Zsuzsa Bánk bereist ihr Zimmer

Der Sommer wartet

03:47 Minuten
Die Schriftstellerin Zsuzsa Bánk sitzt vor einer Regalwand im Café Mathildes Kitchen in Frankfurt am Main. Sie trägt einen schwarzen Pullover und greift mit ihrer linken Hand in ihr schwarzes Haar.
Die Schriftstellerin Zsuzsa Bánk in ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main. © imago / epd-bild/ Heike Lyding
Von Zsuzsa Bánk · 24.03.2020
Audio herunterladen
Große Abenteuer in den eigenen vier Wänden? In der Tradition des französischen Schriftstellers Xavier de Maistre begibt sich Zsuzsa Bánk auf eine "Reise um ihr Zimmer". Dabei trifft sie freundliche Giraffenköpfe und Mädchen, die im Spagat springen.
Ein eigenes Zimmer habe ich nicht. Das ist ein unerfüllbarer Wunsch, wenn man mit einer vierköpfigen Familie in Frankfurt lebt und nicht zu den Superreichen gehört. Also arbeite ich an unserem Esstisch in dem einen großen Raum, zwischen offener Küche und Wohnzimmer, den ich fürs Schreiben nutze, sobald alle ausgeflogen sind.
Trockner, Wasch- und Spülmaschine sind meine Gefährten, mindestens ein Gerät läuft immer, aber in all den Jahren habe ich mich fast an diesen Dauerton gewöhnt und ihn von meinen Gedanken, von den Kompositionen meiner inneren Stimme irgendwie fernhalten können. Vieles scheint geschunden und abgenutzt in diesem Zimmer, die blätternde Erb-Kommode, der dunkle Teppich auf dem Parkett, das Büfett mit zu vielen Gläsern, die gegen die Tür kippen und nicht zueinander passen. Unsere Bücherwand, die hinter mir steht wie eine Bastion, die ich also nie sehen muss beim Schreiben, weil das doch unerträglich wäre.

Blick auf Lilien und einen Walnussbaum

Mein Blick fällt durch ein großes Fenster in den Garten, auf pinkfarbene Lilien in einer Vase, die jetzt draußen stehen müssen, weil wir ihren Geruch nicht länger ertragen konnten. Auf einen gigantischen Walnussbaum, majestätisch, wenn auch alt und gebeugt, auf eine Magnolie, die jetzt blüht und schon Frühling spielt, auf die gestutzte Hecke meiner emsigen Gartenscheren-Nachbarn und auf meine vom Winter verdreckte Terrasse, die auf neue Pflanzen für die leeren Töpfe, überhaupt auf Sommer wartet.

Gerade müssen wir viel Zeit zu Hause verbringen. Dass das nicht langweilig ist, sondern auch ein großes Abenteuer sein kann, hat vor mehr als zweihundert Jahren, 1794, der französische Schriftsteller Xavier de Maistre bewiesen. Wegen eines Arrests, zu dem er nach einem Duell verurteilt worden ist, musste er 42 Tage zuhause verbringen – und hat sich deshalb zu einer "Reise um mein Zimmer" aufgemacht, auf der er das Vertraute als das Fremde, das Gewohnte als das Überraschende entdeckt hat. Wir haben Schriftsteller gebeten, für uns auch solche Expeditionen durch ihr Zimmer zu unternehmen. Den Auftakt machte Lutz Seiler. Heute bereist Zsuzsa Bánk Ihre Frankfurter Wohnung. Ihr neuer Roman "Sterben im Sommer" erscheint im August im S. Fischer Verlag.

Es gibt eine Vielzahl von Bildern an unseren Wänden. Darunter das erste Kunstwerk, das ich gekauft habe, in einer kleinen Galerie in Broome, Australien: Aborigines-Kunst aus Punkten, Strichen und Kreisen, sandfarben, erdfarben, wüstenfarben. Sechs Frauen sollen um ein Billabong, ein Wasserloch sitzen. Ein Schwarzweißfoto von Barbara Klemm, Mauerfall 1989. Eine Menge Menschen auf der Mauer, auf der anderen Seite DDR-Grenzsoldaten. Eine junge Frau im Vordergrund, die ihre Hände ausstreckt, ein Grenzer, der hochschaut und sie anlächelt. Wenn ich mit den Kindern darüber rede, was an diesem Tag geschehen ist, muss ich jedes Mal aufpassen nicht zu weinen.

Orte, die wir nie vergessen wollen

Ja, viele Bilder in diesem Zimmer, selbst der Kühlschrank ist übersäht mit Familienfotos, mit Magneten aus den Museen der Welt, von Orten, die wir nie vergessen wollen, ein schwebender Giotto-Engel aus Assisi, eine Schildkröte aus dem Bodenmosaik der Basilika in Aquileia, der Alberto Giacometti-Raum im Louisiana Museum, dieser schmale, nahezu verschwindende Körper vor der Fensterfront.
Dazwischen Zeichnungen meiner Kinder, ein freundlicher Giraffenkopf, Zweige mit bunten Lampions, Rose Ausländers Zirkuskind, von meiner Tochter aufgeschrieben und illustriert, ein Mädchen mit langem Haar, im springenden Spagat, mit wehendem Rock und einem Ball zwischen den Händen. "Ich geh auf dem Seil über die Arena der Erde."
Mehr zum Thema