Zum 60. Geburtstag von Blixa Bargeld

Das Toben und Schreien ist vorbei

Einsturzende Neubauten live mit Blixa Bargeld in Kopenhagen bei einem Konzert (2018).
Happy Birthday! Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten ist 60 Jahre alt geworden. © imago stock&people
Von Tim Baumann · 11.01.2019
Ein Ikone der Musikszene nähert sich dem Rentenalter: Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten wird 60. Als Musiker fasziniert er nach wie vor - wenn auch ohne die zerstörerische Energie der frühen Jahre.
"Ich dachte immer, ich mache mein Abitur und studiere und werde Forscher", erzählt Blixa Bargeld, gebürtig Christian Emmerich, in einer Arte-Dokumentation. Aber es kommt anders. Der Junge aus West-Berlin legt kurz vor seinem Abschluss Feuer in der Schule – und damit unverhofft den Grundstein für eine Musikerkarriere, die in Deutschland ihresgleichen sucht - obwohl viele in dem Kollektiv der "Genialen Dilletanten" (sic!) um den damals spindeldürren, mit seinen tiefen Augenringen gleichermaßen zerbrechlich wie faszinierend unheimlich wirkenden Bargeld nur Lärmerreger sehen.
"Nein. Es war nie Lärm. Es war laut, aber es ist nicht Lärm", entgegnet Blixa Bargeld dem Journalisten Gero von Boehm, der ihn noch 23 Jahre nach Gründung seiner Band, den Einstürzenden Neubauten, mit diesem Vorwurf konfrontiert:
"Obwohl ich den Lärm schon bewundere, aber dem Lärm geht natürlich die Organisiertheit und die Durchdachtheit ab. Selbst wenn etwas laut ist und selbst wenn es nur auf Metallkübeln gespielt wird, ist es deswegen nicht Lärm."

Symbolistische Texte und improvisierte Klänge

Was für viele wie Lärm klingt, ist in Wahrheit eine kleine musikalische Revolution – im Berlin der 80er-Jahre, das vom Punk mit seinen drei Akkorden übersatt und gelangweilt vor sich hinlebt, verzichten Blixa Bargeld und seine Mitstreiter gleich ganz auf Akkorde und setzen auf einen Mix aus improvisierten symbolistischen Texten und ebenso improvisierten Klängen – und Instrumenten. Das spiegelt sich auch in Blixas Gesang: Seine Stimme tobt und schreit, raunt brüchig, gepresst, gegen die Welt und alle Tonalität.

Stetig wird getüftelt: an neuen Instrumenten, an Sounds – und daran, wie der saturnischen Melancholie des astronomiebegeisterten Blixa Bargeld Ausdruck verschafft werden kann, um bereits vor dem Eintritt des Zukünftigen dessen Verfall zu skizzieren.
"Was ich in erster Linie tue ist: Ich weise auf eine Tür, ich arbeite darauf hin, eine Tür zu öffnen an einer Stelle, an der es vorher noch nicht einmal klar war, dass da überhaupt eine Tür ist. Das ist meine Arbeit."
Blixa Bargeld (mit Mark Chung, im Hintergrund) bei einem Konzert der Einstürzenden Neubauten, 1982 während der Documenta 7 in Kassel.
Blixa Bargeld (mit Mark Chung, im Hintergrund) 1982.© imago stock&people

Blixa hat mehrere Eisen im Feuer

Die Einstürzenden Neubauten sind aber nicht Bargelds einzige Band – von 1984 bis 2003 spielt er Gitarre bei Nick Cave and The Bad Seeds, wo er zum ersten Mal mit eher traditionellem Songwriting in Kontakt kommt. Diese Erfahrungen überträgt Bargeld auch auf die Einstürzenden Neubauten – ab dem Album "1/2 Mensch" von 1985 vollzieht sich ein kompositorischer Wandel – die Anarchie der frühen Tage weicht strengeren Strukturen.
In den 90ern wird die Musik ruhiger, melodischer und aus dem Kreischen und Schreien Bargelds entwickelt sich langsam der heute für ihn so charakteristische, oft knarzig modulierte und stets unter Druck stehende kunstmusikalische Erzählgesang.

"Wir wären restlos dabei ausgebrannt"

Auch von der zerstörerischen Energie der frühen Alben ist weniger zu spüren. Aus mehreren Gründen, wie Bargeld im Jahr 2000 dem SWR verrät:
"Die innige Verquickung zwischen Kunst und Leben ist eine sehr ungesunde. Und wenn wir, so wie wir Anfang der 80er-Jahre gespielt haben, wenn wir das auf ewig weitergemacht hätten, wir hätten uns zu unserem eigenen Klischee verballert – oder wir wären restlos dabei ausgebrannt."
Blixa Bargeld, der düstere Charismatiker, der angeblich jahrzehntelang keine eigene Wohnung hatte und bei Freunden unterkommen musste, ist heute eine feste Größe im Kulturbetrieb, der sich von Sterneköchen bewirten lässt, aber seine tiefen Augenringe und die Aura der Verlebtheit behalten hat. Von den punkigen Zeiten grenzt er sich ab: "Die Punks waren die, die uns damals mit Bierdosen beworfen haben. Also ich glaube nicht, dass ich da im Nachhinein für vereinnahmt werden sollte."
Neben Ausflügen in die Theater- und Lyrikwelt geht Blixa auch mehrere Album-Kooperationen ein – zum Beispiel "Mimikry" mit Carsten Nicolai, unter dem Pseudonym Alva Noto ein Vorreiter in der Neuen Elektronischen Musik.

Als abgehoben mag man ihn nicht empfinden

Dass er so lange im Musikgeschäft bleiben würde, daran hat Blixa Bargeld selbst nicht geglaubt. 1991 erklärte er bei einem Besuch in seiner ehemaligen Schule:
"Ich meine, es ist natürlich abzusehen, dass Rockmusiker so schlechthin kein Beruf ist, mit dem man sich jahrzehntelang über Wasser halten kann. Irgendwann wird’s peinlich."
Als abgehoben mag man Blixa Bargeld empfinden – peinlich ist er keinesfalls. Und vielleicht werden ja auch die erbittertsten Gegner der Klangexperimente von Einstürzende Neubauten noch eines Tages überzeugt, denn...
"Nur was nicht ist, ist möglich."
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