Nachruf

Antityp des Pultdespoten

Von Michael Dasche · 20.01.2014
Claudio Abbados Devise war, Mitstreiter zu gewinnen statt anzuordnen. Und so setzte er mit viel Geduld und Überzeugungskraft seine musikalischen Großprojekte durch. Das zahlte sich auch im Klangbild aus. Er starb im Alter von 80 Jahren in Bologna.
"Ich bin Claudio – für alle. Keine Titel."
Mit dieser Klarstellung überraschte Claudio Abbado die Berliner Philharmoniker, als er 1990 bei dem weltberühmten Klangkörper sein Amt als Chefdirigent antrat. Für die Elitemusiker war das sicher eine Geste von befreiender Wirkung, hatten sie doch Jahrzehnte lang unter ziemlich despotischer Führung gestanden.
Von Abbado – ein politisch eher "links" und zugleich demokratisch gesinnter Künstler – ging eine Autorität anderer Art aus, als man es in Berlin, aber auch an den Stätten, an denen er zuvor wirkte, gewohnt war. Sie war allein und ausschließlich gegründet auf fachliche Kompetenz; und die wiederum bestand nicht nur in kapellmeisterlicher Routine, sondern in einer musikhistorisch fundierten, aber auch entdeckungsfreudigen Sicht auf den klassischen Werkkanon ebenso wie auf die Moderne und Avantgarde des 20. Jahrhunderts.
Sanfter Revolutionär
Einen "wunderbar Fragebegabten" nannte ihn der Komponist Wolfgang Rihm, womit er nicht nur auf das Interesse Abbados am aktuellen Schaffen, sondern ganz generell auf seinen weiten geistigen Horizont anspielte: auf seine Fähigkeit, die Künste zu "vernetzen", etwa in Gestalt literarisch geprägter thematischer Konzertzyklen und konzertanter Opernaufführungen.
Solche spektakulären Großprojekte durchzusetzen (man denke nur an "Prometheus" und "Faust" in Berlin), das erforderte viel Überzeugungskraft und Geduld, die Claudio Abbado auf seine eigentümlich stille Art aufbrachte. Seine Devise war, Mitstreiter zu gewinnen statt anzuordnen.
Dass er das überhaupt durchhalten, dass er als bewusster Antityp des Pultdespoten Karriere machen konnte, bleibt bewundernswert und erstaunlich, aber auch ein wenig rätselhaft. Denn die "Apparate", mit denen er es zu tun bekam oder denen er vorstand, angefangen bei der Mailänder Scala über die Wiener Staatsoper bis hin zu den Berliner Philharmonikern waren nun einmal hierarchisch strukturiert, verlangten eigentlich nach einer straffen Hand vom Mann an der Spitze.
Tatsächlich blieb Abbado seinen Mitstreitern, je mehr er sie denn als solche behandelte, in diesem Punkt einiges schuldig; und nicht überall wollte man sich mit seiner Rolle als "Primus inter pares" zufrieden geben.
Schlankeres Klangbild
Immerhin gelang ihm der musikalisch erlebbare Beweis, dass ein auf der Mitverantwortung jedes Einzelnen, auf seiner künstlerischen Mündigkeit gegründetes kollektives Musizieren letztlich am besten klingt. Das aufgelichtete, schlanker gewordene Klangbild, wie es etwa zum Markenzeichen der Berliner Philharmoniker nach Karajan geworden ist, verdankt sich maßgeblich der Arbeit Abbados mit dem Klangkörper, auf die Simon Rattle heute aufbauen kann. Gleiches gilt für die enorme Repertoireerweiterung, die es seit seiner Ära gegeben hat.
Seinen anspruchsvollen künstlerischen Zielen konnte Abbado treu bleiben, weil er sich gegenüber den Zumutungen des medialen Musikmarktes resistent zeigte. Seine Unabhängigkeit war ihm wichtiger als jede prestigeträchtige Position – und sei es die des Chefs der Berliner Philharmoniker. Dass er nicht die geringste Neigung verspürte, sich selbst an einen Klangkörper dieser Liga lebenslang zu binden, war eine seinerzeit neue Haltung.
Überhaupt hat es im Wirken Abbados immer mehrere, durchaus alternative "Schauplätze" gegeben. Schon während seiner Amtszeit in Mailand initiierte er mit seinen Landsleuten und Freunden, dem Komponisten Luigi Nono und dem Pianisten Maurizio Pollini, im Industriegebiet von Reggio nell' Emilia eine Konzertreihe für Arbeiter: die "Musica-Realtà". Seine einflussreiche Position an der "Scala" wusste er unterdessen zu nutzen, um sozial und politisch engagierter Kunst ein prominentes Podium zu schaffen, so als er 1975 – in der Regie von Jurij Ljubimow – Nonos "Al gran sole carico d'amore" zu Uraufführung brachte.
Nachwuchsförderung
Während seiner Zeit bei den Wiener und bei den Berliner Philharmonikern gab es ebenfalls ein zweites "Hauptgeschäft", dem sich Claudio Abbado gerade in seinen letzten Jahren mit wachsender Hingabe widmete. Und das bestand in der Arbeit mit jungen Musikerinnen und Musikern, vor allem mit dem aus dem "Gustav Mahler Jugendorchester" hervorgegangenen "Mahler Chamber Orchestra". 2003 schließlich gründete er sein "Traumorchester": das "Lucerne Festival Orchestra", das aus – wiederum vorwiegend jungen und innovativ eingestellten – Mitgliedern der Berliner und Wiener Philharmoniker sowie des Mahler Chamber Orchestra besteht.
Alles in allem zeigte sich auch in diesem – ganz und gar auf Zukunft gerichteten – Projekt Abbados unermüdliche Suche nach Alternativen innerhalb des etablierten Musikbetriebs. Seinem Ruf als "sanfter Revolutionär" machte er damit bis zum Schluss alle Ehre. Und er tat es mit durchaus apollinischem Sinn, mit einer Prise von Heiterkeit und Freude, die wohl zum südländischen Naturell des Italieners gehört.
Nicht zufällig stellte er einmal eine ganze Saison bei den Berliner Philharmonikern unter das Motto "Musik ist Spaß auf Erden" – eine leichte Abwandlung der finalen Fuge "Tutto nel mondo è burla" aus Verdis "Falstaff".

Programmtipps:

Zum Tod von Claudio Abbado sprechen wir um 19.07 Uhr in "Fazit" mit der Klarinettistin Sabine Meyer. Bereits um 18.30 Uhr läuft in "Da Capo" eine Sondersendung zu Claudio Abbado.

In memoriam Claudio Abbado senden wir heute Abend eine Konzertaufzeichnung vom 27.1.2001: Die Berliner Philharmoniker spielen unter der Leitung von Claudio Abbado Verdis "Requiem". Anlass war der damals 100-jährige Todestag Guiseppe Verdis. Sollten Sie keine Zeit haben das Konzert zu hören, nutzen Sie unseren Deutschlandradio-Recorder.

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