Zukunft der Arbeit

Digitaler? Flexibler? Besser bezahlt?

08:28 Minuten
Ein Mann sitzt in Berlin auf einer Fensterbank in der Sonne und arbeitet an seinem Laptop.
Sieht so auch Homeoffice in der Zukunft aus? Nicht wenigen würde das gefallen. © picture alliance / Kay Nietfeld / dpa
Philipp Staab im Gespräch mit Dieter Kassel · 30.04.2020
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Wird künftig für viele Homeoffice die Regel werden? Und werden systemrelevante Berufe endlich besser bezahlt? Der Soziologe Philipp Staab erwartet politische Konflikte - und erklärt, wie sich die Coronakrise auf die Arbeitswelt auswirken könnte.
Dieter Kassel: In einer zugegebenermaßen nicht ganz repräsentativen Umfrage des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation haben nach Beginn der Corona-Krise nur 19 Prozent der Befragten angegeben, dass ihnen die Arbeit im Homeoffice nicht gefällt und sie so schnell wie möglich wieder an ihre eigentlichen Arbeitsplätze zurückkehren wollen. Alle anderen waren mehr oder weniger zufrieden. Das wiederum macht wahrscheinlich den Bundesarbeitsminister zufrieden, denn der will ja am liebsten ein Recht auf das Arbeiten von zu Hause gesetzlich verankern.
Wird also in diesem Punkt und vielleicht auch noch an anderen die Corona-Krise unsere Arbeitswelt nachhaltig verändern? Wir fragen das Philipp Staab. Er ist Professor für Soziologie an der Berliner Humboldt-Universität und Autor des im vergangenen Herbst erschienenen Buches "Digitaler Kapitalismus". Glauben Sie, dass das tatsächlich eine Folge der Corona-Krise sein wird, dass auch in Zukunft viel mehr Menschen als vorher im Homeoffice arbeiten?

"Erschöpfungserfahrungen" im Homeoffice

Staab: Das könnte tatsächlich passieren. Es gibt auf beiden Seiten gewisse Lerneffekte. Bei den Arbeitgebern hat man verstanden, dass sich bestimmte Prozesse effizient, manchmal sogar effizienter gestalten lassen in dieser Art und Weise. Bei den Beschäftigten, zumindest am Anfang in den ersten Umfragen, hat man gesehen, dass die Zufriedenheit mit diesem Arrangement ziemlich hoch ist.
Man muss allerdings auch vorsichtig sein, weil so eine Zufriedenheit sich natürlich schnell erschöpfen kann. Sie können, glaube ich, mit guten Gründen etwa die Diskussion um die Wiedereröffnung der Kitas auch vor dem Hintergrund von Erschöpfungserfahrung deuten. Eltern, die im Homeoffice zunächst mal ganz froh waren, haben nach ein paar Wochen gemerkt, dass die Parallelbeschulung und Betreuung von Kindern dann "in the long run" Erschöpfungsgefahren birgt.
Philipp Staab hat eine Professur für die Soziologie der Zukunft der Arbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Autor des Buches "Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit" (2019)
Philipp Staab hat eine Professur für die Soziologie der Zukunft der Arbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin.© ECDF_PR_Felix Noak
Kassel: Für die Arbeitgeber hat es aber natürlich auch Vorteile. Ich stelle mir gerade eine Bürofläche vor, die jetzt vielleicht noch 600 Quadratmeter umfasst. Da könnte man neue Mietverträge abschließen, auf 150 Quadratmeter gehen in Zukunft.
Staab: So ist es und es gibt ja auch Unternehmen am Markt, die schon länger genau auf diese Art von Modell setzen, flexibler mit dieser Art von Fixkosten für Büroraum umzugehen. Es gibt noch einen anderen Faktor, und das ist, dass andere Umfragen ebenfalls zeigen, dass die Leute im Homeoffice von der Stundenzahl her eher mehr arbeiten als in der "Normalkonstellation". Auch das ist natürlich eher etwas, was als Arbeitgeber positiv gesehen wird.

Im Homeoffice arbeiten viele mehr als im Büro

Kassel: Es gibt ja andererseits auch Arbeitgeber, die extrem misstrauisch sind und genau das Gegenteil unterstellen, nämlich dass man um 9 Uhr den Computer anmacht, sich anmeldet und dann erst mal drei Stunden frühstücken geht. Gibt es Erkenntnisse darüber, warum das so ist, dass die Leute in Wirklichkeit häufig mehr arbeiten zu Hause?
Staab: Sie sparen sich natürlich erst mal die Anfahrt zur Arbeit, und wenn Sie ungefähr in demselben Arbeitsrhythmus geblieben sind wie vorher, dann sitzen Sie, wenn sie einen Weg zur Arbeit von einer Stunde haben, vielleicht einfach eine Stunde früher am Rechner. So kommt das dann wahrscheinlich zunächst mal zustande. Auch da ist nicht klar, ob sich das verstetigen wird.
Aber Sie wollen ja über die Zukunft der Arbeit sprechen, und da gehört dann natürlich auch dazu, dass Kontrollinstrumente verhindern werden, dass die Leute um 9 Uhr den Computer anschalten und dann erst mal drei Stunden frühstücken gehen. Das scheint zumindest Rückenwind bekommen zu haben, weil es natürlich auch ein legitimes Interesse der Arbeitgeber an der Kontrolle der Arbeitszeit ihrer Beschäftigten gibt. Das kann man, wie man sagt, remote aus der Ferne ins Homeoffice durchsetzen.
Kassel: Lassen Sie uns den Bereich Homeoffice verlassen. Was fällt Ihnen noch zur Zukunft der Arbeit ein?
Staab: Wenn es um die Installation neuer Technologien geht, dann geht im Moment sehr vieles sehr schnell, was in vielen Unternehmen jahrelang sehr, sehr langsam ging. Ich denke da etwa an Firmen, die zum Beispiel Veranstaltungen anbieten, im Bildungsbereich, da hatten Sie Situationen, wo zwar jahrelang digitale Formate diskutiert, aber nie umgesetzt wurden. Und dann ging das auf einmal nach drei Jahren Diskussion innerhalb von einer Woche, und alle waren dann darauf umgestellt und auch darin adäquat geschult.

Umgang mit systemrelevanten Berufen

Kassel: Nun haben viele in den letzten Wochen festgestellt, jetzt würden wir doch endlich sehen, welche Berufe wirklich systemrelevant sind. Wir wissen alle, was da gemeint ist: von der Drogeriemarktverkäuferin bis zur Schwester im Krankenhaus oder zur Pflegerin. Glauben Sie, dass das eine langfristige Wirkung haben wird?
Staab: Das ist eine sehr wichtige Frage, weil wir uns natürlich mit der Logik dieser Krise auch neue Konflikte in der Arbeitsgesellschaft eingehandelt haben. Einer ist der, wie man mit diesen jetzt neuerdings als systemrelevanten, klassischerweise aber eher in der Soziologie als Dienstleistungsproletariat beschriebenen Berufsgruppen umgehen wird, wenn diese Krise einmal vorbei ist.
Es ist ja klar, dass man Versprechen und Hoffnung zumindest auf Lohnsteigerungen nicht so einfach mit einer Logik der Haushaltskonsolidierung unter einen Hut kriegen wird. Da wird es ordentlich knirschen, und das eben auch politisch, weil der Staat in gewisser Weise auch eine Verantwortung mit der Erklärung der Systemrelevanz übernommen hat, an der er in Zukunft auch gemessen werden wird.

Sparkurs trotz Wirtschaftswachstum

Kassel: Aber wird es wirklich knirschen? Man wird ja jetzt monatelang sagen, wir geben Milliarden - insgesamt wird die Billionengrenze überschritten - aus, um den Branchen und den Menschen zu helfen, die jetzt keine Arbeit mehr haben. Dann wird man doch auch sagen, aber all die, die nun total viel Arbeit hatten aufgrund der Krise, den müssen wir gerade nicht helfen.
Staab: Wir erleben ja im Moment eine Situation, die noch mal vergrößert und skaliert der ähnelt, die wir nach der Weltfinanzkrise von 2008/2009 hatten. Die Situation, die Sie damals hatten, war eben auch, dass man über eine Neusortierung und neue Gerechtigkeitsformate zwar gesprochen hat, danach aber relativ klar – und das trotz Wirtschaftswachstum in Deutschland, das ja vollkommen unverhofft kam – weiter auf Sparkurs geblieben ist, gerade was diese Berufe angeht.
Und die Stimmen, die genau dieses Programm wieder durchziehen wollen, die sind ja längst da – es wird ein politischer Konflikt sein. Ob es so wird, wie Sie es beschrieben haben, nämlich dass man diesen neuen Ansprüchen auch wird gerecht werden können. Und dann die Frage, wie man das tut, über höhere Steuern für wen und auf was? Oder ob man eine Austeritätspolitik, wie wir sie nach 2008/2009 für Südeuropa durchgesetzt haben, jetzt auch für Deutschland durchsetzen wird - das würde natürlich dann massive Konflikte erzeugen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Das Gespräch ist Teil unserer Reihe: Wirtschaft nach der Coronakrise.

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