satz der neunten Sinfonie von Gustav Mahler, gespielt von den Berliner Philharmonikern, geleitet von Claudio Abbado.
Der Geiger Kolja Blacher hat jahrelang mit Abbado zusammengearbeitet
Musik von Gustav Mahler. Gustav Mahler war für den heute verstorbenen Claudio Abbado ein ganz lebensbestimmender Komponist. Aber auch, wenn das eben hier sehr getragene Töne waren, so war Claudio Abbado durchaus ein sehr lebensfroher Mensch, er war ein großer Kunstkenner, ein begeisterter Segler, ein Wanderer durch die Partituren wie im realen Leben. Und als er das erste Mal vor den Berliner Philharmonikern stand – das war 1989 –, da sagte er: "Ich bin Claudio, für alle!" Und das war wohl der größtmögliche Unterschied in der Umgangsweise von Maestro Karajan zu Claudio Abbado, der damals Chefdirigent wurde, der andere Maestro.
Heute ist Claudio Abbado gestorben. Kolja Blacher, der Geiger, hat lange Jahre und immer wieder mit Claudio Abbado zusammengearbeitet, als Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, als Solist und in den letzten Jahren auch immer wieder beim Lucerne Festival Orchestra, einem der vielen Orchester, die Abbado nach seinem Weggang von den Philharmonikern gegründet hat. Schönen guten Tag, Herr Blacher!
Kolja Blacher: Guten Tag!
Timm: Wann sind Sie Claudio Abbado denn zuletzt begegnet?
Blacher: Zuletzt leider nur telefonisch. Diesen Sommer sollte ich wieder nach Luzern kommen, musste dann leider aus gesundheitlichen Gründen absagen. Aber wir haben noch zwei, drei Gespräche geführt, in denen er eigentlich trotz seiner Krankheit eigentlich noch sehr wohl klang und sehr positiv.
Timm: Der große Schweiger, so hat man ihn genannt, auch unter Musikern. Geredet hat er ungern und wenn, dann oft sehr in sich hinein. Wie gelang ihm das eigentlich, sich mitzuteilen als Dirigent?
Blacher: Einmal durch seine phänomenale Zeichengebung natürlich, die ganz exzeptionell war, und dann hat er … Ja, er hat einem als Musiker auch immer einen gewissen Spielraum gelassen, wo andere, sagen wir mal, bestimmt oder befohlen haben, hat er vorgeschlagen. Und man hat als Musiker bei ihm immer das unglaubliche Gefühl einer Freiheit gehabt, dass man eigentlich so spielen kann, wie man jetzt selber will. Was natürlich nicht wirklich gestimmt hat, aber er hat einem da mehr als alle anderen einen Freiraum gelassen und vermochte dann auch oft eben … war flexibel genug, Sachen anzunehmen von den Musikern, aber auch konnte er diese ganzen verschiedenen Ideen oder Strömungen wirklich in seine Interpretation mit aufnehmen und vereinen. Und das, glaube ich, ist auch mit einer der Gründe, warum man für ihn einfach am besten gespielt hat.
Timm: Es gibt ja immer diese großen Unterschiede, Abbado-Probe und Abbado-Konzert. Er war der Dirigent mit der vielleicht schwerelosesten Zeichengebung, sagte aber eben nicht viel, Hände, Körper und vor allem: War es der Blick?
Blacher: Sagen wir mal, aus diesem gewissen Vagen manchmal musste man natürlich sehr viel wacher sein. Man musste selber viel mehr, man hatte mehr Verantwortung, man musste mehr hören. Man musste mehr entscheiden. Und dadurch automatisch steigt das Niveau, als wenn man ausführt. Also, wenn man vergleicht, wenn man jetzt nur ausführt oder man ist wirklich selber mit seinen Ohren und seinen Emotionen wirklich auf Hab-Acht-Stellung sozusagen, das vermochte er ganz doll.
Viele haben immer gesagt, nee, nee, der kann nicht proben. Ich glaube, das war sehr bewusst. Und er hat zum Beispiel in Luzern auch die letzten Jahre, kann ich nur sagen, phänomenal geprobt, ganz, ganz analytisch teilweise. Auch wieder nicht befohlen, sondern gesagt, hören Sie dorthin, dort, zweites Horn hat das, Sie müssen das dort übernehmen. Er hat einen zu einem selbstständigen Musiker gemacht eigentlich.
Timm: "Ich bin Claudio, für alle", so einen Satz hätte Herbert von Karajan von sich niemals gesagt. War Abbado, obschon er 80 Jahre alt geworden ist, der erste Dirigent der neuen Generation?
Wandel in die Orchesterlandschaft gebracht
Blacher: Also, er war immer ein sehr junger Mensch, egal wie alt er war. Er war neugierig, er war offen für Neues, für Ideen. Das war, glaube ich, ein ganz wichtiger Wesenszug. Und er hat auch, würde ich sagen, abgesehen davon, dass er natürlich als einer der ganz großen Dirigenten in die Geschichte eingeht, hat er die Orchesterlandschaft wirklich verändert. Nicht nur durch die ganzen Neugründungen, sondern auch dadurch, dass er, wie ich eben beschrieb, den Orchestermusikern mehr Verantwortung gab. Es herrschte eine andere Kollegialität, die sozusagen die alten Diktatoren … Da ist er einer derjenigen, der wirklich da einen großen Wandel hineingebracht hat in die Orchesterlandschaft.
Timm: Wie nah kam man als Musiker dem Menschen Abbado?
Blacher: Das ist schwierig, aber das ist, glaube ich, das liegt am Beruf. Man konnte sich ihm sehr nah fühlen und im nächsten Moment war wieder eine große Distanz, was auch sein muss. Wenn man immer mit Hunderten von Leuten zu tun hat, ist das schwierig, eine Nähe zu zeigen. Und das war, wenn Sie auch ansprechen, dieser Satz "Ich bin Claudio", das war eine Nähe, die eine, sagen wir mal, bisher autoritär geführte Gruppe schwer zu vertragen vermochte.
Timm: Kolja Blacher, ich danke Ihnen! Und wir wollen Sie hören, gemeinsam mit Claudio Abbado, ein Auszug aus dem Violinkonzert von Igor Strawinski. Kolja Blacher, die Berliner Philharmoniker und Claudio Abbado.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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