Zero-Covid in Australien

Lockdown und kein Ende

23:15 Minuten
Eine wenige Surfer am Bondi Beach in Sydney, Australien, im Vordergrund ist Absperrband zu sehen, aufgenommen im April 2020
Abgesperrter Strand: Australien versucht, jegliche Corona-Fälle zu verhindern. © imago images/Xinhua / Bai Xuefei
Von Jennifer Lange · 21.07.2021
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Australien verfolgt die Strategie, keinerlei Covid-Fälle zuzulassen. Schon bei kleinsten Ausbrüchen wird ein Lockdown angeordnet. Die Grenzen sind dicht, das soll bis Ende 2022 auch so bleiben. Langsam verlieren aber immer mehr Australier die Geduld.
Jörn und Kati Krebs sind Deutsche, leben aber seit vielen Jahren in Australien. Normalerweise waren sie innerhalb von 24 Stunden zurück in Deutschland - wenn es sein musste. Doch Australien hat seine Grenze direkt zu Beginn der Pandemie dicht gemacht – und will sie vor Mitte 2022 nicht wieder öffnen.
"Die geschlossenen Grenzen betreffen uns als Familie schon sehr stark." Das erzählen die beiden am Telefon. Sie ist Krankenschwester, lebt seit 17 Jahren in Australien. Er arbeitet im IT-Bereich und ist wegen seiner Frau nach Australien gezogen. "Zwei unserer Kinder sind in Australien geboren. Eins in Deutschland. Das Versprechen war immer, dass wir regelmäßig die Familie besuchen können. Und ich kann dieses Versprechen meinem Mann gegenüber nun nicht einhalten."

Strikte Grenzschließung als Vorsichtsmaßnahme

Kati Krebs und ihr Mann können die alten Eltern in Göttingen nicht besuchen. Sie kommen nicht raus aus Australien. Und ihre Familien aus Deutschland kommen nicht rein. Die beiden machen sich Sorgen. "Zu wissen, dass man nicht reisen kann, selbst wenn man gerne möchte oder wenn jemand zum Beispiel in Deutschland erkrankt ist. Das ist kein schönes Gefühl."

Mit der strikten Grenzschließung will Australien die Corona-Pandemie draußen halten. Die Regierung verfolgt – anders als etwa Europa - eine No-Covid-Strategie. Will also Null-Infektionen im Land.
Mark Stears, Professor an der Universität von Sydney, betont wie wichtig die Zero-Covid-Strategie für die Australier ist. "Jeden Tag, an dem es einen Fall gibt, und sei es nur ein einziger, sind die Leute sehr besorgt und jeden Tag, an dem es keine Fälle gibt, feiern die Leute das in den sozialen Medien."
Leere Straße in Sydney, im Hintergrund ist die Sydney Harbour Bridge zu sehen
Leere Straßen in Sydney: Immer wieder werden harte Lockdowns verhängt.© picture alliance / AA / Steven Saphore
Bei jedem kleinen Ausbruch verhängt die Regierung daher sofort kurze, aber harte Lockdowns bis die Zahlen wieder bei Null sind. Dann steht das Leben still, aber eben nur für drei Tage oder mal eine Woche. Kati und Jörn Krebs stehen hinter dieser Politik.
"Die Situation hat sich immer sehr schnell beruhigt. Wir hatten wirklich das Gefühl, die Regierung hat das unter Kontrolle." Jörn Krebs vertraut der Strategie und auch Kati Krebs ist grundsätzlich damit einverstanden. "Ich bin durchaus froh und weiß zu schätzen, dass wir ein sehr normales Leben führen können mit unseren Kindern und uns hier sehr sicher fühlen können. Dass die Kinder in der Schule sind, dass wir arbeiten können und so weiter." Aber ewig kann es so nicht weitergehen, meint die Wahl-Australierin.
"Ich finde es unheimlich wichtig, dass die Regierung jetzt endlich konkrete Pläne vorstellt. Wir können nicht den Kopf ewig in den Sand stecken und die Grenzen nicht mehr aufmachen. Das halte ich für sehr unrealistisch. Das wird zu großer Unzufriedenheit führen."

Die Zielmarke ist die Null

Aber die australische Regierung hält an geschlossenen Grenzen fest. Umfragen zeigen, dass 75 bis 80 Prozent der Australier diese Entscheidung befürworten. Aus gutem Grund: Australien ist mit dieser Strategie bisher gut durch die Krise gekommen. Es gab verhältnismäßig wenig Tote - rund 900.
Doch obwohl das Land weitgehend abgeriegelt ist, tauchen vereinzelt Corona-Fälle auf. Wie vor kurzem in Sydney. Ein Limousinen-Fahrer, der eine Flugzeugbesatzung in ein Quarantäne-Hotel gefahren hat, hat das Virus in der Stadt verteilt. Der Lockdown in Sydney folgte sofort und wurde inzwischen auf fünf Wochen verlängert, da die Zahl der Neuinfektionen weiter steigt. Viele hatten sich nicht an die anfangs noch milden Einschränkungen gehalten. Darum wurde der Lockdown nun verschärft. Unter anderem müssen nicht notwendige Geschäfte schließen. Alle Baustellen ihre Arbeit einstellen.
Gladys Berejiklian, Premierministerin von New South Wales, aufgenommen am 21. Juli 2021 bei einer Pressekonferenz zum Thema Covid-19
Hält an der Null-Covid-Strategie fest: Gladys Berejiklian, Premierministerin von New South Wales.© imago images/AAP / Mick Tsikas
"Wir müssen die Zahlen wieder nahe Null bringen, damit der Lockdown enden kann," erklärt Gladys Berejiklian, die Premierministerin des betroffenen Bundesstaates New South Wales. "Dies ist vielleicht die größte Herausforderung für uns seit Beginn der Pandemie."

ARD-Fernsehkorrespondentin Sandra Ratzow mit Sitz in Singapur hat es geschafft, eine Einreisegenehmigung nach Australien zu bekommen. Sie erzählt im zweiten Teil dieser "Weltzeit" über zahlreiche Tests, Quarantäne und die aktuelle Situation im Land.

Ryan Kahn aus Sydney kann nachvollziehen, dass seine Stadt wieder im Lockdown ist. Er sitzt Zuhause im Wohnzimmer, mit seiner Frau und den zwei Töchtern. Der Ausbruch der Delta-Variante besorgt die Familie, erzählt er am Telefon. "Ich bin frustriert, dass New South Wales nicht schon früher dicht gemacht hat. Denn diese Variante ist viel ansteckender als die anderen."
Sein Vater John sieht das ganz anders. Für ihn sind die ständigen Lockdowns keine langfristige Lösung. "Ich bin frustriert über die Covid-Situation in Australien. Wir können das Virus nicht ausrotten. Das ist dummes Zeug. Wir müssen lernen, mit Covid-19 zu leben."

"Man kann sich nicht auf Dauer abschotten"

Wie also raus aus der Krise? Für Kati Krebs aus Deutschland steht fest: "Die Zero-Covid Strategie lässt sich ja nicht für immer so weiterverfolgen. Es sei denn, wir wollen uns für immer von der Welt abschotten. Und das kann ich mir nicht wirklich vorstellen."
Diese Einschätzung teilt auch der Wissenschaftler Tim Soutphommasane von der Universität von Sydney.
"Australien muss anfangen, über die nächste Phase der Pandemie nachzudenken, es kann nicht auf unbestimmte Zeit geschlossen bleiben, ohne dass es erhebliche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Kosten zur folge hat. Die Herausforderung für Australien ist jetzt, darüber nachzudenken, wie es sicher wieder öffnen kann."
Er, Mark Stears und weitere Kollegen von der Universität von Sydney haben der Regierung daher Vorschläge gemacht, etwa zu vereinfachten Quarantäne-Regeln. Derzeit warten noch mehr als 30.000 Australier und Menschen mit einer permanenten Aufenthaltsgenehmigung darauf, in ihre Heimat zurückzukehren. Wer mit einer Sondergenehmigung einreisen darf, muss für zwei Wochen in eine strenge Hotel-Quarantäne. Wenn es zu Fällen kommt, stammen sie von dort. Etwa, weil sich Personal bei den Einreisenden ansteckt – wie im Fall des Limousinen-Fahrers in Sydney. Das Virus hat sich aber auch schon über die Klimaanlage im Hotel verteilt oder Putzkräfte haben es mit nach draußen getragen.
"Einige unserer Vorschläge werden bereits in politischen Kreisen diskutiert, aber wir sind da noch in einer sehr frühen Phase, ehrlich gesagt. Die Regierung sagt, dass man vor 2022 an nichts dergleichen denken sollte." Das erklärt Professor Mark Stears.

Quarantänezentren als Zwischenlösung

Doch einige Planungen laufen bereits, zum Beispiel der Bau von großen Quarantäne-Zentren. Im Bundesstaat Queensland, dort wo Kati und Jörn Krebs wohnen, soll ein solches Quarantäne-Zentrum entstehen. Steven Miles, der stellvertretende Premierminister des Bundesstaates erklärte kürzlich: "Wir haben vorgeschlagen, dass es 1000 Zimmer haben soll, für maximal 1450 Menschen. In einer ersten Phase könnten zwei Flugzeuge hier landen und gestrandete Australier zurückbringen."
Jörn und Kati Krebs setzen viel Hoffnung in diese Quarantäne-Zentren und damit auch auf ein Wiedersehen mit der Familie aus Deutschland. "Ich denke, das Land sollte diese Möglichkeiten schaffen, so dass mehr Menschen wieder reisen können. Eventuell sollte das Ganze mit Impfpässen und Impfreisepässen verbunden sein. Das könnten ganz gute Strategien sein, damit sich das Land wieder öffnen kann."
Solche Zentren sind in allen Bundesstaaten geplant, in unmittelbarer Nähe der internationalen Flughäfen. Die Mehrheit der australischen Bevölkerung ist laut Umfragen dafür, solange die Öffnungen nur für Geimpfte gelten.
Auch geimpfte Studenten sollten endlich wieder ins Land kommen können, findet Professor Tim Soutphommasane von der Universität von Sydney. Denn ausländische Studenten bringen viel Geld ins Land.
"Australiens Bildungsindustrie ist ein riesiges Geschäft. Die Schäden sind immens, wenn internationale Studenten weiter nicht einreisen können. Auf lange Sicht sind das Milliarden." Tausende Studenten würden derzeit online – aus ihren Heimatländern – an den Kursen teilnehmen. Doch neue Studenten werde das abschrecken.

Man traut dem Impfstoff Astrazeneca nicht

Grenzen öffnen also, für Geimpfte? Es ist umstritten. Doch auch in Australien spielt das Impfen eine zentrale Rolle beim Weg aus der Pandemie. Jörn und Kati Krebs sind beide schon vollständig geimpft. Als Krankenschwester setzt sie sich besonders dafür ein und klärt Patienten auf.
"Da es mittlerweile über Facebook und andere Medien unheimlich viel falsche Informationen gibt. Die Menschen sind verunsichert bezüglich Astrazeneca, ob das nun sicher ist oder nicht, weil sich die Vorgaben permanent geändert haben: Wer darf das nun bekommen und wer nicht? Und viele Menschen sagen: ‚Warum soll ich mich impfen lassen? Wir haben doch gar kein Covid in Australien.‘"
Der Hausarzt Brad McKay beobachtet das täglich in seiner Praxis.
"Wir sind Opfer unseres eigenen Erfolgs. Covid hat sich nicht wirklich über das ganze Land verbreitet. Wir hatten ein paar Ausbrüche und konnten diese unter Kontrolle bringen. Ein großer Teil der Bevölkerung hat daher die Einstellung, dass wir einfach abwarten können, wie sich die Dinge entwickeln."
Kommt es zu lokalen Ausbrüchen, wie vor einigen Monaten in Melbourne, lassen sich plötzlich mehr Menschen impfen. Doch eine Herdenimmunität werde das Land vermutlich nicht erreichen, sagen Wissenschaftler. Erst gab es keinen Impfstoff und jetzt ist die Skepsis zu groß. Eine Umfrage des Melbourne Institut zeigt, dass sich jeder Dritte Australier nicht impfen lassen möchte oder zögert. Hauptgrund ist die Sorge vor Nebenwirkungen, etwa den Blutgerinnseln beim Astrazeneca-Impfstoff.
Eine Mitarbeiterin aus dem Gesundheitsbereich erhält eine Impfung gegen eine Covid-19-Erkrankung, aufgenommen in Darwin am 7. Juli 2021
Auch in Australien spielt das Impfen eine zentrale Rolle beim Weg aus der Pandemie.© imago images/AAP / Aaron Bunch
Auch die Patienten von Hausarzt Brad McKay wollen sich nur ungern mit Astrazeneca impfen lassen.
"Das Problem ist, wir haben unsere Hoffnungen ausschließlich auf Astrazeneca gesetzt, und haben es verpasst, früh genug MRNA-Impfstoffe einzukaufen, um wirklich für den Fall gerüstet zu sein, dass etwas bei Astrazeneca schief geht."

Impfpflicht könnte den Weg zurück in die Welt öffnen

Die Impfkampagne in Australien läuft daher schleppend. Bisher sind gerade mal 11 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft.
In Folge des Corona-Ausbruchs in Sydney hat die Regierung nun kürzlich eine Impfpflicht beschlossen für Altenpfleger und Mitarbeiterinnen in Quarantäne-Hotels. Sie müssen sich bis Mitte September mindestens einmal impfen lassen.
Für Australier sei so eine Impfpflicht kein Grund zur Aufregung, sagt der Universitätsprofessor und Politologe Marc Stears. "In Australien gibt es bereits eine ganze Reihe verpflichtender Impfungen. Australier sind daran gewöhnt, dass sie ohne Impfung nicht in bestimmten Berufen arbeiten können oder ihre Kinder nicht auf eine bestimmte Schule gehen dürfen."
An der Universität von Sydney fürchten sie, dass Australien seinen Vorsprung gegenüber dem Rest der Welt verspielen könnte, wenn das Land beim Impfen nicht schnell Fortschritte macht, so Tim Soutphommasane.
"Es besteht die reale Gefahr, dass andere Länder, die eine geimpfte Bevölkerung haben, ihre wirtschaftliche Tätigkeit wieder aufnehmen können und Australien zurückbleibt. Australien hat zwei Möglichkeiten. Es kann mutig sein und beginnen, seine Grenzen sicher wieder zu öffnen, oder es kann sich zurückziehen und zu einem Einsiedlerstaat werden. Wenn es sich dafür entscheidet, ein Einsiedlerstaat zu werden, wird das erhebliche wirtschaftliche und soziale Kosten haben."
Wirtschaftliche Sorgen treiben Managerin Anthea Hammon schon jetzt um. Sie bietet Klettertouren auf der Sydney Harbour Bridge an. Früher eine Attraktion, vor allem für Touristen aus dem Ausland. Seit die Grenze dicht ist, hat sie 75 Prozent weniger Besucher.
"Das Impfprogramm muss so schnell wie möglich in Gang kommen, damit die Grenzen wieder öffnen können. Das Tourismus- und Verkehrsforum hat berechnet, dass Australien jeden Monat so rund fünf Milliarden Euro verliert. Das ist eine riesige Summe. Und davon müssen wir uns langsam mal erholen."

"Es gibt kein Covid-freies Paradies"

Australien werde das Coronavirus nicht auf Dauer draußen halten können, schätzt Tim Soutphommasane von der Universität von Sydney.
"Australien als Covid-freies Paradies ist eine Illusion. Vielleicht ist es sogar eine Fantasie. Das Land hat sich bisher außergewöhnlich gut geschlagen. Aber irgendwann wird Australien sich wieder mit der Welt auseinandersetzen müssen. Zumindest, wenn es eine moderne, globalisierte Gesellschaft, eine moderne Handelsnation bleiben will."
Das Virus werde die Australier noch Jahre begleiten, so Soutphommasane. Sobald Australien seine Grenzen stärker öffne, würden unweigerlich Fälle ins Land kommen. Wenn Hausarzt Brad McKay an dieses Zukunftsszenario denkt, wird ihm mulmig.
"Ich denke, das wird ein Schock für Australien sein. Es wird das erste Mal sein, dass wir sehen werden, wie sich Covid in der Bevölkerung ausbreitet. Wir werden erleben, wie unsere Verwandten tatsächlich die Infektion bekommen. Hoffentlich funktionieren die Impfstoffe so gut, dass die Leute nicht ins Krankenhaus müssen. Ich denke, das wird viele Australier schockieren."
Doch Australien müsse sich der Realität stellen. Sonst werde das Land zur Einsiedlernation.
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