Zerfall einer Volkspartei
In den Umfragen dümpelt die SPD derzeit deutlich unterhalb der 30-Prozent-Marke vor sich hin. Warum sich immer mehr Wähler von der ältesten deutschen Partei abwenden und wie die Zukunft der SPD nach der nächsten Bundestagswahl aussehen könnte, damit befasst sich Daniel Friedrich Sturm in seinem Buch "Wohin geht die SPD?".
Opposition ist Mist, sagt Franz Müntefering, der sich gern als Kärrner und neuer Herbert Wehner stilisiert und dessen deftiges, nicht immer gesellschaftsfähiges Vokabular nachzuahmen pflegt. Aber hat die SPD überhaupt eine Chance, nach den Wahlen im Herbst erneut Regierungsverantwortung zu tragen?
Gebeutelt von Umfragen, die sie in den roten Turm der 20 plus gefangen hält, kann es für die Sozialdemokraten kaum ein Trost sein, wenn es nun auch in der Union rumort. Über mangelnde Führungskraft der Kanzlerin, vor allem aber über die Verwässerung des eigenen, vor allem wirtschaftpolitischen Profils in der Großen Koalition geraten sich die mächtigen CDU-Länderfürsten in die Haare, weil sie inzwischen erfahren müssen, worunter die SPD schon länger leidet: Mehr und mehr Wähler wenden sich von den Volksparteien ab und favorisieren die kleineren Konkurrenten mit dem eindeutigen Programmprofil. Klassische CDU-Wähler wandern ab zur FDP, klassische SPD-Wähler zu den Grünen oder zur Linkspartei. Was das für die Zeit nach den Wahlen im Herbst bedeuten kann, beschreibt Daniel Friedrich Sturm, Parlamentskorrespondent der "Welt", in seinem Bericht über die Entwicklung der Sozialdemokratie seit Beginn der Großen Koalition.
Lafontaines Abgang, der Aufstand der Parteilinken gegen Schröders Agenda 2010, der Wortbruch Andrea Ypsilantis, das Hin- und Her um den Parteiausschluss Wolfgang Clements, das Krisentreffen am Schwielowsee und die missratene Amtsführung von Kurt Beck – der alten Tante SPD ist Anfang des 21. Jahrhundert wenigstens eines nicht zu nehmen: dass sie die Partei der großen Dramen ist. Ein Willy Brandt hatte den Parteivorsitz rund 23 Jahre inne, in den 22 Jahren nach seinem Abgang zählte die Partei 9 Vorsitzende, allein in den 11 Jahren seit dem Antritt der rot-grünen Regierung Schröder wechselte der Vorsitz sechsmal. Das entspricht einer durchschnittlichen Amts- oder Halbwertzeit pro SPD-Vorsitzenden von 1,8 Jahren. Spannend vor allem der Kampf um die Agenda 2010, in dem Sozialstaatskonservative und Traditionalisten, die nichts ändern wollen, gegen Modernisierer und Reformer stehen – ein Riss quer durch die Partei, der bis heute nicht geheilt ist. Sturm lässt keinen Zweifel, dass er in dieser Auseinandersetzung in der Sache voll auf Seiten Gerhard Schröders steht:
"Die Zahl der Arbeitslosen sank deutlich, auf zuletzt nur noch drei Millionen. … Die SPD unter dem Parteivorsitzenden Beck setzte sich von dieser Politik Schröders ab ... Die SPD ließ sich von Lafontaine treiben. Sie ließ sich ein auf das Hase-und-Igel-Spiel, bei dem sie gegen den Populisten und 'terrible simlificateur' Lafontaine nicht gewinnen konnte."
Die Konfrontation zwischen den beiden Lagern in der SPD reicht bis in die Anfangszeit des Kanzlers Schröder zurück, der ja mit einem Finanzminister Lafontaine begann, welcher sein Parteivorsitzender war. Bei den Koalitionsgesprächen 1998, erinnert Joschka Fischer, saßen den Grünen zwei sozialdemokratische Parteien gegenüber – ging es um sozialpolitische und ökologische Fragen, hatte er es mit der Lafontaine-SPD tun und die Schröder-SPD schwieg beredt; ging es um Wirtschafts- und Modernisierungsfragen, verhandelt die Schröder-SPD und die Lafontaine-SPD schwieg meist sehr laut. Als Lafontaine dann ging, weil Schröder, der Genosse der Bosse, keine Politik gegen die Wirtschaft machen wollte, verloren die sozialkonservativen Linken zwar ihr Haupt, aber als Flügel in der Partei bleiben sie weiterhin stark.
Zwar hatte Schröder schon 1996 in einer Grundsatzrede erklärt, das jetzige Niveau des Sozialstaates lasse sich nicht mehr finanzieren, tiefe Einschnitte seien nötig. Aber als Kanzler beginnt er 1998 keineswegs als Reformer, sondern als Spaßkanzler, der die wahrlich bescheidenen Reformen, zu der sich die letzte Regierung Kohl hatte aufraffen können – etwa Norbert Blüms demographischen Faktor in der Rentenversicherung – erst einmal zurücknimmt. Auch wenn dabei noch der Einfluss Lafontaines spürbar sein mag, findet Schröder doch erst zu Beginn seiner zweiten Amtszeit den Mut zur Agenda 2010. Doch begeht er dabei einen entscheidenden Fehler: Er bindet die Partei nicht ein, sondern verkündet die Reformen als Regierungschef, der von der Fraktion Loyalität erwartet. Auf die Funktionäre der SPD, welche die Organisationen an der Basis leiten, blickt er mit Verachtung, hält sie für Sozialromantiker und Leute, die Angst vor modernen Technologien haben. Er ist überzeugt, dass die SPD nur in der Regierungsverantwortung, über Sachzwänge also zu erneuern ist. Er verkennt, dass die älteste Partei Deutschlands eine Diskurs-, Diskussions- und Programm-Partei ist, dass es, wie ihm dies sein Berater Hombach ursprünglich einmal nahe legte, für sein Reformkonzept eines sozialpolitischen Godesberg bedurft hätte. Die Verfasser des Godesberger Programms von 1959, mit dem die SPD von der Planwirtschaft Abschied nahm, sich aus einer sozialistischen Arbeiterpartei zur Volkspartei wandelte und zur gesellschaftlichen Mitte öffnete, hatten die Parteibasis in vielen Diskussionen von der Notwendigkeit des angestrebten Wandels überzeugen können. Nichts dergleichen versuchte Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010.
"Ein ... Grundfehler Schröders bestand darin, dass er sich nicht einmal mehr um Mehrheiten bemühte. Musste er nicht regelrecht für die Agenda – und um die Gunst von Partei, Parlament und Volk – werben? Schröder dachte gar nicht daran ... Er reichte der SPD nicht einmal symbolisch die Hand, er vermittelte ihr nicht einmal das Gefühl, dass es auf ihre Unterstützung ankäme. Das wiederum machte es Schröders Kritikern einfach. Sie sahen sich moralisch nicht in der Pflicht, die Pläne mitzutragen."
So kam es schließlich, weil der Kanzler der eigenen Mehrheit nicht mehr sicher sein konnte, zu Neuwahlen, bei denen es der SPD gelang, sich in eine Große Koalition zu retten. Sturms Darstellung ist voll geballter Fakten. Sie stützt sich nicht nur auf zahllose öffentlich zugängliche Quellen, sondern auch auf viele Gespräche, die er mit Mitgliedern des SPD-Parteivorstands, mit Ministern der Bundesregierung und mit Abgeordneten führte. Dabei bleibt Sturm stets fair: So sehr er die Fehler Schröders hervorhebt, seine Launenhaftigkeit, seinen Hang zum Sich-treiben-lassen, seine Rüpelhaftigkeit, sein Regieren nach dem Motto trial and error, ist er doch überzeugt, dieser Kanzler werde wegen seiner sozialpolitischen Reformen und seines Nein zum Irak-Krieg einst zu den bedeutenden, großen gezählt werden. Vom Vorsitzenden Beck schreibt er schlicht als Missgriff der SPD-Geschichte, der seinem Nachfolger einen Scherbenhaufen und eine gespaltene SPD hinterlässt.
Auf die Frage, wie es mit der alten Tante SPD unter Müntefering und Steinmeier nach den Wahlen im Herbst weitergehen wird, hält er drei Szenarien bereit, von denen freilich nur das erste sozialdemokratischen Optimismus rechtfertigen könnte. Er sieht die Chance einer Ampelkoalition mit FDP und Grünen unter Führung Steinmeiers, in der sich die SPD stabilisieren könnte – unter der Voraussetzung natürlich, dass Frau Merkel eine schwarz-gelbe Mehrheit ein zweites Mal verfehlt. Eine erfolgreicher Kanzler Steinmeier würde 2013 dann wiedergewählt. Sollte es dagegen der Kanzlerin gelingen, doch eine schwarz-gelbe Mehrheit zu erringen oder ein Jamaika-Bündnis zustande zu bringen, erwartet Sturm, dass eine auf die Bänke der Opposition verbannte SPD nach links abdriftet und schließlich den Vereinigungsparteitag mit der Linkspartei feiert – mit einer allerdings, die sich inzwischen deutlich von ihrer SED-Vergangenheit distanziert und sich nicht mehr NATO- und Europa-feindlich gibt. Lafontaine regiert in diesem Szenario längst wieder in Saarbrücken, gestützt auf eine rot-rote Koalition. Dass die SPD dem Sog nach links erliegt, befürchtet Sturm auch für den Fall einer Großen Koalition. Sie scheitert nach diesem Szenario binnen drei Jahren am Unmut der Basis, die ein Misstrauensvotum gegen Merkel und ein Bündnis mit den Grünen und Linken unter einem Kanzler Gabriel erzwingt. Dass der Wähler ein solches Bündnis nicht honoriert, hält er für gegeben und einen Wahlsieg Merkels für schwarz-gelb in den Wahlen von 2013 deshalb für sicher.
Schiere Spekulation, werden viele einwenden. Aber Sturm schildert Möglichkeiten, die im politischen Milieu Berlins längst durchgespielt werden. Zu fragen wäre natürlich, ob Steinmeier und Müntefering, beides Männer der Agenda 2010, heute wirklich repräsentativ für die Grundstimmung der Mehrheit ihrer Genossen stehen. Und ob es ihnen wirklich gelingen kann, die Linke zu zähmen. Dass es wenig Schnittstellen zwischen Andrea Nahles und Freidemokraten wie Westerwelle und Brüderle gibt, lässt nicht auf eine sozialliberale Harmonie hoffen, wie sie in den besten Zeiten von Brandts und Scheel zwischen beiden Parteien herrschte. Doch von einer Erneuerung der Partei in der Opposition hält Sturm offenbar wenig, im Grunde stimmt er damit Schröder zu, der sie nur in der Regierung für möglich hielt – 2009 als stärkste Kraft in einer Ampelkoalition. Anders denkt auch der sauerländische Katholik mit den protestantischen Tugenden, der Mann dem roten Schal nicht, wenn er sein ceterum censeo sagt: Opposition ist Mist.
Daniel Friedrich Sturm: Wohin geht die SPD?
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009
Gebeutelt von Umfragen, die sie in den roten Turm der 20 plus gefangen hält, kann es für die Sozialdemokraten kaum ein Trost sein, wenn es nun auch in der Union rumort. Über mangelnde Führungskraft der Kanzlerin, vor allem aber über die Verwässerung des eigenen, vor allem wirtschaftpolitischen Profils in der Großen Koalition geraten sich die mächtigen CDU-Länderfürsten in die Haare, weil sie inzwischen erfahren müssen, worunter die SPD schon länger leidet: Mehr und mehr Wähler wenden sich von den Volksparteien ab und favorisieren die kleineren Konkurrenten mit dem eindeutigen Programmprofil. Klassische CDU-Wähler wandern ab zur FDP, klassische SPD-Wähler zu den Grünen oder zur Linkspartei. Was das für die Zeit nach den Wahlen im Herbst bedeuten kann, beschreibt Daniel Friedrich Sturm, Parlamentskorrespondent der "Welt", in seinem Bericht über die Entwicklung der Sozialdemokratie seit Beginn der Großen Koalition.
Lafontaines Abgang, der Aufstand der Parteilinken gegen Schröders Agenda 2010, der Wortbruch Andrea Ypsilantis, das Hin- und Her um den Parteiausschluss Wolfgang Clements, das Krisentreffen am Schwielowsee und die missratene Amtsführung von Kurt Beck – der alten Tante SPD ist Anfang des 21. Jahrhundert wenigstens eines nicht zu nehmen: dass sie die Partei der großen Dramen ist. Ein Willy Brandt hatte den Parteivorsitz rund 23 Jahre inne, in den 22 Jahren nach seinem Abgang zählte die Partei 9 Vorsitzende, allein in den 11 Jahren seit dem Antritt der rot-grünen Regierung Schröder wechselte der Vorsitz sechsmal. Das entspricht einer durchschnittlichen Amts- oder Halbwertzeit pro SPD-Vorsitzenden von 1,8 Jahren. Spannend vor allem der Kampf um die Agenda 2010, in dem Sozialstaatskonservative und Traditionalisten, die nichts ändern wollen, gegen Modernisierer und Reformer stehen – ein Riss quer durch die Partei, der bis heute nicht geheilt ist. Sturm lässt keinen Zweifel, dass er in dieser Auseinandersetzung in der Sache voll auf Seiten Gerhard Schröders steht:
"Die Zahl der Arbeitslosen sank deutlich, auf zuletzt nur noch drei Millionen. … Die SPD unter dem Parteivorsitzenden Beck setzte sich von dieser Politik Schröders ab ... Die SPD ließ sich von Lafontaine treiben. Sie ließ sich ein auf das Hase-und-Igel-Spiel, bei dem sie gegen den Populisten und 'terrible simlificateur' Lafontaine nicht gewinnen konnte."
Die Konfrontation zwischen den beiden Lagern in der SPD reicht bis in die Anfangszeit des Kanzlers Schröder zurück, der ja mit einem Finanzminister Lafontaine begann, welcher sein Parteivorsitzender war. Bei den Koalitionsgesprächen 1998, erinnert Joschka Fischer, saßen den Grünen zwei sozialdemokratische Parteien gegenüber – ging es um sozialpolitische und ökologische Fragen, hatte er es mit der Lafontaine-SPD tun und die Schröder-SPD schwieg beredt; ging es um Wirtschafts- und Modernisierungsfragen, verhandelt die Schröder-SPD und die Lafontaine-SPD schwieg meist sehr laut. Als Lafontaine dann ging, weil Schröder, der Genosse der Bosse, keine Politik gegen die Wirtschaft machen wollte, verloren die sozialkonservativen Linken zwar ihr Haupt, aber als Flügel in der Partei bleiben sie weiterhin stark.
Zwar hatte Schröder schon 1996 in einer Grundsatzrede erklärt, das jetzige Niveau des Sozialstaates lasse sich nicht mehr finanzieren, tiefe Einschnitte seien nötig. Aber als Kanzler beginnt er 1998 keineswegs als Reformer, sondern als Spaßkanzler, der die wahrlich bescheidenen Reformen, zu der sich die letzte Regierung Kohl hatte aufraffen können – etwa Norbert Blüms demographischen Faktor in der Rentenversicherung – erst einmal zurücknimmt. Auch wenn dabei noch der Einfluss Lafontaines spürbar sein mag, findet Schröder doch erst zu Beginn seiner zweiten Amtszeit den Mut zur Agenda 2010. Doch begeht er dabei einen entscheidenden Fehler: Er bindet die Partei nicht ein, sondern verkündet die Reformen als Regierungschef, der von der Fraktion Loyalität erwartet. Auf die Funktionäre der SPD, welche die Organisationen an der Basis leiten, blickt er mit Verachtung, hält sie für Sozialromantiker und Leute, die Angst vor modernen Technologien haben. Er ist überzeugt, dass die SPD nur in der Regierungsverantwortung, über Sachzwänge also zu erneuern ist. Er verkennt, dass die älteste Partei Deutschlands eine Diskurs-, Diskussions- und Programm-Partei ist, dass es, wie ihm dies sein Berater Hombach ursprünglich einmal nahe legte, für sein Reformkonzept eines sozialpolitischen Godesberg bedurft hätte. Die Verfasser des Godesberger Programms von 1959, mit dem die SPD von der Planwirtschaft Abschied nahm, sich aus einer sozialistischen Arbeiterpartei zur Volkspartei wandelte und zur gesellschaftlichen Mitte öffnete, hatten die Parteibasis in vielen Diskussionen von der Notwendigkeit des angestrebten Wandels überzeugen können. Nichts dergleichen versuchte Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010.
"Ein ... Grundfehler Schröders bestand darin, dass er sich nicht einmal mehr um Mehrheiten bemühte. Musste er nicht regelrecht für die Agenda – und um die Gunst von Partei, Parlament und Volk – werben? Schröder dachte gar nicht daran ... Er reichte der SPD nicht einmal symbolisch die Hand, er vermittelte ihr nicht einmal das Gefühl, dass es auf ihre Unterstützung ankäme. Das wiederum machte es Schröders Kritikern einfach. Sie sahen sich moralisch nicht in der Pflicht, die Pläne mitzutragen."
So kam es schließlich, weil der Kanzler der eigenen Mehrheit nicht mehr sicher sein konnte, zu Neuwahlen, bei denen es der SPD gelang, sich in eine Große Koalition zu retten. Sturms Darstellung ist voll geballter Fakten. Sie stützt sich nicht nur auf zahllose öffentlich zugängliche Quellen, sondern auch auf viele Gespräche, die er mit Mitgliedern des SPD-Parteivorstands, mit Ministern der Bundesregierung und mit Abgeordneten führte. Dabei bleibt Sturm stets fair: So sehr er die Fehler Schröders hervorhebt, seine Launenhaftigkeit, seinen Hang zum Sich-treiben-lassen, seine Rüpelhaftigkeit, sein Regieren nach dem Motto trial and error, ist er doch überzeugt, dieser Kanzler werde wegen seiner sozialpolitischen Reformen und seines Nein zum Irak-Krieg einst zu den bedeutenden, großen gezählt werden. Vom Vorsitzenden Beck schreibt er schlicht als Missgriff der SPD-Geschichte, der seinem Nachfolger einen Scherbenhaufen und eine gespaltene SPD hinterlässt.
Auf die Frage, wie es mit der alten Tante SPD unter Müntefering und Steinmeier nach den Wahlen im Herbst weitergehen wird, hält er drei Szenarien bereit, von denen freilich nur das erste sozialdemokratischen Optimismus rechtfertigen könnte. Er sieht die Chance einer Ampelkoalition mit FDP und Grünen unter Führung Steinmeiers, in der sich die SPD stabilisieren könnte – unter der Voraussetzung natürlich, dass Frau Merkel eine schwarz-gelbe Mehrheit ein zweites Mal verfehlt. Eine erfolgreicher Kanzler Steinmeier würde 2013 dann wiedergewählt. Sollte es dagegen der Kanzlerin gelingen, doch eine schwarz-gelbe Mehrheit zu erringen oder ein Jamaika-Bündnis zustande zu bringen, erwartet Sturm, dass eine auf die Bänke der Opposition verbannte SPD nach links abdriftet und schließlich den Vereinigungsparteitag mit der Linkspartei feiert – mit einer allerdings, die sich inzwischen deutlich von ihrer SED-Vergangenheit distanziert und sich nicht mehr NATO- und Europa-feindlich gibt. Lafontaine regiert in diesem Szenario längst wieder in Saarbrücken, gestützt auf eine rot-rote Koalition. Dass die SPD dem Sog nach links erliegt, befürchtet Sturm auch für den Fall einer Großen Koalition. Sie scheitert nach diesem Szenario binnen drei Jahren am Unmut der Basis, die ein Misstrauensvotum gegen Merkel und ein Bündnis mit den Grünen und Linken unter einem Kanzler Gabriel erzwingt. Dass der Wähler ein solches Bündnis nicht honoriert, hält er für gegeben und einen Wahlsieg Merkels für schwarz-gelb in den Wahlen von 2013 deshalb für sicher.
Schiere Spekulation, werden viele einwenden. Aber Sturm schildert Möglichkeiten, die im politischen Milieu Berlins längst durchgespielt werden. Zu fragen wäre natürlich, ob Steinmeier und Müntefering, beides Männer der Agenda 2010, heute wirklich repräsentativ für die Grundstimmung der Mehrheit ihrer Genossen stehen. Und ob es ihnen wirklich gelingen kann, die Linke zu zähmen. Dass es wenig Schnittstellen zwischen Andrea Nahles und Freidemokraten wie Westerwelle und Brüderle gibt, lässt nicht auf eine sozialliberale Harmonie hoffen, wie sie in den besten Zeiten von Brandts und Scheel zwischen beiden Parteien herrschte. Doch von einer Erneuerung der Partei in der Opposition hält Sturm offenbar wenig, im Grunde stimmt er damit Schröder zu, der sie nur in der Regierung für möglich hielt – 2009 als stärkste Kraft in einer Ampelkoalition. Anders denkt auch der sauerländische Katholik mit den protestantischen Tugenden, der Mann dem roten Schal nicht, wenn er sein ceterum censeo sagt: Opposition ist Mist.
Daniel Friedrich Sturm: Wohin geht die SPD?
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009

Daniel Friedrich Sturm: Wohin geht die SPD?© Deutscher Taschenbuch Verlag