Zensur

Benutzt, verdrängt, missbraucht

Studenten halten Poträts von Mao Zedong während einer Erinnerungsfeier zum 120. Geburtstag von Mao Zedong.
Studenten halten Porträts von Mao Zedong während einer Erinnerungsfeier zu dessen 120. Geburtstag © dpa picture alliance/ Chinafotopress
Von Ruth Kirchner · 14.07.2014
Während in China an die Verbrechen der japanischen Besatzer immer wieder und mit großem Aufwand erinnert wird, will sich die Kommunistische Partei ihrer eigenen Geschichte nicht stellen. Auch die Verbrechen der Mao-Zeit sind ein Tabu.
Es war eine aufwendige Zeremonie, mit der China Anfang Juli des Beginns des chinesisch-japanischen Krieges vor 77 Jahren gedachte. Das Fernsehen war live dabei als Staats- und Parteichef Xi Jinping ans Mikrophon trat:
"Das chinesische Volk, das große Opfer gebracht hat, wird die Geschichte bewahren, die mit unserem Blut geschrieben wurde. Das chinesische Volk und alle Völker der Erde werden jedem resolut entgegentreten, der diese Invasion verleugnet, verdreht oder zu beschönigen versucht."
Dass Japan bei der Besetzung von Teilen Chinas schwere Verbrechen begangen hat, wird heute von keinem Historiker mehr bestritten. Doch bei der Zeremonie wurde man den Eindruck nicht los, dass es nicht nur um das Gedenken ging. Vor dem Hintergrund des Streits mit Japan um eine Gruppe unbewohnter Inseln im ostchinesischen Meer, benutze China die Geschichte, um den Nationalismus anzuheizen und von innenpolitischen Problemen abzulenken, sagt der Historiker Zhang Lifan:
"Während die Kommunistische Partei andere dafür verurteilt, sich ihrer Geschichte nicht zu stellen oder historische Tatsachen zu verdrehen, tut sie genau dasselbe. Je nach den politischen Bedürfnissen werden die Fakten zusammengestellt oder weggelassen – alles um der Partei zu dienen. Mit ehrlicher Geschichtsschreibung hat das nichts."
Keine Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Mao-Zeit
So werden etwa die Verbrechen der Mao-Zeit bis heute nicht offen diskutiert, geschweige denn aufgearbeitet. Zum Beispiel der "Große Sprung nach Vorn", diese völlig fehlgeleitete Industrialisierungskampagne der späten 50er Jahre, die zu einer Hungersnot mit über 30 Millionen Toten führte. Wer diesen historischen Wahrheiten nachspürt, geht Risiken ein, wie der ehemalige Journalist Yang Jisheng, Autor eines Buches über den "Großen Sprung". Nur mit einem Trick konnte er sich Zugang zu Archiven verschaffen. Bis heute darf sein Buch in China nicht erscheinen:
"Ich konnte natürlich nicht sagen, dass ich über den Hunger recherchiere. Ich sagte, ich würde die politische Entwicklung in den Dörfern untersuchen, die Geschichte der Getreideproduktion für die Nachrichtenagentur Xinhua. Eine Hungersnot konnte ich nicht erwähnen. Hunger – das durfte es nicht geben."
Oder die Kulturrevolution der 60er und 70er Jahre als Maos Rote Garden Angst und Terror im Land verbreiteten. Auch diese Zeit ist bis heute weitgehend tabu. Junge Chinesen haben daher oft nur ein lückenhaftes Verständnis der Geschichte. Liberale Intellektuelle warnen vor einem gefährlichen Geschichtsvakuum, das zu Verharmlosung und zum Vergessen führt. Doch die Partei - gerade unter der derzeitigen Führung - fürchte um die ideologische Rechtfertigung ihres Machtmonopols, sagt der Autor Murong Xuecun:
"Wenn jeder offen über die Fehler der KP reden könnte, inklusive des großen Sprungs und der Kulturrevolution, würde das die Legitimität der Partei untergraben. Das Portrait von Mao hängt noch am Platz des Himmlischen Friedens. Warum, wenn er solche Verbrechen verübt hat? Xi Jinping will, dass wir die ersten 30 Jahre [unter Mao - d.R.] und die letzten 30 Jahre [der Reform und Öffnung - d.R.] als etwas Ganzes sehen, das großartig, glorreich und richtig war und daher nie in Frage gestellt werden darf."
Eines von Murongs Essays über den Großen Sprung wurde im Internet von der Zensur gelöscht. Seit der Veröffentlichung im Ausland eines weiteren Essays über den 4. Juni 1989 wurde der Schriftsteller von der Polizei einbestellt und verhört.
Chinas Partei-Geschichte bleibt ein gefährliches Thema. Doch mit der Geschichte der japanischen Besetzung wird weiter Politik gemacht. Bei der Gedenkzeremonie in Peking traten Schulkinder mit den roten Halstüchern der jungen Pioniere auf.
"Erinnert an die Geschichte, brüllten sie im Chor. Ehret den Frieden . Vergesst niemals die nationale Demütigung. Verwirklicht den chinesischen Traum."
Unter Xi Jinping feiert diese Art der Erinnerungspolitik fröhliche Urständ und werden Nationalismus und anti-japanische Ressentiments ständig geschürt. Die Archive der Kommunistischen Partei bleiben derweil verschlossen.
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