Daniel-Pascal Zorn: „Die Krise des Absoluten“

Warum die Postmoderne besser ist als ihr Ruf

07:10 Minuten
Das Cover des Buches von Daniel-Pascal Zorn. "Die Krise des Absoluten", zeigt den Namen des Autors und den Titel auf blau-weißem Hintergrund.
© Klett-Cotta

Daniel-Pascal Zorn

Die Krise des Absoluten. Was die Postmoderne hätte sein könnenKlett-Cotta, Stuttgart 2022

648 Seiten

38,00 Euro

Von Jens Balzer · 04.04.2022
Audio herunterladen
Der Philosoph Daniel-Pascal Zorn erzählt in seinem Buch "Die Krise des Absoluten" die Geschichte des postmodernen Denkens. In überzeugender Weise erklärt er, was die Gegenwart daraus lernen kann.
Die Postmoderne hat einen schlechten Leumund derzeit. Sie geistert durch gegenwärtige Debatten vor allem als Synonym für eine Geisteshaltung, die vernünftiges Argumentieren angeblich ebenso ablehnt wie den Gedanken einer objektiv erkennbaren Welt. Mit der Postmoderne, so heißt es, sei Philosophie zum selbstbezüglichen Geschwurbel verkommen, das nur dazu diene, immer neuen Minderheiten den Raum für immer absurdere identitätspolitische Forderungen zu geben – um den Preis der Zerstörung der liberalen Debattenkultur.

Zerrbild der Postmoderne

Das ist ein Zerrbild, das mit den echten philosophischen Ansätzen der Postmoderne nichts zu tun hat: So lautet die These, die Daniel-Pascal Zorn in seinem Buch „Die Krise des Absoluten“ vertritt.
Darin widmet er sich in origineller und gründlicher Weise den Denkwegen und Thesen von Michel Foucault, Jacques Derrida, Gilles Deleuze und Jean-François Lyotard – also jenen vier französischen Philosophen, die gemeinhin als Begründer der Postmoderne gelten, auch wenn von ihnen lediglich Lyotard diesen Begriff überhaupt jemals gebrauchte. Alle vier verfolgen jedenfalls dieselbe Absicht, so Zorn: Sie suchen nach einer Weise des Denkens, die der Vielheit der Welt gerecht wird, ohne diese auf ein einheitliches, alles bestimmendes Prinzip, eine unhinterfragbare Wahrheit oder einen allmächtigen Schöpfer zurückzuführen.

Nicht neu, sondern modern

In dieser Hinsicht, so zeigt Zorn, ist die postmoderne Weise des Denkens gar nicht neu. Sie führt lediglich fort, womit sich die Philosophie seit dem Beginn der Moderne beschäftigt hat – also seit dem Beginn der „Krise des Absoluten“, die Zorns Buch seinen Titel verleiht.
Das Absolute: das kann die göttliche Offenbarung sein, die der Theologie als Fundament aller Erkenntnis dient; oder auch die absolute Autorität des Monarchen, die einem Staatsgefüge seine Ordnung garantiert. Mit der Säkularisierung und der Französischen Revolution verliert das Absolute seine Bindungskraft – doch die Leerstelle, die es im Denken lässt, ist nicht leicht zu füllen. Viele Philosophen suchen auch später und heute noch nach den „letzten Prinzipien“ unter der Oberfläche der Welt, sei es die Verwirklichung des Weltgeists (bei Hegel) oder der unaufhaltsame Fortschritt der kommunikativen Vernunft (bei Jürgen Habermas).

Keine Gegner des Liberalismus

Demgegenüber zeigt sich die Postmoderne als konsequenter Versuch, das Denken von allen Dogmen, Autoritäten und Letztbegründungen zu befreien – indem sie unentwegt danach fragt, woher die Begriffe und Argumentationsmuster stammen, die die Philosophie gerade verwendet, und ob diese gegenüber der Vielheit der Welt nicht unbewusst und vorsätzlich vereinfachend sind.
Das gilt, wie Zorn überzeugend zeigt, für Derridas „Dekonstruktion“ ebenso wie für Deleuzes „Philosophie der Immanenz“ oder Foucaults „Archäologie des Wissens“. Sie alle sind gerade keine Gegner des Liberalismus, wie heute gerne behauptet wird, sondern im Gegenteil Vertreter eines radikalen Freiheitsgedankens. Und ihre Ansätze fügen sich in eine lange Geistesgeschichte ein, zu der nicht nur Kant und Nietzsche gehören, sondern etwa auch die analytische Philosophie von Ludwig Wittgenstein und, für viele sicher der überraschendste Befund, die Kybernetik, aus der sich später die Computerwissenschaften entwickeln.

Eingebettet in die Geistesgeschichte

So verknüpft Zorn seine Darstellung der Postmoderne mit einer Vielzahl von Bezügen auf die Geistesgeschichte der vergangenen 200 Jahre. Das ist oft erhellend und originell, manchmal etwas zu detailverliebt und verzettelt, ein strafferes Lektorat hätte dem Buch gutgetan. Auch bricht seine Darstellung Ende der 1980er-Jahre ab – also gerade, als sich die postmoderne Philosophie in Fächer wie die Postcolonial Studies und Gender Studies verzweigt und die Akademie selber erstmals beginnt, die philosophische Feier der Vielheit auch auf ihre eigenen Institutionen anzuwenden.
Bei Zorn sind es noch ausschließlich große Männer, die sich im Geistesgespräch miteinander befinden. Wie er deren Denkwege rekonstruiert und mit ihren Biografien verbindet, ohne dabei anekdotisch zu werden, und wie er dabei auch schwierige Texte für ein philosophisch nicht vorgebildetes Publikum nachvollziehbar macht: Das ist allerdings eine großartige Leistung, und man wünschte sich, dass die Debatte über die Postmoderne künftig nicht mehr unter das Niveau dieses Buchs fiele.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema