Zukunft der Museen

Analoge Kunst in der digitalen Welt

15:27 Minuten
Detailaufnahme von einer Hand an einem Ölgemälde: Restauratoren arbeiten an Rembrandts "Nachtwache".
Detailaufnahme von einer Hand an einem Ölgemälde: Restauratoren arbeiten an Rembrandts "Nachtwache". © picture alliance / dpa / ANP / Freek van den Bergh
13.07.2019
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Eigentlich müsste Rembrandts Nachtwache für eine Restaurierung aus dem Museum verschwinden, stattdessen darf die Welt zusehen - vor Ort und auch im Netz. Aber wirkt sich ein guter Online-Auftritt überhaupt positiv auf die Besucherzahlen aus?
Was wäre, wenn die Achterbahnen im Freizeitpark ein Jahr nicht mehr fahren dürften? Ungefähr so geht es jetzt dem Rijksmuseum in Amsterdam. Viele Besucher kommen, um Rembrandts Nachtwache von Nahem zu erleben, aber jetzt muss der knapp 380 Jahre alte Besuchermagnet restauriert werden. Normalerweise stünden Kunstliebhaber deshalb lange Zeit vor einer grauen Fläche. Um das zu vermeiden, hat sich Museumsdirektor Taco Dibbits entschieden, die Restaurierung vor laufendem Publikum umzusetzen und den Prozess auch im Internet zu dokumentieren.
Jetzt muss sich zeigen: Wird sich die Arbeit, die das Rijksmuseum in die Online-Begleitung der "Operation Nachtwache" investiert, in höheren Besucherzahlen niederschlagen? Macht sich ein Museum vielleicht sogar überflüssig, wenn man seine Exponate auch im Internet sehen kann? Und was genau unterscheidet ein erfolgreiches Online-Museum von eher langweiligen Webauftritten? Darüber sprechen wir mit Tobias Nettke, Professor für Museumskunde an der HTW Berlin.

Das Netz hilft neue Zielguppen anzusprechen

Für ihn ist klar: Es geht darum Aufmerksamkeit zu wecken und Interessierte ins Museum zu bekommen. Dabei müsse jedoch beachtet werden, dass über Social Media nur ein Teil des potenziellen Publikums erreicht werde. Es genüge also nicht, nur online präsent zu sein, auch klassische Wege wie Plakate müssten weiter bespielt werden.

Allgemein besuche nur ein Bruchteil der Bevölkerung überhaupt Museen: "Das sind überwiegend Bildungsbürger, die ein entsprechendes Vorwissen mitbringen." Die große Herausforderung für die Museen sei, ein breiteres Publikum anzusprechen. Darum sei es sinnvoll, auf möglichst vielen Kanälen präsent zu sein, aber auch Angebote in verschiedenen Sprachen zu haben.

Dabei sei es auch wichtig, dass nicht einfach Offline-Strategien einfach ins Netz übertragen werden. "Man muss sagen, dass Angebote, die nach diesem Google-Street-View-Prinzip funktionieren, nicht so angenommen wurden, wie man sich das erhofft hatte.", meint Nettke. Offensichtlich hatten nur wenig Leute interesse daran, sich virtuell durch Ausstellungen zu bewegen. Statt das bisherige Erlebnis eins zu eins zu kopieren, sollten Museen in seinen Augen die Erfahrungen so gestalten, dass sie den Vorteilen de gerecht werden.

Das Internet wird Museen nicht verdrängen

Eine Variante wäre, Online-Angebote ganz auf den Geschmack des individuellen Gasts zuzuschneiden. Ein Fan von Renaissance-Werken muss im Internet schließlich nicht erst durch die Kubismus-Ausstellung laufen, bevor er Botticellis "Geburt der Venus" bewundern kann. Außerdem hat man Online viel mehr Platz für Hintergrundinformationen.
Es sei auch nicht so, dass digitale Museums-Angebote eine Konkurrenz für ihre physischen Ausstellungen darstellen. Im Internet könne man zwar mehr über Kunst lernen, aber es geht eben auch um das Gefühl: "Am Original zu stehen, an einem authentischen Ort, wo es ausgestellt ist, das zu erleben und mit anderen auch zu teilen, das ist für viele Menschen noch sehr, sehr wichtig", so Nettke

Die Expertise ist da, nur die Umsetzung nicht

Nettke sieht trotzdem viel Potenzial in Online-Auftritten. Momentan finde man Informationen über Kunstwerke vor allem über die Wikipedia und ähnliche Angebote. Dabei sind gerade Museen prädestiniert, diese Rolle der vertrauenswürdigen Wissensbereitstellung zu übernehmen, schließlich arbeiten dort Experten, die sich Tag für Tag mit diesem Thema befassen.
Seit langem schon arbeiten Museen an der Digitalisierung von Millionen von Objekten und stellen diese dann bereit. Doch dies allein sei noch nicht genug. "Um einen wirklichen Zugang zu schaffen, müssen wir uns auch überlegen, welche Informationen wir wie über diese Objekte aufbereiten und wie dann diese Fülle der Objekte aufgefunden werden kann. Und das ist noch ein jahrelanger oder jahrzehntelanger Prozess, in dem wir uns befinden."
Dafür würde er auch Kooperationen mit Unternehmen wie Google nicht ausschließen. Die museologische Aufarbeitung der digitalisierten Werke sollte für Nettke aber ausschließlich durch die Museen selbst geschehen, schließlich läge dort die Expertise.

Augmented Reality ist für Museen eine große Chance

Doch auch in den Museen selbst sieht der Experte viel Digitalisierungspotenzial. Schließlich laufe inzwischen jeder mit einem Smartphone durch die Ausstellung. Eine große Herausforderung, denn einerseits lenkten die Telefone oft von den Kunstwerken ab, doch gleichzeitig böten sie die Chance, viele Informationen von Wandtafeln in Geräte auszulagern. So erfreuten sich Multimediaguides immer größerer Beliebtheit. Nettke würde sich darüber freuen, wenn es in Zukunft möglich wäre, diese Guides so zu gestalten, dass ein Gerät von einer Besuchergruppe gemeinsam genutzt werden könne – schließlich besucht man selten alleine ein Museum.
Auch im Feld Augmented Reality sieht er eine große Chance für die Zukunft. "Augmented-Reality-Lösungen sind genau dafür gemacht, dass sie mir zeigen: So sah der Gegenstand in der Benutzung vor 200 Jahren aus. Oder so sah einmal das Gemälde in einem anderen Kontext aus, als es noch in einem anderen Gebäude ausgestellt wurde. Und ich glaube, dass die derartigen Angebote noch mehr und verstärkt in den Museen verfügbar werden."
Für Nettke ist die Digitalisierung also eine große Chance. Die Angst, dass physische Museen durch Online-Angebote verdrängt werden könnten, teilt er nicht.
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