Zeitgenössisches, drapiert um einen historischen Kern

Von Wilhelm Warning |
Mit einem "Nein" könnte man beginnen. Mit einem "La". Denn dieses "La" ist von Bedeutung im Arabischen und taucht in der Ausstellung auf. Nein also. Nein, keine Exotik. Nein, kein Bilderverbot. Gibt es nicht mehr in der Kunst. Nein, auch keine "Islamische Kunst". Denn die ist, wie der Islam selbst, kein Monolith, sondern je nach Kultur unterschiedlich.
Zu sehen ist vielmehr Zeitgenössisches, um einen Kern mit historischen Exponaten gleichsam herumgruppiert. Diese Kunst zeigt sich sinnlich, spröde, religiös oder politisch. Es gibt starke Stücke und schwache, belanglose Arbeiten. Von Frauen, Männern, in Foto, Film, Video, Buch, Textil, Malerei, Installation, Skulptur oder Schmuck. Dieser historische Kern, ausgewählte 30 der vielen kostbaren, einst als "muhammedanische Kunst" bezeichneten Werke, ist bewusst zurückhaltend in Szene gesetzt. Man habe, sagt Kurator Leon Krempel, einen Gegenentwurf angestrebt.

"Unsere Absicht war, die Stücke neu zu inszenieren. Wir haben uns dabei der Hilfe eines jungen Architekten aus Kairo bedient, Samir El Kordi. Er hat die Objekte in sogenannten Domänen platziert, das sind textile Architekturen, die etwas an Zelte erinnern und erlauben, die Objekte aus immer wieder neuen Richtungen zu betrachten und zwar sowohl für sich selbst als auch in der Zusammenstellung mit Wegbereitern der arabischen Moderne. Dazu gehört zum Beispiel Rachid Kouraishi, ein algerischer Künstler, der 99 textile Banner geschaffen hat, die über der Ausstellung schweben."

Tatsächlich hat das eine eigenartige Leichtigkeit in den schweren Räumen des Hauses. Dazu die staunenswerten historischen Objekte aus dem Iran, dem osmanischen Imperium, den arabischen Reichen - und, neben vielen anderen Werken, die 99 Banner mit den 99 Namen Gottes. Ein Hinweis auf die islamische Mystik. Aber La, nein, es geht nicht nur um Religion. Doch ist die Schrift Grundlage vieler Werke -weil das Buch, der Koran als Offenbarung Gottes gilt.

"La. Es gibt keinen Gott außer Gott. Sogar der Koran kennt das La. Im Arabischen ist dieses Nein in seiner Vielfalt in allen Bereichen ganz gegenwärtig. Es gibt den Spruch: Tausendmal Nein. Er bedeutet: Ein endgültiges Nein. Und so ist dieser Vorhang entstanden: 1000 verschiedene Schreibweisen für das Nein. Von den ältesten bis zu den jüngsten. Es sind wunderbare Beispiele verschiedener Schriftweisen aus den unterschiedlichen arabischen Kulturen. La. Eigentlich sind es zwei Buchstaben, die aber zu einem verschmolzen sind."

So erklärt die libanesische Kuratorin Hudi Smitzhuizen AbiFares den deckenhohen Vorhang der Künstlerin Bahia Shehab aus durchsichtigen, schmalen Tafeln, auf denen tausendmal La, also Nein steht. Vielfalt der Schriftkunst, Schönheit der Abstraktion. Schrift wird Zeichen, wird Bild. Und das in zeitgenössischer Form.

Es ist die Stärke dieser Ausstellung, dass man auch Wege der Tradition bis in die Gegenwart verfolgen kann. Was aber ist Tradition? Das, was wir erwarten wie Kalligraphie und Arabeske? Kunst ist längst globalisiert. Sichtbar zum Beispiel in den politisch poetischen Visionen einer palästinensischen Stadt im Jahr 2087. Qalanda. Heute ein Flüchtlingslager, ein Ort an der Betonmauer, die Palästina und Israel trennt. In dem Zukunftsmodell von Wafa Hourani ein Turm- und Hausgewirr mit bunten Antennen und farbigen Fenstern. Ferne Tristesse und zarte Poesie gleichermaßen, reflektiert von der jetzt verspiegelten Mauer.

"Das Kunstwerk habe ich in eine Zeit versetzt der Spiegel-Gesellschaft. Das bedeutet Selbsterkenntnis und damit keine Parteien mehr in Palästina. Jeder weiß, wie er die Zukunft entwickeln kann. Israelis wie Palästinenser. Die besetzten Gebiete sind nicht mehr besetzt. Auch Qalanda. Der Checkpoint ist zum Treffpunkt geworden für Gespräche, und die Mauer, die auf beiden Seiten Spiegel hat, bleibt als Erinnerung daran, was man erreichen kann durch Selbstreflexion. Meistens ..."

Eine Vision. Anderes wird schon Wirklichkeit. Konkrete Pläne für ein New Kairo, eine Satellitenstadt für Reiche, die in eine Mischung aus Dubaigrößenwahn und amerikanischer Vorortschickeria ziehen, mit Einkaufsmall und Entertainment Center. All das zeigt die Ausstellung, die so viele Ebenen hat. Manches bleibt unverständlich, weniges langweilig, anderes überrascht dafür. Auf alle Fälle eine Entdeckungsreise.

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