Zehn Jahre Selbstenttarnung des NSU

Die Lücke bleibt

06:03 Minuten
Foto von der Inszenierung: Vier Menschen sprechen auf einer weißen Bühne in eine Kamera.
Das Kölner Schauspiel zeigt ein Update des Stücks "Die Lücke" über die NSU-Attentate und die Folgen mit Anwohnern der Keupstraße. © Ana Lukenda
Von Stefan Keim · 05.11.2021
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Zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU beklagen die einen fehlende Empathie bei der Aufarbeitung und verweisen die anderen gerade auf den nüchtern geführten NSU-Prozess. Nuran David Calis bringt diese Debatte in Köln auf die Bühne.
Am Ende sitzen sie getrennt in den beiden quadratischen Bühnenelementen: auf der einen Seite Kristin Steffen und Stefko Hanushevsky vom Kölner Ensemble, auf der anderen drei Menschen von der Kölner Keupstraße. Sie schauen sich an – immerhin. Lange tun sie das. Aber die Lücke zwischen ihnen bleibt, und niemand steht auf, um sie zu überwinden.
Im Stück "Die Lücke" brachten Regisseur Nuran David Calis und Dramaturg Thomas Laue vor sieben Jahren Leute auf die Bühne, die mit dem Nagelbombenanschlag des NSU auf der Kölner Keupstraße direkt zu tun hatten. Ayfer Şentürk Demir arbeitete im Reisebüro auf der anderen Straßenseite, Ismet Büyük gehört ein Teppichgeschäft nicht weit entfernt, und der Musiker Kutlu Yurtseven lebte auf der Keupstraße. Er übersetzt, wenn Ismet Büyük temperamentvoll ins Türkische fällt, und verfolgt auch die aktuellen Entwicklungen kritisch und genau.

Die politische Dimension ist aus dem Blick geraten

Viel ist aus der alten Inszenierung übriggeblieben, dennoch ist es sinnvoll, mit "Die Lücke 2.0" ein Update zu präsentieren. Denn der NSU-Prozess hat nicht dazu beigetragen, das Vertrauen in das deutsche Rechtssystem zu steigern. Zu wenig Empathie werfen die Bewohner der Keupstraße dem Gericht vor, während Stefko Hanushevsky dagegenhält, es sei die Aufgabe eines Gerichtes, leidenschaftslos und nüchtern zu urteilen. Doch die politische Dimension sei dadurch aus dem Blick geraten, sagt Kutlu Yurtseven und fragt, wann jemals die Motivation in einem Strafprozess keine Rolle gespielt habe.
Foto von der Inszenierung: Eine Frau zerreißt Papier. Ein Mann steht vor ihr. Beide blicken in eine Kamera.
Trotz Urteils im NSU-Prozess ist die Aufklärung noch lange nicht abgeschlossen.© Ana Lukenda
Er bringt auch ganz aktuelle Beispiele. Am Tag der Premiere gab es in Köln den Prozess gegen einen Mann, der aus seiner Wohnung auf türkische Jugendliche geschossen hat, die am Rhein feierten und laut waren. Er wurde nicht wegen Mordversuches angeklagt, sondern nur wegen Körperverletzung. Weil er nur eine Kugel abgefeuert habe und nicht das gesamte Magazin. Absurditäten der Ermittlungen gegen den NSU stehen ebenso im Mittelpunkt wie grundlegende Fragen des Zusammenlebens.

Keine einfachen Lösungen

Es gibt einige Einspielungen, die Bühnenelemente werden bewegt und bemalt. Doch Theatereffekte sind an diesem Abend unwichtig. Es geht um die Debatten, die während der Proben geführt wurden. Ehrlich und intensiv bringen die fünf Darstellerinnen und Darsteller manche Probleme auf den Punkt. Und tun nicht so, als ob es einfache Lösungen gäbe. Natürlich spielen sie zusammen, bilden eine Einheit, aber auch wieder nicht, wenn sie sich gegenübersitzen und anschauen. Sie wollen einander verstehen. Doch die Lücke bleibt.

Die Lücke 2.0
von Nuran David Calis
Schauspiel Köln

Die nächsten Termine sind am 4., 5. und 23. Dezember.
Es gibt auch ein Hörspiel zur Inszenierung "Die Lücke 2.0".

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