Zufälliger Erfolg

Rezensiert von Markus Reiter · 02.09.2012
Erfolgreiche Investmentbanker haben nicht etwa die besten Analysen aufgestellt, nach denen sie Aktien kauften - sie haben einfach Glück gehabt. Zu diesem Schluss kommt der israelisch-amerikanische Nobelpreisträger für Wirtschaft, Daniel Kahneman.
Nähme man das neue Buch des israelisch-amerikanischen Nobelpreisträgers für Wirtschaft ernst - morgen schon stünden acht von zehn Angestellten der Investmentfirmen an der Wall Street, der Londoner und der Frankfurter City auf der Straße. Ihre Jobs sind schlichtweg überflüssig.

Außerdem müssten die Gehälter aller Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzenden von Konzernen auf einen Bruchteil zusammengestrichen werden. Ihr Einfluss auf den Erfolg ihrer Unternehmen ist nämlich marginal. Und unzählige Wirtschaftswissenschaftler an den Universitäten in aller Welt müssten ihren Job hinschmeißen. Diese Ökonomen bauen ihre Theorien auf einem falschen Fundament.

Vermutlich werden diese Konsequenzen nicht eintreten. Das Mindeste aber, was man sich wünschen kann, ist: Alle diese Betroffenen sollten Daniel Kahnemans Buch "Schnelles Denken, langsames Denken" sehr sorgfältig lesen. Die Lektüre könnte sie vor gefährlichen Denkfehlern bewahren. Wobei der Autor gegenüber dieser Hoffnung eher skeptisch ist.

Ihm würde es schon genügen, wenn einige allzu selbstbewusste Akteure in Wirtschaft und Politik durch die Konfrontation mit den Fakten ihre Selbstüberschätzung ablegten. Da wir alle von den Verführungen der Intuition betroffen sind, die er so überzeugend aufzeigt, täte jedem von uns ein gerüttelt Maß an Demut gut.

Der emeritierte Princeton-Professor gilt als einer der wichtigsten Psychologen unserer Zeit. Berühmt geworden ist er durch Experimente, die er zusammen mit seinem verstorbenen israelischen Kollegen Amos Tversky durchgeführt hat. Dabei wiesen die beiden Wissenschaftler zum Beispiel nach, dass Menschen einen Verlust als schmerzlicher empfinden, als sie sich über einen Gewinn freuen.

Kahneman kommt in seinem Buch darauf zu sprechen. Schon allein dieser Befund erklärt, warum gekürzte Sozialleistungen in der Eurokrise von den Menschen fast körperlich als schmerzhaft empfunden werden.

Der Verlag bezeichnet sein Buch als "Großereignis". Das ist nur mäßig übertrieben. Der Autor schafft es, auf sehr anschauliche und leicht lesbare Weise deutlich zu machen, wie wir alle in unserem ökonomischen Alltag Täuschungen unterliegen. Wissenschaftler sprechen von "kognitiven Verzerrungen", wenn wir ganz fest von etwas überzeugt sind, das empirisch betrachtet nicht der Wirklichkeit entspricht.

So ergeht es zum Beispiel auch den Investmentbankern. Dazu ein aktuelles Beispiel aus Deutschland: Die Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" hat vor einigen Wochen die besten Analysten für deutsche Aktien ausgezeichnet. Das Lob des Blattes mutet deshalb seltsam an, weil die Redaktion zugeben musste: Die meisten sogenannten Fachleute hatten es nicht geschafft, treffsichere Kauf- und Verkaufsempfehlungen abzugeben. Trotzdem vergab das Blatt seine Preise.

Folgt man Daniel Kahneman, hätte sie kein einziger der Ausgezeichneten verdient. Er hatte in einem ähnlichen Fall in den USA den Korrelationskoeffizienten zwischen den jährlichen Rangplätzen der erfolgreichsten Investmentfonds ermittelt. Hinge der Erfolg eines Fonds vom Geschick und den intellektuellen Fähigkeiten seiner Analysten ab, so müsste die Korrelation sehr hoch sein. Gute Analysten müssten jedes Jahr aufs Neue gute Ergebnisse liefern. Der Korrelationskoeffizient belief sich aber auf nahezu null. Mit anderen Worten: Der Erfolg eines Investmentfonds hing vollständig vom Zufall ab.

Die guten Analysten hatten einfach Glück. Dieses wenig schmeichelhafte Ergebnis seiner Untersuchung präsentierte er den Führungskräften einer wichtigen Wall Street Firma bei einem Abendessen. Die Herren nickten verständnisvoll und forderten ihn auf, bei einem Mitarbeiterseminar diese Befunde vorzustellen. Mit trockenem Humor erzählt er, wie die Sache ausging:

"Nach Abschluss des Seminars fuhr mich einer der Manager, mit dem ich am Vorabend gespeist hatte, zum Flughafen. Er sagte mir, mit einer Spur von Gereiztheit: 'Ich habe sehr viel für diese Firma geleistet, und das kann mir niemand nehmen.' Ich lächelte und sagte nichts. Aber ich dachte: 'Nun, ich habe es dir heute Morgen genommen. Wenn dein Erfolg sich größtenteils dem Zufall verdankt, wie viel Anerkennung hast du dann dafür verdient?'"

Natürlich vermag Kahneman zu erklären, warum der Manager die desillusionierende Botschaft nicht wahrhaben wollte. Schließlich arbeiten Analysten sehr hart. Sie studieren Geschäftsberichte, beschäftigen sich mit Unternehmensstrategien und stecken viel Mühe in die Aufgabe, Charts mit Geschäftszahlen auszuwerten. Da fällt es natürlich schwer anzuerkennen, dass die ganze Arbeit für die Katz ist, und man die Aktien und Anleihen, in die man investiert hat, besser aus einer Lostrommel gezogen hätte.

Er macht die kognitive Verzerrung an vielen weiteren Beispielen deutlich, die von der Politik bis zum Alltagsleben reichen. Grundsätzlich geht er dabei von zwei Systemen aus, die Urteile von Menschen bestimmen:

"System 1 arbeitet automatisch und schnell, weitgehend mühelos und ohne willentliche Steuerung. System 2 lenkt die Aufmerksamkeit auf die anstrengenden mentalen Aktivitäten, darunter komplexe Berechnungen. Die Operationen von System 2 gehen oftmals mit dem subjektiven Erleben von Handlungsmacht, Entscheidungsfreiheit und Konzentration einher."

Sehr oft, so wird in diesem spannenden Buch klar, glauben wir zwar, mit System zwei zu urteilen - dem langsamen Denken -, und wiegen uns in der Illusion rationaler Abwägung. In Wirklichkeit aber ist System eins am Werk, das man als Intuition beschreiben könnte. Es verhilft uns zu einem raschen Urteil und lässt uns zugleich glauben, intensiv nachgedacht zu haben.

Daniel Kahneman behandelt die aktuelle Finanzkrise nur sehr am Rande. Dennoch hat er eines der wichtigsten Bücher der letzten Jahre geschrieben, um deren tiefmenschlichen Ursachen zu verstehen.

Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken
Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt
Siedler Verlag, München 2012


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