Theodorakis war nicht nur Komponist, sondern auch Musiker, Dirigent, Schriftsteller, Dichter und Politiker, eine enorm kreative und einflussreiche Persönlichkeit. Gast im Studio ist Astéris Kútulas, Autor, Publizist, Übersetzer von griechischer Lyrik und Literatur, Filmemacher und vor allem langjähriger Produzent und Vertrauter von Theodorakis.
Dessen Musik erlebte Anfang der 1980er-Jahre in der DDR einen regelrechten Boom. Die Sendung bringt Ausschnitte aus dem bekanntesten Werk, dem "Canto General" in der Aufnahme der deutschen Erstaufführung beim Festival des Politischen Liedes 1980 im Berliner Palast der Republik. Für die Berliner Musikbiennale 1983 komponierte Theodorakis die "Sadduzäer-Passion", ein enorm komplexes und aufwühlendes Werk.
Ein genialer Wurf, der ihn verfolgte
Astéris Kútulas ist in Dresden aufgewachsen und hat Mikis Theodorakis bei der Erstaufführung des Canto General in Berlin kennengelernt. Er hat sehr dezidierte Ansichten und Erfahrungen mit dem Leben und dem Werk des Komponisten der “Zorbas-Melodie”.
Theodorakis hat mal sehr schön gesagt: 'Mein großer Fehler war, dass ich die Zorbas-Melodie komponiert habe. Aber was soll ich machen? Das war meine Marilyn Monroe. Marilyn Monroe ist einfach schön, du kannst gar nichts sagen. Und ich habe eine Marilyn Monroe geschaffen und das hat mir keiner verziehen.' Er war natürlich auch sehr anarchistisch. Also Mikis hatte kein Büro, das hat ihn alles nicht interessiert. Also jeder halbwegs unbekannte Komponist hat jetzt einen Pressesprecher, Mikis bis zu seinem Lebensende, überhaupt nicht.
Theodorakis war nicht nur im Westen verpönt wegen seiner un-avantgardistischen Stilistik und seiner linken Meinung, sondern viele Jahre auch in den realsozialistischen Ländern unerwünscht. 1980 öffnete sich in der DDR ein Fenster für seine Musik.
Dafür sorgte vor allem der Dresdner Musikkritiker Peter Zacher. Astéris Kútulas erlebte den "Canto General" als Offenbarung, wie viele Menschen in der DDR damals, so erinnert er sich.
Es kam plötzlich eine vollkommen neue Form, ein neues Format, und das hat die Menschen elektrisiert. Das war etwas ganz anderes, es war nicht abstrakt, es war nicht fernab, es war nicht distanziert, aber auf der anderen Seite, wie die New York Times mal schrieb, es ist vielleicht das polyrhythmischste Werk des 20. Jahrhunderts... Und Theodorakis hat gesagt: 'Ich bin einfach der Musik, der Lyrik Nerudas gefolgt.' Beide waren ja utopische Kommunisten. Und für beide stand die Freiheit des Einzelnen an erster Stelle. Und das kam in einen Riesenkonflikt zur Staatsform in der DDR oder in den anderen sozialistischen Ländern. Aber ich glaube, dass diese Lyrik und diese Musik das inkarniert haben.
Theodorakis war ein schwer traumatisierter Mensch. Er wurde mehrfach inhaftiert und immer wieder gefoltert oder erlebte Scheinhinrichtungen. Die Musik setzte er dagegen, sie half ihm beim Überleben. Astéris Kútulas bezeichnet seinen Freund als "griechischen Mozart". Er habe zu jeder Zeit an jedem Ort komponiert, wann immer eine Inspiration auf ihn zukam: im Flugzeug, im Bus, vor einem Konzert, nach einem Konzert oder in einem Hotelzimmer.
Eine musikalische Abrechnung
1983 komponierte er seine „Sadduzäer-Passion“, die sich auf ein Gedicht von Michaelis Katsaros bezog, das 1952 entstanden war. Komponist und Dichter lebten damals gemeinsam in einer Kellerwohnung in Athen.
Dieses Gedicht kann als Abrechnung mit den kommunistischen Sadduzäern gelten, das sich gegen eine diktatorische, dogmatische Gesellschaft, wie sie in den sozialistischen Ländern existierte, ausspricht. Er stellt fest, dass diese Gesellschaften das kommunistische Ideal zerstörten. Theodorakis beschloss 30 Jahre später, die Passion zu vertonen.
Er hat mir mal gesagt: 'Die Sadduzäer-Passion ist das Zeugnis unserer allergrößten Wunde, der Wunde der Linken. Und durch diese Sadduzäer-Passion erkläre ich mich frei von jedem Ismus und bekenne mich, dass dieses kommunistische Ideal nicht umzusetzen ist.'
Zum 100. Geburtstag erklingen zwei historische Konzertaufnahmen aus den Jahren 1980 und 1983.
Aufzeichnung vom 14.02.1980 im Palast der Republik Berlin
Mikis Theodorakis
„Canto General“ - Oratorium für Mezzosopran, Bariton, Chor und Instrumentalensemble auf Gedichte von Pablo Neruda (Ausschnitte)
Maria Farantouri, Mezzosopran
Heiner Vogt, Bariton
Rundfunkchor Berlin
Mitglieder der Berliner Rundfunkorchester und des Günter-Fischer-Sextetts
Leitung: Mikis Theodorakis
Aufzeichnung vom 23.02.1983 im Metropol-Theater Berlin
Mikis Theodorakis
„Sadduzäer-Passion“ für Tenor, Bariton, Bass, Sprecher, Gemischten Chor und Orchester auf Gedichte von Michaelis Katsaros (Deutsche Nachdichtung Doris Mandel) (Ausschnitte)
Joachim Vogt, Tenor
Jürgen Freier, Bariton
Hermann Christian Polster, Bass
Friedrich Wilhelm Junge, Sprecher
Rundfunkchor Berlin
Berliner Sinfonie-Orchester
Leitung: Hans-Peter Frank