Zum Ende der Piratenpartei

Gar kein so schlechter Hack

Die Fahne der Piratenpartei
Die Fahne der Piratenpartei © dpa / picture alliance / Paul Zinken
Von Philip Banse · 16.09.2016
Die permanente öffentliche Schlammschlacht der Piraten hat Einigung und Professionalisierung verhindert. Führende Piraten litten schnell an Filter-Versagen und loggten sich aus. Dabei hinterließ die politische Arbeit der Piraten in Berlin durchaus positiven Eindruck.
In Berlin war die Piratenpartei am stärksten. Sie stellte eine große Fraktion im Abgeordnetenhaus und machte nicht nur durch interne Streitigkeiten auf sich aufmerksam. Die akribische und professionelle Arbeit im Untersuchungsausschuss zum Flughafendesaster, ihre Vorschläge zum Sozialticket und das Aufdecken von Datenschutzproblemen hinterließ bei vielen auch positiv Eindruck. Nach der Wahl am Sonntag werden die Piraten zumindest fürs Erste von der großen politischen Bühne verschwunden sein.
Ich habe die Piraten bei ihrem rasanten Aufstieg beobachtet, damals auf den Parteitagen nach ihrem größten Erfolg, dem Einzug ins Berliner Landesparlament 2011. Auch ich war angetan von ihrer Energie, vom Willen, den Politik-Modus umzukrempeln, basisdemokratischer, transparenter zu machen und vom Plan, Politik thematisch ins 21. Jahrhundert zu bringen. Das machte alles irgendwie einen größeren Sinn. Hatten nicht die Grünen Umweltschutz und Nachhaltigkeit auf die politische Agenda gesetzt? 30 Jahre zuvor? Jetzt, genau eine Generation später, war die Welt digital, doch Gesetze garantierten jedem Deutschen zwar ein Telefonbuch, aber keinen Internetanschluss.
Natürlich ist so eine Partei auch immer Protest gegen den Status Quo. Doch anders als die AfD wollten die Piraten aus den Trümmern kein Gesellschaftsmuseum bauen, in das nur weiße Männer mit ihren Ehefrauen Einlass finden. Die Piraten wollten mehr Demokratie, mehr Teilhabe, mehr Offenheit, mehr Zukunft. Für mich war das, als gehorchte die Zeitgeschichte Naturgesetzen, und die Piraten waren die logische nächste Phase.

Transparenter und kollaborativer

Die Piraten holten das Internet in die Politik – und gingen an dessen Schattenseiten zugrunde. Mit den digitalen Werkzeugen wollten sie Politik transparenter machen, bürgernäher, kollaborativer. Doch statt respektvoll auf Augenhöhe Argumenten zu tauschen, übernahmen Trolle die Diskussion. Jeder konnte mitmachen, jeder konnte kaputtmachen. Die Piraten haben sich zerfleischt; Parteifreunde haben sich öffentlich den Tod gewünscht, öffentlich, da regten sich bei mir erste Zweifel. Auch die Grünen haben sich gestritten, aber sie hatten kein Twitter und Facebook.
Die permanente, hemmungslose und öffentliche Schlammschlacht der Piraten hat Einigung, Konsens und Professionalisierung verhindert. Führende Piraten litten schnell an Filter-Versagen, die Flut der Beschimpfungen beschädigte ihre Psyche, sie loggten sich aus. Doch Trolle trollen nur in Foren, in den Menschen auch ernsthaft diskutieren. Da machen die Piraten keine Ausnahme: Aus ihren Reihen rekrutierten sie einige sehr talentierte Politiker, viele davon in der Berliner Landtagsfraktion. Weisband, Lauer, Delius und Co. haben sich in die Politik generdet, Traditionen hinterfragt, Politikfelder kompetent beackert – und die Piratenpartei längst entnervt verlassen.

Die Trolle haben gewonnen

Dabei hatten die Piraten von Anfang an eine – wie ich fand – so einfache wie bestechende Idee, wie Menschen wie sie politischen Debatten führen können, basisdemokratisch, effektiv und verbindlich: Liquid Democracy, eine Software, mit der politische Konzepte, Satzungen, Gesetze kollaborativ entwickelt und beschlossen werden können. Wie jede gute Idee, machte Liquid Democracy im Alltag auch Probleme, und als es darum ging, dieses radikale Prinzip bundesweit verbindlich zu machen, haben die Piraten gekniffen. Das war der Anfang vom Ende. Die Trolle haben gewonnen, das Forum ist leer und verwaist, die Partei tot und fast pleite.
Doch die Bilanz kann sich sehen lassen. In Berlin haben die Piraten gute Oppositionsarbeit geleistet, Anfragen gestellt, den Innensenator genervt. Netzpolitik, Digitalisierung, Transparenz - heute fester Bestandteil aller Parteiprogramme. Minister, Abgeordnete, Regierungssprecher twittern, sind für alle Bürger ansprechbar, auch dank der Piraten. Und jetzt werkeln ihre besten Leute sogar direkt bei FDP, SPD und Linken.
Und das, finde ich, ist doch gar kein soooo schlechter Hack des politischen Systems.

Philip Banse ist Journalist, Blogger und Podcaster in Berlin.

Philipp Banse
© Foto: Johnny Häusler
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