Zivilklausel

Universitäten scheuen Militärforschung

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) stellt Weißbuch 2016 vor
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) stellt Weißbuch 2016 vor © picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Von Nils Zurawski · 19.02.2015
Das Verteidigungsministerium lässt derzeit ein neues "Weißbuch" schreiben, um die künftigen Aufgaben der Bundeswehr zu formulieren. Wissenschaftler für solche Aufgaben sind schwer zu finden, weil sich viele Universitäten verpflichten, nur für zivile Zwecke zu forschen. Ein großes Problem, findet der Sozialforscher Nils Zurawski.
Was darf, was soll Wissenschaft erforschen? Eigentlich alles. Und deutsche Universitäten sind auch durchaus so aufgestellt und ausgestattet, dass sie sich jeden Themas annehmen können.
Aber soll Wissenschaft nicht vor allem dem Menschen nutzen, seinen Wohlstand mehren und den Frieden bewahren?
Die Medizin heilt, die Physik hilft uns zu verstehen, was die Welt zusammenhält, so auch die Chemie und die Biologie. Die Geschichte lehrt, woher wir kommen. Und wie wir es in Zukunft besser machen können, sagen uns die Sozialwissenschaften.
Um zu lernen, dass das Fremde so fremd gar nicht ist und die Vernunft nicht immer vernünftig, dazu haben wir die Kultur- und Geisteswissenschaften. Und die Ingenieure haben passende Lösungen parat, damit uns das Leben im Diesseits nicht zu mühevoll wird.
Eigene Themen zu setzen, ist nicht vorgesehen
Es scheint selbstverständlich zu sein, die Forschung zum Guten des Menschen einzusetzen. Warum gibt es dann landauf, landab Diskussionen an den Universitäten über so genannte Zivilklauseln? Klauseln, die eine wissenschaftliche Selbstbeschränkung festschreiben und Forschung zu militärischen Zwecken ausschließen.
Forschungsaufträge bringen dringend benötigte Drittmittel an die Hochschulen. Und diese sind heute wichtiger denn je, auch um die Karrieren des akademischen Nachwuchses zu fördern. Die Eigenmittel reichen für anspruchsvolle Forschung und die Ausbildung des Nachwuchses nur noch selten aus.
Während leicht zu erkennen ist, dass die Entwicklung von Waffensystemen unter eine solche Zivilklausel fällt, ist dies bei Arbeiten an Sicherheitsprojekten nicht ganz so einfach. Häufig werden dabei dual-use-Produkte entwickelt, die auch militärisch verwendet werden könnten, aber eben nicht müssen, wie Software, Drohnen oder Überwachungstechnik.
Hauptsächlich ausgelobt wird diese Art von Forschung von der Europäischen Union oder vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die Politik bzw. die Ministerialbehörden definieren die wissenschaftliche Aufgabe, legen die Forschungsagenda fest und stellen die finanziellen Mittel bereit.
Das stellt die Forscher vor ein Dilemma. Wer sich mit Sicherheitstechnologie beschäftigt, ist auf diese Gelder angewiesen. Andererseits bleibt ihm dann auch keine andere Wahl, als den Vorgaben der Auftraggeber zu folgen. Eigene Themen zu setzen, gar den Umgang mit Sicherheit und Risiken kritisch zu durchleuchten, ist nicht vorgesehen.
Zivilklauseln werden zur Makulatur
Das führt dazu, eigene Vorhaben zu vernachlässigen oder sie vor allem unter den Gesichtspunkten des Sponsors zu betrachten, in diesem Fall also unter Sicherheitsaspekten. Ja, manche Disziplinen wie Sozial- und Kulturwissenschaften beteiligen sich an externen Programmen nicht nur, weil sie thematisch interessiert wären, sondern auch weil Geldnot sie drängt.
Eine emanzipierte Wissenschaft gerät so in Bedrängnis, Zivilklauseln werden zur Makulatur. Es werden neue Abhängigkeiten geschaffen, öffentliche Forschung ist nicht mehr frei, sondern zweckgebunden. Aber auch eine Zivilklausel, Selbstbeschränkung namens der Universität, greift in die Freiheit einzelner Forscherteams ein.
Gibt es also einen Ausweg aus dieser Zwickmühle? Einerseits müssten mehr Forschungsgelder auch für kritische und grundständige Forschung, auch mehr Mittel für Projekte von Jungwissenschaftlern bereitgestellt werden.
Anderseits sollten Zivilklauseln anregen, wirklich zu tun, wozu sie beschlossen wurden: anstatt ein Dilemma nur zu beklagen, sollten sie die notwendige Diskussion über die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft anregen, nicht nur, aber besonders verantwortungsbewusst auf sensiblen Fachgebieten: innere wie äußere Sicherheit, privater wie nationaler Schutz vor Übergriffen waren und sind reich an Fragen für den Forscher.
Nils Zurawski ,geboren 1968, arbeitet als Wissenschaftler am Institut für kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg. Er beschäftigt sich seit 15 Jahren mit Fragen von Überwachung und Sicherheit. 2013 habilitierte er sich mit einer Arbeit zu Raumwahrnehmung, Überwachung und Weltbildern. Er bloggt unter www.surveillance-studies.org
Der Sozialforscher Nils Zurawski
Der Sozialforscher Nils Zurawski© Saskia Blatakes
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